Boat People in Südostasien: Das Drama der burmesischen Rohingya

Auch Südostasien erlebt derzeit eine Flüchtlingskrise. Die meisten der dortigen Boat People stammen aus Burma (Myanmar) und gehören der Minderheit der Rohingya an, die in ihrem Heimatland verfolgt wird und keine staatsbürgerlichen Rechte geltend machen kann.

Die Flüchtlingskrise in Südostasien entwickelte sich zuletzt von einem stillen Drama zu einem Faktum, das auch von den internationalen Medien wahrgenommen wurde. Das Ziel der meisten Bootsflüchtlinge in der Region ist Thailand, von wo sie auf dem Landweg nach Malaysia weiterreisen wollen.

Andere Flüchtlingsgruppen sind direkt auf dem Seeweg dorthin unterwegs. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) gibt an, dass in der Region derzeit schätzungsweise 8’000 Menschen auf dem Meer gefangen sind – die Anrainerstaaten weigern sich, sie aufzunehmen. Augenzeugen berichteten der BBC jetzt von dramatischen Überlebenskämpfen auf den Flüchtlingsbooten.

Die Anrainerstaaten sind mit der Aufnahme der Flüchtlinge überfordert

Passagiere eines Flüchtlingsbootes, das letzte Woche von der indonesischen Marine gerettet werden konnte, berichteten über grausame Szenen. Das Boot soll mindestens zwei Monate auf der Andamanensee unterwegs gewesen sein. In dieser Zeit starben rund 100 Flüchtlinge bei Kämpfen um die knappe Nahrung. Eine Mutter musste mit ihren Kindern für zwei Wochen völlig ohne Nahrungsmittel überleben. Die Flüchtlinge wurden vorerst auf der indonesischen Insel Sumatra untergebracht, dauerhaft aufgenommen werden sie dort jedoch nicht. Die thailändische Küstenwache versorgt die Flüchtlingsboote inzwischen mit Treibstoff, Wasser und Lebensmitteln. Beschädigte Boote werden repariert. Danach müssen die Flüchtlinge jedoch wieder aufs Meer hinaus. Auch Indonesien und Malaysia geben an, dass sie keine Kapazitäten für die Aufnahme der Flüchtlinge hätten.


Das Boot soll mindestens zwei Monate auf der Andamanensee unterwegs gewesen sein. (Bild: © Angelika Bentin – fotolia.com)

Massenexodus aus Burma

Malaysia hat derzeit Vorsitz der ASEAN – der Vereinigung südostasiatischer Staaten – inne. Sein Regierungschef Najib Razak versucht derzeit, den Druck auf die burmesische Regierung zu erhöhen, etwas gegen den Exodus aus ihrem Land zu unternehmen. Die meisten Bootsflüchtlinge in der Andamanensee stammen aus Burma und gehören der muslimischen Minderheit der Rohingya an. Sie leben vor allem in der Rakhine (Arakan)-Region im Westen des mehrheitlich buddhistischen Landes. In ihrer Heimat sind sie seit langem Diskriminierung, rassistischen Übergriffen und Vertreibungen ausgesetzt. Die NGO „Arakan Project“ gibt an, dass sich allein zwischen Januar und März 2015 etwa 28’500 Rohingya zur Flucht über das Meer entschlossen haben, in den letzten beiden Jahren waren es über 100’000.

Die Vereinten Nationen nennen umfassende Zahlen zu den Flüchtlingen aus Burma: Demnach emigrierten bisher 230’647 Menschen aus Burma nach Bangladesch. In Malaysia und Thailand leben 84’671 respektive 8’317 von ihnen. Nach Indien haben es 7’671 burmesische Flüchtlinge geschafft. In den USA und Japan gibt es mit jeweils 2’739 und 1’732 Menschen kleinere Kontingente.

Wer sind die Rohingya?

In Burma leben nach Angaben der Weltbank etwas über 53 Millionen Menschen. 800’000 von ihnen gehören zur Minderheit der Rohingya, die aus Sicht der burmesischen Regierung jedoch mit dem Staatsvolk des Landes nichts zu tun hat. Die Rohingya wurden vor über 150 Jahren durch die britischen Kolonialherren in Burma angesiedelt. Die burmesische Regierung betrachtet sie jedoch nach wie vor als illegale Einwanderer aus Bangladesch. Demzufolge verweigert sie ihnen die Staatsbürgerschaft sowie die Anerkennung als eine der insgesamt 135 Volksgruppen des Landes. Gegenüber der UNO erklärte ein burmesischer Diplomat, dass sich die Menschen seines Landes entschieden gegen den Begriff „Rohingya“ wehren und ihn auch in Zukunft nicht akzeptieren werden, da er mit ihrer Geschichte nichts zu tun hat. Nach offizieller Lesart und aus Sicht vieler buddhistischer Burmesen sind die Rohingya nichts weiter als „Bengalis“, die in Burma im Grunde nichts zu suchen haben.



