El Niño und La Niña – das Christkind und seine kalte Schwester
Das zweite Jahr in Folge zeigt sich aktuell im Pazifik La Niña. Sie ist die kalte Schwester von El Niño und Teil der ENSO (El Niño Southern Oscillation). Dieses Phänomen ist die stärkste kurzfristige natürliche Klimaschwankung in Zeiträumen von einigen Monaten oder Jahren.
Obwohl der Ursprung dieser zyklische Schwankung im äquatorialen Pazifik liegt, so hat sie doch grossen Einfluss auf das globale Wettergeschehen!
Die ENSO ist ein zyklischer Wechsel zwischen zwei Extremzuständen von Strömungsverhältnissen und Wassertemperaturen im tropischen Pazifik. Sie gliedert sich in drei Phasen. Die bekannteste ist El Niño (der Knabe, oder auch „das Christkind“), das komplette Gegenstück bildet La Niña (das Mädchen). Dazwischen liegt die sogenannte neutrale Phase.
Im Pazifik herrscht ein recht ausgeprägtes West-Ost-Gefälle der Wassertemperatur. Vor der Küste Südamerikas ist das Wasser markant kälter als auf der anderen Seite des Pazifiks vor Indonesien und Australien. Durch die von Südost nach Nordwest in Richtung des Äquators wehenden Passatwinde wird das warme Oberflächenwasser nach Westen geschoben, hier bildet sich der sogenannte westpazifische Warmwasserpool. Als Ausgleich quillt vor Chile und Peru kaltes Tiefenwasser an die Oberfläche (upwelling). Diese grossflächige Struktur der Wassertemperaturen hat natürlich auch einen erheblichen Einfluss auf die Atmosphäre darüber! Über dem warmen Wasser vor Südostasien erwärmt sich die darüberliegende Luft und saugt sich mit Wasserdampf voll. Sie steigt auf (Konvektion), es bilden sich Wolken und kräftige Niederschläge. Auf der anderen Seite des Pazifiks sinkt die Luft wieder grossflächig ab, es bildet sich ein stabiles Hoch mit trockener Luft und wenigen Wolken. Dieses Zirkulationsrad ist die sogenannte Walker-Zelle. Seit jeher unterliegt dieses Muster gewissen Schwankungen.
Das vor Südamerika aufsteigende Tiefenwasser ist kalt und nährstoffreich, Grundlage für grosse Fischbestände und eine daraus resultierende Fischerei. Oft begannen die Temperaturen vor der Küste um die Weihnachtszeit zu steigen, die Fischbestände gingen zurück (daher auch El Niño, „das Christkind“). In manchen Jahren blieben die Wassertemperaturen hoch, die Fische kehrten im Frühling nicht zurück. Diese aussergewöhnlichen Phasen dauerten und dauern bis zu einem Jahr, gelegentlich auch länger. Im Zuge eines solchen El Niño Ereignisses erwärmt sich der äquatoriale Pazifik grossflächig, die Passatwindzirkulation schwächt sich ab und die Walker-Zelle teilt sich in zwei oder mehrere Teile. Dadurch verändert sich auch das typische tropische Niederschlagsmuster. In Südostasien und Australien kommt es zu Trockenheit oder auch ausgeprägten Dürren, dagegen gibt es entlang der Westküste von Südamerika extreme Niederschläge. Der Pazifik ist der grösste Ozean der Erde, er erstreckt sich nahezu über ein Viertel des Erdumfangs. Wasser hat eine sehr hohe Wärmekapazität, in Kombination mit den grossen betroffenen Wassermassen ergibt sich eine enorme Energiemenge, die auf globaler Ebene verschoben wird. Die Auswirkungen reichen weit über den pazifischen Raum hinaus! El Niño dämpft beispielsweise die Bildung von Tropenstürmen und Hurrikans im Atlantikbecken (mehr Windscherung in der Höhe).
Seit Ende 2020 erleben wir nun aber das genaue Gegenteil davon – La Niña. La Niña ist eigentlich eine Verstärkung des oben beschriebenen Normalzustands. Die Passatwinde sind stärker als üblich, das upwelling des Tiefenwassers vor der Küste ebenfalls. Das warme Oberflächenwasser wird noch effektiver nach Westen transportiert. Über dem äquatorialen Pazifik bildet sich eine ausgeprägte Kaltluftzunge, der Warmwasserpool vor Südostasien weitet sich etwas weiter nach Norden und Süden aus. Die Auswirkungen finden natürlich nicht nur unmittelbar an der Wasseroberfläche statt, sondern auch in der Tiefe. Hier liegt die sogenannte Thermokline oder Sprungschicht, sie trennt das warme Oberflächenwasser vom kalten Tiefenwasser. Diese Fläche ist während La Niña deutlich stärker in West-Ost-Richtung geneigt, als dies in der neutralen Phase oder gar bei El Niño der Fall wäre.
