Das Blackphone im Dauertest, Teil 1: Wer Privatsphäre will, muss leiden
von Alin Cucu
Ende Juli war es dann soweit. „Blackphone Available Now“ lautete die Betreffzeile. Keine 15 Minuten später hatte ich mein Blackphone geordert. Damit begann für mich eine höchst aufschlussreiche Schnitzeljagd. Sie führte mich an den Ausläufern von TTIP vorbei, durch das Sturmauge amerikanischer Customer Supports, ins Angesicht meiner eigenen Customer-Verhätschelung und schliesslich zu ungeahnten Erfolgserlebnissen.
[vc_message color=“alert-info“ style=“rounded“]„Blackphone im Dauertest“ ist eine Artikelserie in zwei Teilen:
Teil 1: Wer Privatsphäre will, muss leiden
Teil 2: Privacy-Könner mit wenigen Schwächen[/vc_message]Doch warum war ich auf das Produkt einer kaum bekannten Firma so heiss wie Apple-Geeks auf den Verkaufsstart des neuen iPhone? Drehen wir die Zeit einige Monate zurück.
Juni 2013. In den Medien brummt es vor Meldungen über Edward Snowdens Enthüllungen. Ich nehme es zur Kenntnis, reagiere aber innerlich mit dem gleichen Achselzucken wie viele Bekannte und Freunde, mit denen ich später über das Thema sprach: „Ich hab doch eh nix zu verbergen!?“
Juli bis Dezember 2013. Für newsbloggers.ch und business24.ch schreibe ich einige Beiträge über den NSA-Skandal und seine Auswirkungen auf Otto Normalverbraucher. Langsam dämmert mir: Es geht nicht darum, was Big Brother mit meinen Daten macht. Es geht darum, dass Big Brother meine Daten schlichtweg gar nicht haben darf. Es geht um das Recht auf Privatsphäre.
Januar 2014. Ich stosse auf einen Artikel über das bald erscheinende Blackphone, angeblich das erste Consumer-Privacy-Phone überhaupt. Ich messe der Meldung Gewicht bei, da einer der Gründer der Blackphone-Firma SGP niemand Geringeres als Phil Zimmerman ist. Er hat die PGP-Verschlüsselungstechnologie entwickelt. Das Versprechen: „Der einzige Grund, dass es dieses Handy gibt, ist der Schutz Ihrer Privatsphäre“ (Phil Zimmerman auf dem MWC in Barcelona). Das Blackphone soll im Sommer verfügbar sein, Preis: 630 US-Dollar. Dafür bekommt man auch ein Highend-Gerät von Samsung. Ich beschliesse, den ersten Praxistest abzuwarten und solange noch mit meinem Google-infiltrierten Samsung Galaxy Note auszukommen.
Februar bis Juli 2014. Durch weitere Recherche für diverse Blogbeiträge wird mir klar, dass es bei „Privacy“ nicht nur um die NSA geht – zumal selbst Phil Zimmerman einräumen muss, dass kein Smartphone 100 % abhörsicher ist. Viel relevanter scheint mir mittlerweile das Ausmass der Datenspur, die wir online hinterlassen. Aus Facebook-Postings, WhatsApp-Nachrichten und Geo-Daten könnte jeder Geheimdienst dieser Welt ein ziemlich akkurates Bewegungs- und Verhaltensprofil der meisten von uns erstellen – Datenfreigabe durch die Konzerne vorausgesetzt. Aber was machen die eigentlich mit den Daten?
August 2014. Jemand, dem meine Technikaffinität bekannt ist, beschenkt mich mit dem Roman „Zero“ von Marc Elsberg. Ich solle das mal lesen, da die Technik auch ihre dunklen Seiten habe. Die Person rennt unwissentlich offene Türen bei mir ein. Im Urlaub verschlinge ich das spannend geschriebene Buch innert 4 Tagen. Die erschreckend realistische Vision einer Social Media-Plattform zur Lebensverbesserung, die ihre Nutzer bis ins kleinste Detail subtil beeinflusst, macht mir auf schaurige Art deutlich: Die Konzerne wollen unsere Daten, weil sie dadurch uns haben. Der Deal: Du nutzt unser Portal kostenlos, dafür kriegen wir die Infos über dich. Daten sind das Erdöl des 21. Jahrhunderts. Aber meine bekommen sie nicht mehr. Ich zahle lieber.
