Im Dienste der Geschichte – das Bauernhaus in Zürich als Zeitzeuge landwirtschaftlicher Tradition
von Agentur belmedia
Auch städtische Randgebiete, die vor wenigen Jahren noch mit idyllischer Atmosphäre aufwarten konnten, fallen diesem Trend immer häufiger zum Opfer. Bauernhäuser werden abgerissen, gemütliche Plätze mit Bäumen und Brunnen weichen einer immer funktionaler werdenden Bebauung. Der urbane Baustil spiegelt sich im Zweckbau, vertreten vor allem durch den Wohnblock.
Nun steht ausser Frage, dass die rasant wachsende Bevölkerung im Kanton Zürich vor allem eines benötigt, nämlich Wohnraum. Und so wird in Zürich auch an jeder Ecke gebaut. Schauen Sie sich zum Beispiel Zürich West an. Hinter den schmucklosen Fassaden der neu entstandenen Hochhäuser findet man allen Komfort, zuweilen sogar Luxus. Zielgruppe ist der Mieter oder Käufer der gehobenen Preisklasse.
Aber nicht wenige der Wohnungen stehen leer, obwohl an Wohnraum eigentlich Mangel herrscht. Das hohe Verkehrsaufkommen, das Grau in Grau der Strassenzüge ohne grüne Ruheinseln konterkarieren das Bemühen um wirtschaftlich potente Klientel. Die Atmosphäre der Anonymität wirkt alles andere als attraktiv – vor allem auf Familien und ältere Menschen.
Doch inzwischen ist man dabei umzudenken. Denkmalpflege und Heimatschutz setzen dem Neubauwahn immer häufiger dort Grenzen, wo es um die Erhaltung alter Bauernhäuser und historischer Gebäude geht. 10‘000 Schweizer Franken liess der Zürcher Regierungsrat schon im Jahre 1954 für die Erforschung ländlicher Siedlungs- und Bauformen zur Verfügung stellen.
Die Erkenntnis, dass etwas getan werden muss, um gegen den Verlust historischer Bausubstanz anzugehen, war schon damals vorhanden. Besonders deutlich konnte man die Folgen der Abriss- und Neubau-Manie in den Gebieten der Agglomeration beobachten. Zahlreiche alte Bauernhäuser fielen der Abrissbirne zum Opfer. So verschwanden wertvolle historische Zeitzeugen ländlichen Lebens spurlos von der Bildfläche. Heute wird dieser Unsitte dank der guten Zusammenarbeit von Denkmalpflege und Bauernhausforschung immer häufiger ein Riegel vorgeschoben und so unschätzbares Kulturgut vor der Vernichtung bewahrt.
Auch die Investoren in Zürich West mussten umlernen. Der Leerstand zahlreicher Komfortwohnungen führte ihnen deutlich vor Augen, dass immer weniger Leute bereit sind, Unsummen in eine unpersönliche Wohnung zu investieren. Sie verwenden das Geld lieber für die Schaffung eines Heims mit persönlichem Charakter.
Der Trend entwickelt sich hin zum sozialen Wohnumfeld, wo man einander kennt, wo Nachbarschaft sich noch leben lässt. Und da hinein passen die alten Häuser unserer Vorfahren, deren traditionelle Bauweise heute wieder zu bezaubern weiss. Zwar kann nicht jeder solch ein Gebäude erben. Doch es gibt zahlreiche leer stehende, etwas in die Jahre gekommene Häuser, die sich mit der Hilfe von erfahrenen Bauleuten und Architekten in Kleinodien verwandeln lassen, in denen das Wohnen wieder Spass macht.
Ein Beispiel, das Schlagzeilen machte, war das Projekt des Architekten Remo Altdorfer. In Volketswil entdeckte er ein 170-jähriges Bauernhaus, das ziemlich heruntergekommen war. Da er auf den Umbau von Einfamilienhäusern, insbesondere Bauernhäusern, spezialisiert war und das in dem Haus steckende Potenzial erkannte, machte er sich daran, es zu einem Zuhause für sich und seine Familie umzubauen. Die Auflagen des Heimat- und Denkmalschutzes konnten erfüllt werden, auch wenn es nicht immer einfach war. Heute stehen die in das Bauprojekt integrierten Hauptfassade und Kachelofen unter Heimatschutz und sind vor Abriss oder Umbau geschützt. Das historische Bauernhaus wurde zum wohnlichen Schmuckstück.
Trotz zahlreicher Bausünden gibt es in Zürich auch heute noch einige historische Bauernhäuser. Das verwundert nicht, wenn man weiss, dass vor zwei Jahrhunderten über 90 Prozent des Zürcher Stadtgebietes bäuerlich bewirtschaftet wurden. Archäologische Untersuchungen konnten dokumentieren, dass die Bausubstanz auf dem Terrain der Stadt teilweise bis ins Spätmittelalter zurückreicht. So ist das Entdecken von Speichern, Ställen und Scheunen, ja sogar von Hofläden auf Stadtgebiet nichts Ungewöhnliches. Und all dies kommt dem wachsenden Bedürfnis vieler Menschen in unserer hektischen Welt nach Ursprünglichkeit und Besinnlichkeit entgegen.
Als Paradebeispiel für das, was eine engagierte Zusammenarbeit von Heimatschutz und Denkmalpflege zu leisten vermag, kann das Albisrieder Dörfli gelten. Ein Juwel ist das 1539 erbaute Bauerhaus, das sofort ins Auge sticht. Es ist eine wahre Rarität und wird in der Buchreihe „Baukultur in Zürich“ erwähnt. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Die Eigentümergemeinschaft des bewohnten historischen Bauernhauses legte vor dem Verwaltungsgericht Widerspruch dagegen ein, dem stattgegeben wurde. Das Bundesgericht kippte wiederum das Urteil des Verwaltungsgerichts und stützte sich dabei auf die fachliche Expertise der Denkmalpflege.
In einer Stadt wie Zürich ist die Balance zwischen Erhaltung historischer Bauten und Schaffung benötigten Wohnraums ein wahrer Drahtseilakt. Um an dieser Aufgabe nicht zu scheitern, ist die solidarische Zusammenarbeit von Denkmalpflege und Hochbaudepartement eine wichtige Voraussetzung.
Oberstes Bild: Ehemaliges Bauernhaus, Volketswil (© Ponte1112, Wikimedia, CC)