Das tragische Schicksal von Samuel Koch

Der Fall des verunglückten „Wetten, dass?“-Kandidaten Samuel Koch erschüttert. Es ist die Geschichte eines 23-Jährigen, der hoffungsfroh und voller Pläne ins Erwachsenenleben startete. Der junge, sportbegeisterte Mann aus Efringen-Kirchen wollte Schauspieler werden und war auch schon von einer Schauspielschule in Hannover angenommen worden.

Zum Verhängnis wurde ihm sein Wunsch, sich vor einem Millionenpublikum in der ZDF-Show „Wetten, dass?“ als Kandidat zu beweisen. Bei der hoch riskanten Wette ging es darum, mit Aero-Jumpern (Sprungfedern) an den Beinen per Salto über fahrende Autos zu springen.

Die Wette ging schief. Schrecklich schief. Nach seinem furchtbaren Sturz ist Samuel Koch bewegungsunfähig. Diagnose: Querschnittslähmung. Für die Befriedigung einfachster Grundbedürfnisse ist der Verunglückte nun auf ständige Hilfe angewiesen: So muss er jetzt gefüttert werden, das Schlucken wird zur Qual. „Beschissen“ gehe es Samuel, berichtete zuletzt sein Vater, und die Ärzte sagen, dass Besserung kaum in Sicht sei.

Die Mitverantwortung des ZDF

Es ist ein viel zu hoher Preis, den der Verunglückte für 15 Minuten TV-Ruhm zahlte. Eine zwielichtige Rolle spielt dabei das ZDF. Leichtfertig wurde hier die Gesundheit eines Wettkandidaten der Jagd nach hoher Einschaltquote geopfert. Immer länger hatten die Autos im Verlauf der Wette werden müssen, um das Risiko quotenträchtig hochzuschrauben, und auch die Marke Audi musste werbewirksam platziert werden. Schwere Vorwürfe erhebt ein Freund von Samuel gegenüber dem Sender – Samuel hätte sich unter Druck gesetzt gefühlt und sich schliesslich skeptisch zu den Erfolgsaussichten der Wette geäußert.

Stirnrunzeln löst aus, dass der Fall ausgerechnet im gebührenfinanzierten Fernsehen stattgefunden hat. Wie gross wäre die moralische Empörung der Damen und Herren vom ZDF gewesen, wenn das Unglück bei einem Privatsender geschehen wäre? Umso bedenklicher, dass es sich um eine „Familiensendung“ handelt. Welche pädagogische Botschaft vermittelt die Sendung – dass derjenige die grösste Aufmerksamkeit bekommt, der das grösste Risiko an Leib und Leben eingeht? Gar nicht zu reden von dem Schock für die kindlichen Zuschauer, die das Unglück live miterleben mussten. Wurden die Kinder, die in der Wettarena zugegen waren, nach dem Unfall eigentlich psychologisch betreut?

Ich nehme Thomas Gottschalk ab, dass ihm der Vorfall persönlich nahe geht. Dass er die Moderation der Sendung nach Jahrzehnten abgeben will, finde ich eine anerkennenswerte Geste. Damit ist für mich die Sache aber noch nicht erledigt.

Gar nicht beruhigend ist, dass die vom ZDF eingerichtete Untersuchungskommission zu einer Entlastung des Senders gelangt. Wer erwartet auch etwas anderes als einen „Freispruch“, wenn sich jemand zum Richter in eigener Sache macht? Das ZDF stellt den Unfall als ein schicksalhaftes, unvorhersehbares Ereignis dar, als Folge einer Verkettung unglücklicher Umstände. Ja, letztlich wälzen die TV-Verantwortlichen die alleinige Schuld auf den Kandidaten ab.

Das vorhersehbare Unglück

Sicherlich, jeder ist verantwortlich für sein riskantes Handeln. Wer unbedingt von einer Brücke springen will, trägt das Risiko. Wer jedoch als Veranstalter einem solchen Spektakel eine Bühne bietet, kann sich mit einem billigen „Selber schuld!“ von einer Mitverantwortung nicht so einfach freisprechen.

Dass der Unfall unvorhersehbar war, davon kann keine Rede sein. Wäre ein Kandidat bei einer Wette vor Aufregung mit einem Herzinfarkt zusammengebrochen, könnte man diese Sicht gelten lassen. Anders ist es aber bei einer Wette, bei der möglicherweise verfehlte Zentimenter über Wohl und Wehe des Kandidaten entscheiden – und bei der über Knieschoner und einen Helm hinaus geeignete Schutzmaßnahmen fehlen. Dass sehr wohl ein Unglück zu befürchten war, davon zeugten auch die bangen Gesichter und Fragen von Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker in den Minuten vor der unglückseligen Wette. Sie waren sich also dessen bewusst, dass es sich um eine Zitterpartie handelte.

Hoffen auf minimale Besserung

Eine besonders tragische Rolle spielt der Vater, der bei der Wette hinterm Steuer sass. Ein so schweres Unglück ihres eigenen Kindes ist das Schlimmste, was Eltern erleben können. Unvorstellbar ist es aber, wenn man hierfür selbst Mitverantwortung trägt.

An das Schicksal von Samuel Koch zu erinnern, finde ich richtig – wir dürfen nicht einfach weiter zur nächsten TV-Sensation zappen. Dem Verunglückten sind Schritte auf dem Weg zur Besserung zu wünschen. Schon minimale Verbesserungen wären ein Erfolg, vielleicht, dass Samuel bald einen Finger oder einen Zeh wieder bewegen kann. Und medizinische Wunder soll es ja geben.

 

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