Abstimmungssonntag in der Schweiz – 4 Referenden, 2 Gewinner
von Janine El-Saghir
Am vergangenen Sonntag hatten die Schweizerinnen und Schweizer über insgesamt vier Volksinitiativen zu entscheiden. Die vorgeschlagene Verfassungsänderung zur Präimplantationsdiagnostik (PID) wurde durch eine klare Mehrheit angenommen.
Weniger eindeutig fiel die Zustimmung für eine Reform des Rundfunk-und Fernsehgesetzes (RTVG) aus – am Ende sorgten knapp 3700 Stimmen dafür, dass die Initiative durchkam. Eine nationale Erbschaftssteuer sowie die finanzielle Förderung von Studierenden durch den Bund wird es auch weiterhin nicht geben, bei den Stimmbürgern sind beide Initiativen durchgefallen.
Grünes Licht für die Zulassung der PID
Im Vorfeld der Abstimmung zur Einführung der Präimplantationsdiagnostik gab es zum Teil sehr emotionale Kontroversen. Bisher war die PID in der Schweiz absolut verboten. Die Zahl der Embryonen für eine künstliche Befruchtung war auf drei begrenzt. Für eine Verfassungsänderung, die diese Regelungen lockert, sprachen sich 61,9 % der Abstimmungsteilnehmer aus. Die Stimmbeteiligung lag bei 43,5 %. Bei einer Trendumfrage Ende Mai war aufgrund des minimalen Vorsprungs der Befürworter noch keine sinnvolle Prognose möglich gewesen.
Die Westschweiz stimmte der Verfassungsänderung geschlossen und mit einer besonders hohen Anzahl von Ja-Stimmen zu. In der Waadt lag ihr Anteil bei 84,4 %, in Genf und Neuenburg bei 82,2 sowie 75,2 %. Den Spitzenplatz im Ja-Lager der Deutschschweiz belegte der Kanton Zürich mit einer Zustimmungsquote von 64,8 %. Anders sah es in kleineren und ländlich geprägten Kantonen aus. Die Einwohner von Obwalden und Appenzell Innerrhoden stimmten zu 55,8 respektive 55,5 % dagegen. Zum Nein-Lager gehören ausserdem die Kantone Appenzell Ausserrhoden, Schaffhausen, Schwyz und Uri. Von 23 Ständevertretern kamen 17 ganze und 3 halbe Stimmen für die PID.
Noch eine Hürde für die PID: das Referendum über entsprechende Gesetzesänderungen
Die PID-Initiative sieht vor, dass für eine In-Vitro-Fertilisation künftig pro Zyklus maximal zwölf Embryonen entstehen dürfen; überzählige Embryonen dürfen für maximal ein Jahrzehnt tiefgefroren werden. Ausserdem ist es nun zulässig, die Embryonen vor der Implantation auf genetische Defekte zu untersuchen. Von den neuen Regelungen werden pro Jahr etwa 6000 Paare profitieren, die sich ihren Kinderwunsch durch eine In-Vitro-Fertilisation erfüllen wollen – durch die höhere Zahl von Embryonen könnten ihre Erfolgschancen dafür aus medizinischer Sicht deutlich steigen. Die eigentliche PID ist jährlich für etwa 700 Paare relevant, die ein besonders hohes Risiko für die Weitergabe von Gendefekten und Erbkrankheiten haben.
In Kraft treten wird die Verfassungsänderung voraussichtlich erst 2017, sofern die Schweizerinnen und Schweizer im nächsten Jahr auch für die Revision des Fortpflanzungsmedizingesetzes stimmen. Bei einer Ablehnung würden die bestehenden Gesetze weiterhin gelten und die PID auf dieser Grundlage verboten bleiben. Die grossen Behindertenorganisationen Agile.ch und Pro Infirmis kündigten noch am Wahlsonntag an, dass sie die Gegner einer Gesetzesänderung unterstützen würden. Sie befürchten, dass durch die Zulassung der PID die gesellschaftliche Stigmatisierung von Behinderten wachsen wird.
Einen Freipass erhalten die Fortpflanzungsmediziner im Übrigen auch durch die neuen Regelungen nicht. Im internationalen Vergleich sind auch die neuen Bestimmungen streng. Legalisiert werden lediglich Tests, die während einer Schwangerschaft im Rahmen der pränatalen (vorgeburtlichen) Diagnostik bereits erlaubt sind und auch vorgenommen werden. Betroffene Eltern stehen bisher vor der Entscheidung, ob sie nach der Diagnose genetischer Schädigungen die Schwangerschaft abbrechen oder das Kind behalten wollen. Mit der Möglichkeit der PID erhalten sie zumindest nach einer künstlichen Befruchtung ausserhalb des Mutterleibs in dieser Frage Sicherheit. Hinzu kommt, dass Eltern eine PID ebenso wie Massnahmen der vorgeburtlichen Diagnostik verweigern dürfen und die Ärzte dies zu respektieren haben.