Die normale oder neutrale Phase ist weniger die Norm, sondern viel mehr das zyklische Schwanken zwischen den beiden Extremfällen El Niño und La Niña! Die wirkliche Ursache für diesen Wechsel, das auslösende Moment, ist noch immer nicht restlos verstanden. Ein möglicher Erklärungsversuch ist der „delayd oscillator“. Dabei transportieren lange ozeanische Wellen warmes und kaltes Wasser quer über den Pazifik. Es handelt sich dabei aber nicht um klassische Oberflächenwellen, wie beispielsweise Surfer sie lieben, sondern um sogenannte Kelvin- und Rossby-Wellen. Sie verlagern sich auch unter der Wasseroberfläche entlang von Grenzflächen. Entlang von Küsten transportieren Kelvin-Wellen grosse Energiemengen in Form von warmem Wasser nach Norden und Süden in höhere Breiten. Entlang des Äquators fungiert die oben erwähnte Thermokline als Begrenzung. Die Kelvin-Wellen bewegen sich hier mit 1 bis 3 m/s Sekunde von West nach Ost und brauchen so 2 bis 3 Monate, um den Pazifik zu überqueren. Im Gegensatz dazu laufen Rossby-Wellen ausschliesslich von Ost nach West, sie tun dies knapp nördlich und südlich des Äquators. Sie sind deutlich langsamer und benötigen 1 bis 2 Jahre, um den Pazifik zu überqueren. Eine detaillierte Beschreibung dieses Ansatzes sowie die zu Grunde liegenden Physik würde den Rahmen dieses Artikels allerdings sprengen! In jedem Fall können schon im Vorfeld eines der beiden Extremzustände Temperaturen-Anomalien im Tiefenwasser identifiziert werden.
Auswirkungen von La Niña und globale Telekonnektion
Die Auswirkungen auf Europa sind nicht ganz eindeutig und eher undifferenziert, in anderen Regionen der Erde sind die Effekte deutlich klarer! Am deutlichsten macht sich La Niña natürlich im Pazifischen Raum bemerkbar. Durch das stabile und blockierende Hoch über dem Südostpazifik ziehen die Tiefdrucksysteme weiter südlich, das Resultat ist Trockenheit in Teilen von Argentinien und Brasilien. In Brasilien sind aktuell besonders die südlichen Bundesstaaten Rio Grande do Sul und Santa Catarina betroffen. Die Niederschläge sind hier seit Wochen extrem unterdurchschnittlich, die Prognosen sehen nicht viel besser aus. Ein grosser Teil der Mais- und Sojaernte droht hier nun zu verdorren.
Über dem warmen Wasser vor Südostasien herrschen seit über einem Jahr sehr gute Bedingungen zur Bildung von Tropenstürmen, durch den nach Norden ausgeweiteten Warmwasserpool entstehen und ziehen sie auch weiter nördlich. China und vor allem auch die Philippinen waren zuletzt immer wieder von starken Taifunen betroffen, letzte Woche forderte Taifun Rai (auf den Philippinen „Odette“ genannt) viele Todesopfer. Danach wurde er zum stärksten Taifun seit Messbeginn im Südchinesischen Meer in einem Dezember-Monat. China geriet wiederholt mit extremen Überschwemmungsereignissen in die Schlagzeilen. Ein gutes Beispiel für die Fernwirkung oder Telekonnektion ist auch die vergangene Hurrikansaison. Im Gegensatz zu El Niño lässt La Niña im Atlantik eine überdurchschnittliche Tropensturmaktivität erwarten (wenig Windscherung in der Höhe), und tatsächlich gehört 2021 zu einer der stärksten Sturm-Saisonen mit 21 benannten Stürmen. Mehr dazu in unserem MeteoBlog vom 19. November https://met.to/wbq. Absoluter Spitzenreiter in dieser Hinsicht ist 2020 – dies im unmittelbaren Vorfeld des sich anbahnenden La Niña-Ereignisses. Zu den zu erwartenden Effekten gehört auch eine Dürreperiode in Ostafrika, die aktuell tatsächlich stattfindet. Auch die in den letzten Wochen extremen Temperaturunterschiede in Nordamerika (im Nordwesten sehr kalt, im Südwesten sehr warm bis heiss) passen gut in das Bild. Entlang der quer über die USA und Kanada verlaufenden Luftmassengrenze kam es zuletzt auch zu einem für diese Jahreszeit extrem aussergewöhnlichen Tornado-Outbreak. Und die Gefahr für weitere solche Ereignisse besteht nach wie vor.
Nach aktuellen Modellen und Prognosen wird uns La Niña noch bis in das Frühjahr oder den beginnenden Sommer begleiten. Danach sollte das Pendel der ENSO allmählich wieder in Richtung des neutralen Zustands schwingen.
Abbildungen finden sich hier.
Quelle: MeteoNews
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