Uni Bern: Komplexe Zellen anders entstanden als gedacht
Biochemiker an der Universität Bern haben bei ihren Forschungen festgestellt, dass die Evolution komplexer Zellen wohl anders verlaufen ist, als bisher angenommen wurde. Ihre Forschung konzentrierte sich dabei auf die sogenannten „Protein-Import-Maschinen“ in Zellen, die die Mitochondirien mit Energie – von aussen zugeführten Proteinen – versorgen.
Mitochondrien sind die „Kraftwerke“ der Zellen und vom Zell-Rest durch zwei Membranschichten abgetrennt. Um Energie produzieren zu können, benötigen sie Protein-Baustoffe, die durch die beiden Membranschichten importiert werden müssen. Dafür sind zwei „Import-Nanomaschinen“ verantwortlich, die sich in der äusseren und der inneren Membranschicht befinden.
Nanomaschinen nicht gleich aufgebaut
Nun hat eine Forschergruppe um André Schneider vom Departement für Chemie und Biochemie der Universität Bern in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Bettina Warscheid der Universität Freiburg i.Br. herausgefunden, dass diese Nanomaschinen bei einzelligen Parasiten ganz anders aufgebaut sind als beim Menschen.
Diese Erkenntnis gilt nicht nur für die „Import-Maschine“ in der äusseren Membran der Mitochondrien, sondern auch für diejenige in der inneren Membran, deren ungewöhnliche Zusammensetzung das Forscher-Team nun identifiziert hat. Die Annahme, dass die Import-Nanomaschinen aller Mitochondrien gleich aufgebaut sind, egal ob bei Einzellern oder dem Menschen, stimmt somit nicht. „Unsere Ideen, wie die Mitochondrien entstanden sind, müssen deshalb modifiziert werden“, sagt Schneider.
Das Bild vom Benzin- und Elektromotor
Das Mitochondrium war ursprünglich eine einfach aufgebaute Bakterienzelle, die vor etwa zwei Milliarden Jahren von einer grösseren Zelle aufgenommen und dann in ein Zellkompartiment umgewandelt wurde. „Neben der Entstehung des Lebens selbst war dieser Umwandlungsprozess das wohl wichtigste Ereignis in der Evolution überhaupt“, sagt Schneider. Er bildete nämlich die Grundlage für die Entwicklung von komplexen Zellen, aus denen sämtliche Pflanzen und Tiere sowie viele Mikroorganismen bestehen.
„Auch Menschen bestehen aus komplexen Zellen. Es geht also hier letztlich auch darum zu ergründen, wie wir uns selber entwickelt haben“, erklärt Schneider. Eine ganz zentrale Voraussetzung für die Entstehung der Mitochondrien und somit für die Evolution von komplexen Zellen war die Entwicklung einer effizienten Protein-Importmaschinerie. Bisherige Annahmen gingen davon aus, dass diese einmal entwickelt und danach nur noch leicht den Lebensbedingungen der jeweiligen Organismen angepasst wurde.
Die neuen Daten zeigen jedoch, dass dem nicht so ist. Zwar sind diese Import-Nanomaschinen sowohl bei Trypanosomen als auch beim Menschen aus etwa 15 verschiedenen Proteinen aufgebaut, aber diese Bestandteile weisen bis auf drei Proteine keinerlei Ähnlichkeit miteinander auf. Diese Tatsache zeigt, dass das System bis auf drei Grundkomponenten in den Trypanosomen neu erfunden wurde.
„Die Situation ist damit in etwa vergleichbar mit dem Benzin- und dem Elektromotor, welche beide im Prinzip dieselbe Funktion haben, aber unabhängig voneinander erfunden wurden und deshalb auch völlig anders aufgebaut sind“, sagt Schneider. Diese Entdeckung zeigt, dass die erste komplexe Zelle vermutlich nur ein einfaches Import-System besass, dessen Evolution zu hochentwickelten Import-Nanomaschinen ein langwieriger Prozess war. Die heutigen effizienten, aus vielen verschiedenen Modulen bestehenden Importsysteme haben sich also später als ursprünglich angenommen entwickelt.
Anwendung beim Kampf gegen Schlafkrankheit
Trypanosomen sind nicht nur ein wichtiges Modellsystem für die Grundlagenforschung, sondern als Erreger der unbehandelt tödlich verlaufenden Schlafkrankheit auch von klinischer Bedeutung. „Das neuentdeckte Proteinimportsystem ist für das Überleben der Trypanosomen absolut notwendig. Da es ganz anders aufgebaut ist als das System in menschlichen Mitochondrien, könnte es sich als Zielstruktur für eine Chemotherapie gegen die Schlafkrankheit eignen“ sagt Schneider.
Quelle: Universität Bern
Artikelbild: © J. Tyc/S. Vaughn, Oxford Brookes University