Sozialhilfe als Millionengeschäft
von Tobias Wolf
Während die steigenden Sozialausgaben für die Gemeinden zu einem immer grösseren Problem werden, floriert das neu entstandene Gewerbe der Sozialfirmen. Insgesamt 400 davon gibt es bereits, die meisten von ihnen in den Kantonen Bern, Zürich und Basel.
Insgesamt rund 10’000 Angestellte sind in diesen Unternehmen für das Management der Betriebe und die Betreuung der 43’000 „Klienten“ zuständig. Die Arbeiten, welche die hilfsbedürftigen Menschen in den Betrieben verrichten, sind in der Regel anspruchslos und bedürfen keiner besonderen Ausbildung.
Umsätze in Millionenhöhe
Für die Sozialfirmen ist dies ein lukratives Geschäft. Wie aus einer Studie der Fernfachhochschule Schweiz, der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana und der Fachhochschule Nordwestschweiz hervorgeht, beträgt ihr Jahresumsatz über 625 Millionen Franken.
Zudem zeigt die Studie, dass 40 % der „Klienten“ Arbeitslosengeld beziehen. Weitere 40 % haben geistige oder körperliche Behinderungen und rund 20 % beziehen Sozialhilfe. Stefan Adam, Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Co-Leiter der Studie, sagt, dass sich die Sozialfirmen eher als soziale Unternehmen und nicht als Hilfswerke sähen. Dies begründeten sie mit der Tatsache, dass sie im Gegensatz zu anderen Integrationsprogrammen Arbeitsplätze schafften und dadurch Gewinne am Markt erwirtschafteten.
Zu viele Sozialfirmen
Dass diese „Sozialindustrie“ so schnell und unkontrolliert heranwächst, weckt bei vielen Experten Besorgnis. Vom System der Sozialfirmen würden hauptsächlich die privaten Firmen profitieren, da diese so an billige Arbeitskräfte kämen, sagt Peter Schallberger, Soziologieprofessor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in St. Gallen.
Auch Ruedi Winet, Präsident der Zürcher Vereinigung der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb), äussert Bedenken im Bezug auf die derzeitige Situation. Ihn beunruhigt vor allem, dass sich zu viele Firmen um die Sozialfälle kümmerten. Zusammen mit dem Amt für Jugend- und Berufsberatung soll deswegen jetzt geklärt werden, wann und unter welchen Bedingungen der Einsatz von Sozialfirmen angebracht ist.
Handlungsbedarf sieht auch Diana Wider, die Generalsekretärin der Konferenz der Kantone für Kinder- und Erwachsenenschutz (KOKES). Sie lanciert die Idee einer unabhängigen Institution, die Qualitätsstandards definieren und Zertifikate für die Sozialfirmen ausstellen soll.
Gemeinden sollen selbst entscheiden
Von der Politik und den Gemeinden gibt es inzwischen aber auch Bestrebungen, das alte Vormundschaftsrecht wieder einzuführen, anstatt am aktuellen Gesetz herumzubasteln. So plant die SVP etwa zwei parlamentarische Initiativen, welche die Gesetzesrevision, die zur Bildung der Kesb geführt hat, rückgängig machen und den Gemeinden die Möglichkeit wiedergeben sollen, selbst über Aufträge an Private zu entscheiden.
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