Den Zoll gibt’s wirklich
Inzwischen habe ich auch schon mein Blackphone erhalten. Obwohl ich eigentlich zwei bestellt hatte, denn meine Frau wollte ich nicht schutzlos den Machenschaften von Google & Co überlassen. Lieferzeit 8 Tage, denn der Vertrieb sitzt weder in der Schweiz (dem Firmensitz von SGP Technologies) noch in den USA, sondern in Hong Kong. Naja. Und durch das Blackphone bekomme ich auch zum ersten Mal zu spüren, welchen Komfort zollfreier Handel bedeutet. Denn obwohl ich das Blackphone schon per Kreditkarte bezahlt habe, will der UPS-Mann 100 Euro Nachnahmegebühr – Zollauslagen, erklärt er. Zwischenbilanz: Von meinem Kreditkartenkonto wurden incl. Versandkosten insgesamt 1327 US-Dollar abgebucht, zzgl. der Zollausgaben bin ich jetzt um fast 1400 Dollar bzw. 1350 Schweizer Franken bzw. 1100 Euro ärmer.
Und das für ein Gerät, das in einer für mich zentralen Funktion versagt. Irgendwie synchronisiert sich die Kalender-App nicht mit meinem Online-Kalender. Das ging doch mit dem Samsung so kinderleicht? Frustriert über diese so massive Einschränkung schreibe ich den Support per E-Mail an. Ich möchte gerne wissen, wie ich den Kalender zum Laufen bekomme. Antwort: Ich solle das Gerät doch zur Reparatur in die USA einschicken. Gesagt, getan, alles wieder eingepackt, Rücksendung bei UPS beantragt. Eine Woche später kommt wieder ein UPS-Paket. Nanu, die waren aber diesmal schnell…? Nein, es ist mein altes Phone, unrepariert und unverändert. Es passierte den Zoll nicht, weil ich irgend eine Konformitätserklärung hinsichtlich des Lithium-Ionen-Akkus nicht beigelegt hatte.
Erschreckende Unwissenheit
Also gut. Aus Angst vor weiteren Kosten und Aufwand tüftele ich selbst weiter. Reserviere mir einen Webspace bei ubernauten.de, weil ich lese dass damit die Einrichtung eines eigenen Online-Kalenders incl. Smartphone-Synchronisation möglich ist. Und verstehe: Die Kalender-App des Smartphones kann gar nicht synchronisieren, weil ihr eine entsprechende Software fehlt. Woher soll sie nur durch meine E-Mail-Adresse wissen, wie sie an meinen Kalender kommt? Peinlich, dass ich das nicht wusste. Aber dazu erzieht einen die Convenience-Politik der Internet-Platzhirsche. Im Amazon Appstore (auf den man mangels Google Play geworfen ist) finde ich die App CalDAV. Kostet zwar was, aber das war ja Teil des Deals. Und siehe da, es funktioniert! Stolz wie Oskar beschliesse ich, das Blackphone zu behalten.
Aber da war ja noch das zweite bestellte Phone. Dessen Annahme verweigere ich, womit es direkt zurück an den Absender in Hong Kong geht. Eine Zollrechnung von UPS erhalte ich natürlich trotzdem, muss sie aber nach einigem E-Mail-Verkehr nicht bezahlen. Ich erwarte, dass nach etwa zwei Wochen die Erstattung auf mein Kreditkartenkonto erfolgt. Nichts dergleichen. Nach weiteren zwei Wochen schreibe ich den Customer Support an. Man werde sich in den USA nach dem Verbleib des Geräts erkundigen. Aber halt, das kam doch aus Hong Kong!? Nach Klärung dieses Sachverhalts kommt erstmal – gar nichts. Erst meine Drohung, ich würde meine Bank zur Rücknahme der Lastschrift veranlassen, bewegt etwas. Ich bekomme innert Tagen eine Bestätigungs-E-Mail über 1327 US-Dollar. Stimmt, das ist der Betrag für zwei Blackphones.
SGP will mein Geld nicht
Das Geld behalten ist natürlich kein Thema, also fix nochmals den Support angeschrieben. Wann ich denn telefonisch zu erreichen sei, um mich durch den Rück-Rückerstattungsprozess zu leiten. Man gehe davon aus, ich wolle meine Kreditkartendaten nicht per unverschlüsselter Mail herumschicken. Der Support sitzt zwar in den USA und nicht in Hong Kong, aber ob ich sieben Zeitzonen hinterher oder neun voraus bin, macht dann für die sportliche Herausforderung eines Telefontermins auch keinen Unterschied mehr. Ich frage nach, ob man denn per PGP-verschlüsselter Mail kommunizieren könne, schliesslich handele es sich ja um ein Unternehmen des Verschlüsselungspapstes Phil Zimmerman. Keine Reaktion darauf. Auch nicht auf meine Anrufe und Mailbox-Nachrichten.
Bis heute sitze ich auf rund 700 zu wenig gezahlten US-Dollar. Ich möchte sie eigentlich gerne an SGP loswerden, weil ich gute Startups in ihrer Gründungsphase gerne unterstütze. Und weil das Blackphone aus meinem Alltag inzwischen nicht mehr wegzudenken ist.
Dear Blackphone Customer Support: If you read this, please contact me! I’d love to look at a fully paid phone each morning!
Oberstes Bild: © Alin Cucu