Revision des RTVG – nur mit äusserst knapper Mehrheit
Eine Rundfunk- und Fernsehabgabe müssen künftig alle Schweizer Haushalte und auch die Unternehmen bezahlen, gleichzeitig werden die Radio- und TV-Gebühren von 462 auf etwa 400 Franken sinken. Das Abstimmungsergebnis war allerdings denkbar knapp: Mit Ja votierten lediglich 50,08 % der Wähler. Zustimmung fand die Gesetzesvorlage vor allem im Westen und Nordwesten sowie im Kanton Graubünden.
Interessant ist, dass vor allem die Auslandsschweizer die Reform begrüssten, die von ihr gar nicht direkt betroffen sind. Der Präsident des Gewerbeverbandes, Hans-Ulrich Bigler, hatte schon im Vorfeld der Abstimmung gegen die angebliche Mediensteuer gewettert. Möglicherweise will der FDP-Mann nun eine Nachzählung erreichen. Bei „sehr knappen“ Abstimmungsergebnissen fordert der Gesetzgeber dieses Prozedere sogar automatisch – ob die RTVG-Initiative die Kriterien dafür erfüllt, ist eine offene Frage.
Noch lange nicht abgeschlossen ist auch die Diskussion um den öffentlichen Auftrag der SRG: Was sind die Alleinstellungsmerkmale des Service public? Welche Aufgaben hat dieser angesichts der Konkurrenz durch private Wettbewerber? Vor einem Jahr hat der Ständerat den Bundesrat damit beauftragt, die Leistungen der SEG unter diesen Aspekten zu überprüfen – ein entsprechender Bericht wird 2016 publiziert. Ein Jahr später endet die Konzession der SRG. Die „Aktion Medienfreiheit“ – ein Aktionsbündnis bürgerlicher Politiker, das von der SVP-Nationalrätin Natalie Rickli geleitet wird – fordert bereits jetzt, die SRG-Konzession um maximal ein Jahr zu verlängern, und mahnt drastische Gebührensenkungen an. Denkbar ist auch eine Revision des Bundesverfassungsartikels 93, der die Aufgaben des Service public als Beitrag zur Bildung, freien Meinungsbildung, zur kulturellen Entfaltung sowie zur Unterhaltung definiert, wobei auch die Bedürfnisse der Kantone eine Rolle spielen.
Die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer ist vom Tisch
Gegen eine nationale Erbschaftssteuer sprachen sich rund 71 % der Wähler aus – die Stimmbeteiligung lag bei 43,7 %. In ihrer letzten Trendumfrage war die SRG noch auf etwa 61 % an Nein-Stimmen gekommen. In ihrer Ablehnung der Erbschaftssteuer waren sich die Schweizerinnen und Schweizer weitgehend einig, eine Mehrheit dafür fand sich in keinem einzigen Kanton. Die meisten Absagen an diese Initiative gab es mit 84,4 respektive 82,8 % in den Kantonen Wallis und Schwyz. Im Kanton Schwyz gibt es – einmalig in der Schweiz – auch keine kantonalen Erbschafts- oder Schenkungssteuern. Die meisten Befürworter fand die Initiative in Basel-Stadt, die Zahl der Nein-Stimmen lag hier nur bei 58,7 %.
Mit ihrer Entscheidung setzten die Bürgerinnen und Bürger zum zweiten Mal in einem halben Jahr nicht zuletzt ein starkes Zeichen für die Steuerhoheit der Kantone, nachdem sie sich bei der vorigen Abstimmung für das Beibehalten der Pauschalbesteuerung ausgesprochen hatten. Die Initiative zur Einführung der nationalen Erbschaftssteuer war letztlich ein linkes Projekt mit liberalem Anstrich – und mehr als einem Pferdefuss. Die Steuer sollte keine andere ersetzen, sondern vor allem die reformbedürftige AHV sanieren. Viele Schweizerinnen und Schweizer dürften die Abstimmungsvorlage auch als Attacke auf ihre familiären Werte und die Vorsorge für künftige Generationen empfunden haben. Hinzu kommt aus Sicht vieler Beobachter die vergleichsweise hohe Steuergerechtigkeit der Schweiz – der Fiskus verschont hierzulande auch die Reichen nicht. Pseudoliberale Kampfbegriffe wie „Geldadel“ und „Neofeudalismus“ trafen bei den Stimmbürgern auch deshalb keinen Nerv.
Die Vergabe von Stipendien bleibt Sache der Kantone
Mit ihrer Stipendieninitiative wollte der Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) landesweit einheitliche Regelungen für die Stipendienvergabe erreichen. Auch dieses Volksbegehren endete mit einem klaren Nein. Bei einer Stimmbeteiligung von 43,5 % sprachen sich 72,5 % der Wählerinnen und Wähler dagegen aus. Auch die Kantone sowie die Ständevertreter lehnten das Projekt unisono ab. Die finanzielle Förderung von Studierenden bleibt damit weiterhin Sache der Kantone.
Das Meinungsforschungsinstitut GFS Bern hatte ursprünglich mit 38 % Ja-Stimmen gerechnet, an der Wahlurne hat die Stipendieninitiative also deutlich schlechter abgeschnitten. Am höchsten war die Ablehnungsquote mit rund 87 % im Kanton Appenzell Innerrhoden. Tendenziell mehr Befürworter fanden sich in der Westschweiz – in den Kantonen Genf und Neuenburg stimmten immerhin rund 43 % dafür.
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