Post ist für alle da – auch hinter Gefängnismauern
Die Post ist für alle da – für Menschen im Gefängnis sind Postsendungen eine der wenigen Kontakte zu Angehörigen und Freunden im pulsierende Alltag draussen.
Bisweilen sprengen die Briefe und Pakete mit Emotionen einen Moment den grauen Alltag und die Gefängnismauern. Ein Augenschein auf der Tour in der Gemeinde Hindelbank in die Gefängnisse Thorberg sowie in die einzige schweizerische Justizvollzugsanstalt für Frauen.
Mächtig und trutzig thront der Gebäudekomplex der Justizvollzugsanstalt auf dem Sandsteinhügel Thorberg über dem Krauchthal zwischen Burgdorf und Bern im sanften Spätsommerlicht. Während im Tal die Feuchtigkeit der Nacht noch über den Wiesen schwebt, ist die Vollzugsanstalt für schwere Delinquenten bereits von der Morgensonne angestrahlt. Als möchte sie den 180 Menschen hinter den dicken Mauern etwas Zuversicht und Hoffnung in die Zellen blinzeln. Denn hier wurde architektonisch mächtig Arbeit geleistet: Gut abgeschirmt einst für ein Kartäuserkloster und über die Jahrzehnte stetig ausgebaut, symbolisiert der Thorberg heute hoch über dem Krauchthal als Justizvollzugsanstalt eine Festung der Sicherheit, aus der kaum auszubrechen möglich erscheint.
Reglementierter und kontrollierter Kontakt
Fast lieblich schlängelt sich der schmale Zufahrtsweg in Kurven vom Dorf Krauchthal auf den Thorberg. Pöstlerin Blanca Richard erklimmt ihn jeden Tag auf ihrer Tour durch die Gemeinde Hindelbank mit dem gelben Postfahrzeug. So beschaulich die Fahrt an stattlichen Berner Bauernhäusern vorbei beginnt, so hart holt einen die Realität ein am Ende der Strasse: Gittertore, Stacheldraht und Überwachungskameras. Das gelbe Fahrzeug wartet einen Moment, das Schleusentor öffnet sich, die in Chile geborene Blanca Richard fährt in den Sicherheitsbereich neben dem verglasten Empfangsgebäude. Die gut zehn Pakete und die Kiste Briefe für die Gefangenen und die Verwaltung sind rasch ausgeladen und ins Empfangsgebäude gebracht. Die Ladung für diesen Morgen der restlichen Tour mit 359 Haushalten in der Region mindert sich damit augenscheinlich aber nicht.
Mit gutem Grund: Grosse Mengen fallen für den Thorberg täglich nicht an, der Kontakt zur Aussenwelt ist im Gefängnis Thorberg nebst Besuchen und Telefon auch für den Postweg reglementiert. Angehörige und Freunde können den Gefangenen gemäss Merkblatt „pro Kalenderjahr Pakete von insgesamt 40 kg Gesamtgewicht zustellen. Anzahl und Periodizität der Pakete liegt in der Verantwortung des Gefangenen“. Die Liste der erlaubten Paketinhalte ist entsprechend kurz. Die der unerlaubten mit gut 24 Posten entsprechend lang. Die Mitarbeitenden der Justizvollzugsanstalt kontrollieren aus Sicherheitsgründen die Pakete und den grundsätzlich uneingeschränkte Briefverkehr an die Delinquenten schwerster Gewaltdelikte auf verbotene Gegenstände. Sie leiten die angekommenen Postsendungen für die Gefangenen nach der Kontrolle – „den betrieblichen Möglichkeiten entsprechend“ – täglich weiter.
Nicht auf einer Liste sind die mitgegebenen Emotionen im Karton oder Umschlag: Etwa Kinderzeichnungen für den isolierten Vater, letzte Zeilen der in der Ferne sterbenden Mutter – und Fotos, die es immer wieder zu betrachten gilt und in der Stille der Zelle Tränen in die Augen treiben.
Kunde, „wie jeder andere auch“
Während Blanca Richard die Kiste ausgehende Briefe von Gefangenen und Verwaltung im Empfangsgebäude Thorberg übernimmt, fährt derweil ihre Zustellkollegin Marlyse Berthet mit ihrem Elektrofahrzeug die lange Strasse zum einstigen feudalen Barock-Landsitz der Berner Familie Von Erlach, dem heutigen Frauengefängnis Hindelbank mit entsprechenden Ergänzungsbauten. Doch auch hier ist die Ladefläche des Kombifahrzeugs für das zweite Gefängnis in der Gemeinde an diesem Tag nicht überfüllt. Trotz der elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten gibt es noch eine Kiste Briefe für die Insassinnen und die Verwaltung des einzigen Frauengefängnisses der Schweiz. Pakete hat es an diesem Tag eine Handvoll. An Rekordtagen überschreiten sie gemäss Marlyse Berthet „die Menge von gut 20 Paketsendungen“. Dies, auch wenn hier die Liste der unerlaubten Gegenstände für die Frauen deutlich kürzer ist als beim Gefängnis auf dem Thorberg. Das Gefängnis Hindelbank zählt 107 Haftplätze für Insassinnen in 7 Wohngruppen, darunter auch sechs Plätze für Mütter mit Kindern.
Berührt sie als Pöstlerin der Anblick der Pakete oder die Sendungen als eine der wenigen Kontaktmöglichkeiten der Gefangenen zur Gesellschaft? Marlyse Berthet lässt sich nichts anmerken und verneint. „Die Gefängnispost unterscheidet sich nicht von der Post anderer Kunden. Darüber mache ich mir so wenig Gedanken, wie bei anderen Empfängerinnen oder Absendern“, sagt die Zustellbotin beim Beladen ihres Fahrzeuges am frühen Morgen. Liesse sie alles unter die Haut, was sie als Pöstlerin in ihrem Alltag auf ihren Touren neben Freude auch Leid erfahre, hätte sie den Kopf nicht mehr frei für die Gedanken und Herausforderungen ihrer eigenen Lebensgestaltung.
„Post ist für alle da“
Auf dem gut 15 Minuten Autofahrt entfernten Thorberg setzt sich Blanca Richard zwischenzeitlich wieder hinters Steuer ihres Zustellfahrzeuges. Sie dreht den Zündschlüssel und rollt vorsichtig zum metallenen Schleusentor. Dieses öffnet sich und lässt das gelbe Fahrzeug und die Pöstlerin wieder in die Freiheit. Auch Blanca Richard macht für den speziellen Halt auf ihrer Tour kein grosses Aufsehen: „Jeder Kunde ist speziell und bedarf einer speziellen Behandlung“, sagt sie. „Die Post ist für alle da.“ Für Kunden mit vielen oder wenig Sendungen, für spezielle oder gewöhnliche Adressen und für Menschen in allen möglichen und unmöglichen Situationen. Blanca Richard sagt’s mit einem freundlichen Lächeln durchs offene Fahrzeugfenster und rollt den beschaulichen Weg mit dem Thorberg nur noch im Rückspiegel ins Dorf Krauchthal zurück. Den gleichen schmalen und gewundenen Weg in die Freiheit, den Menschen mit einem zu schweren Lebensrucksack in der anderen Richtung hochfahren – und für viele Jahre bis Jahrzehnte nicht mehr runterfahren.
Quelle: Post CH / post-medien.ch
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