Diskriminierung, Verfolgung, Internierung

Die Rohingya sind die Leidtragenden des demokratischen Wandels in Burma, der 2010 begonnen hat. Als Staatenlose haben sie nur einen eingeschränkten Zugang zum Bildungs- und Gesundheitsweisen. An Hetzjagden gegen sie sind oft auch Vertreter der staatlichen Sicherheitskräfte beteiligt. Beobachter und Aktivisten vermuten im Hintergrund Verteilungskämpfe, zumal in den vergangenen Jahren die Landpreise spürbar angestiegen sind, was unter anderem dazu führt, dass Vertreibungen der „Underdogs“ lukrativ sind. Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ gibt an, dass in den Jahren 2012 und 2013 über 200 Angehörige dieser Minderheit bei solchen Vertreibungsaktionen getötet worden sind. Seitdem wurden rund 140’000 Rohingya in Lagern interniert, in denen sie unter äusserst schlechten Lebensbedingungen vegetieren. Laut Berichten der Vereinten Nationen wurden NGO-Büros und Hilfsgüterdepots in diesen Lagern zum Teil durch aufgebrachte Mobs angegriffen und zerstört. Die Internierten leiden unter mangelnder medizinischer Versorgung und oft auch unter Nahrungsmittelknappheit. Der einzige Ausweg aus den Lagern ist für viele die Kontaktaufnahme zu Schlepperbanden.

Zwangsverhütung zum „Schutz von Religion und Rasse“?

Auf der Tagesordnung der burmesischen Regierung steht unter anderem ein Gesetzespaket, das den „Schutz von Religion und Rasse“ sicherstellen soll. Demnach sollen Frauen unter anderem in den ersten drei Jahren nach einer Geburt kein weiteres Kind bekommen dürfen. Beobachter – darunter „Human Rights Watch“ – befürchten, dass dieses Gesetz vor allem für die Rohingya gelten dürfte und Zwangsverhütungen nach sich ziehen könnte. Zu seinen Initiatoren gehört die radikale buddhistische Mönchsgruppe „Ma Ba Tha“, die auch in anderen Bereichen die Repressionen gegen die Rohingya massgeblich unterstützt.

Gibt es eine Wende in der Flüchtlingskrise?

In dieser Woche deutete sich in der südostasiatischen Flüchtlingskrise erstmals eine Wende an.

Malaysia und Indonesien erklärten sich unter der Voraussetzung internationaler Unterstützung dazu bereit, zumindest jene Flüchtlinge, die noch auf See treiben, aufzunehmen. Die Boat People und viele offizielle Stellen betrachten diese beiden Länder als vergleichsweise sichere Zufluchtsorte, da in Thailand auch Politiker, Polizei und Militär in den Menschenhandel mit den Rohingya verstrickt sind.

An einer langfristigen Lösung für die Burma-Flüchtlinge ist jedoch auch Thailand interessiert. Auf Initiative der thailändischen Regierung findet am 29. Mai 2015 in Bangkok ein internationaler Flüchtlingsgipfel statt, zu dem Vertreter der Anrainerstaaten, der USA sowie des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR erwartet werden. Burma hatte zunächst wissen lassen, dass es keine Einladung erhalten habe, die Minderheit nicht anerkennen und im Übrigen an keiner Veranstaltung teilnehmen werde, in deren Rahmen der Begriff „Rohingya“ verwendet wird. Inzwischen hat die burmesische Regierung ihre Blockadehaltung zumindest ein Stück weit aufgegeben und ihre Teilnahme an der Konferenz zugesagt. Zuvor waren der US-Vizeaussenminister Anthony Blinken sowie die Aussenminister Malaysias und Indonesiens zu Gesprächen in die burmesische Hauptstadt gereist.

Neues Flüchtlingsdrama vor der Küste Burmas

Inzwischen zeichnet sich vor der burmesischen Küste ein neues Flüchtlingsdrama ab. Das UNHCR teilte mit, dass dort etwa 2’000 Migranten auf Schlepperbooten gefangen gehalten werden. Wahrscheinlich wollten die Schlepper die Flüchtlinge ursprünglich nach Malaysia bringen. Aufgrund der dortigen härteren Gangart gegenüber illegalen Immigranten hätten sie ihre Pläne jedoch geändert und setzen jetzt auf einen Freikauf durch Familienangehörige in Burma. Hilfsorganisationen werden nicht zu den Flüchtlingsbooten durchgelassen. Die Lage der dort festgehaltenen Menschen soll bereits jetzt katastrophal sein.



Manche Aktivisten warnen auch davor, dass die Flüchtlingskrise in Südostasien durch die Konzepte der Anrainerstaaten noch lange nicht beendet wird – die schlechteste aller Lösungen wäre, wenn ihre Odyssee über das Meer in den Ankunftsländern in Internierungslagern endet. Fakt ist, dass in verschiedenen Regionen der Welt in den letzten Jahren die Flüchtlingszahlen explodieren, dass die Zielländer in Europa ebenso wie in Südostasien mit den Flüchtlingsströmen überfordert sind und eine „weltgesellschaftliche“ Lösung für die Flüchtlingsproblematik bislang in weiter Ferne steht.

 

Oberstes Bild: © tonympix – fotolia.com

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