Macht aggressive Musik aggressiv?

Hämmernde Beats, verzerrte Gitarren, kreischende Sänger, aggressive Songtexte: Was bewirkt Musik, die sich solcher Mittel bedient, bei ihren Hörern? Oder anders gefragt: Macht aggressive Musik ihre Hörer aggressiv?

Einer, der diese Frage vehement bejaht, ist der in Freiburg/Breisgau lebende Musikwissenschaftler und Cembalist Dr. Klaus Miehling. Das Thema hat er auf rund 700 Seiten in seinem Buch „Gewaltmusik – Musikgewalt“ aufgearbeitet – sein Werk versteht sich zugleich als ein „Schwarzbuch der populären Musik“. Mit seinen provokanten Thesen hat Miehling erbitterte Reaktionen bei den Liebhabern von Rockmusik und Co. ausgelöst – fühlen sie sich doch von dem Doktor der Musikwissenschaft als potenzielle Gewalttäter abgestempelt.

Zusammengefasst gibt es für Miehling zwei Spielarten der Musik: eine gute, moralisch förderliche sowie eine schlechte, destruktive Form der Musik. Die erste Kategorie bildet die klassische Musik – die zweite bezeichnet Miehling als „Gewaltmusik“. Darunter subsumiert er (bis auf Ausnahmen1) praktisch die gesamte Bandbreite populärer Musik – ob Jazz, Pop, R’n’B, Rock, Heavy Metal, Rap oder Techno.

Als „ohrenfälligstes Kennzeichen“ der „Gewaltmusik“ nennt Miehling „das Schlagzeug“, dessen Wirkung „Schlägen, Schüssen oder Explosionen“ gleichkomme. Aber auch in „verzerrten Gitarren“ oder in der Aggressivität der menschliche Stimme könne Gewalt liegen. Der Hörer müsse sich mit der in solcherart Musik ausgedrückten Aggression identifizieren, „ansonsten könnte er diese Musik nicht ertragen“. „Gewaltmusik“, so Miehling, spricht vor allem das Stammhirn an, speziell „den Aggressions- und Sexualtrieb“ – während klassische Musik auch auf „die neueren kognitiven Schichten“ ziele.

Schädlicher Einfluss der „Gewaltmusik“

Der Konsum solcher populärer Musik ist laut Miehling eine wesentliche Ursache dafür, dass mit den neuen audiovisuellen Medien seit Mitte des vorigen Jahrhunderts „ungeahnte Dimensionen der Aggressivität“ erreicht wurden. Die „Gewaltmusik“ habe auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen einen negativen, schädlichen Einfluss: Sie fördere enthemmte Sexualität, Drogenkonsum, Kriminalität und Leistungsverweigerung. „Gewaltmusik“ sei zwar nicht die alleinige Ursache für Kriminalität, aber doch im Rahmen mentaler Beeinflussung eine der wirksamsten. Demnach sieht Miehling „Gewaltmusik“ als Bestandteil eines umfassenden kulturellen „Werteverfalls“.

Als Indizien bzw. Belege für seine Thesen nennt Miehling unter anderem überproportional häufige Drogen- und Gewaltexzesse von Rockmusikern sowie gewalttätige Ausschreitungen bei Rockkonzerten, die in Klassikhäusern und Opernhäusern hingegen nicht vorkommen. Solche Ausschreitungen hätten in den letzten Jahrzehnten zu „über 230 Toten“ und „über 25.000 bezifferten Verletzten“ geführt – zuzüglich „Sachschäden in Millionenhöhe“.  Ferner beruft sich Miehling auf psychologische Untersuchungen zum Verhalten von Probanden während und nach dem Konsum von „Gewaltmusik“ sowie zur Wirkung von Musik auf das Gehirn. So schreibt er:

„Nach dem Konsum von Gewaltmusikvideos wird dort gezeigtes sexuelles Rollenverhalten übernommen, werden feindselige sexuelle Vorstellungen und negative Gefühle geweckt, werden vermehrt antisoziales Verhalten und Gewalt als Problemlösung akzeptiert. Kinder, die das Programm des Gewaltmusiksenders MTV sehen, verhalten sich aggressiver und weniger hilfsbereit. Umgekehrt ging das aggressive Verhalten von Patienten auf einer forensischen klinischen Abteilung zurück, nachdem man ihnen diesen Sender entzogen hatte.“ (Seite 414)

Aggressive HipHopper, friedliche Klassikfans?

Cover des Buches „Gewaltmusik Musikgewalt – Populäre Musik und die Folgen“ von Klaus Miehling

Laut Miehling will eine Untersuchung auch festgestellt haben, dass Jugendliche der HipHop-Szene über ein erhöhtes „Aggressionspotenzial“ und über mehr „kriminelle Energie“ verfügen. Klassikhörer hätten hingegen den „geringsten Delinquenz-Score“ und würden seltener Straftaten begehen – und wenn dann geringere als „Gewaltmusikhörer“. Miehling macht das unter anderem an der Verbreitung illegaler Downloads fest: Diese würden häufiger von „Gewaltmusikhörern“ begangen, während illegales Herunterladen von Musik dem Verkauf von Klassiktonträgern nicht geschadet hätte.

Heisst das also, dass „Gewaltmusikhörer“ zwangsläufig zu kriminellen Straftätern mutieren? Nein, sagt Miehling, vielmehr gehe es um statistische Zusammenhänge. Schliesslich bekomme auch nicht jeder Raucher Lungenkrebs – trotzdem würde niemand die Gefährlichkeit des Rauchens infrage stellen. Und so wie das Rauchen immer mehr eingeschränkt wurde, wünscht sich das Miehling auch bei der „Gewaltmusik“. Seine Vision – „eine Gesellschaft, die musikkulturell auf der klassischen Musik aufgebaut ist.“ Hierzu sei ein Umdenkprozess erforderlich. Ohne „Gewaltmusik“ würde die Gesellschaft „ehrlicher und friedlicher“ werden, ist Miehling überzeugt.

Hitzige Diskussionen

Seine zahlreichen Kritiker werfen ihm unwissenschaftliches Vorgehen und reaktionären Kulturchauvinismus vor. Manche vermuten gar hinter dem promovierten Musikwissenschaftler ein Fake (was er aber nicht ist). Im Gästebuch auf seiner Homepage liefern sich Miehling und seine Gegner seit Jahren erregte Diskussionen. Auf seiner Webseite kann man sich übrigens für einen „Gewaltmusik-Nachrichtenbrief“ (abgekürzt GMNB) eintragen, der „Feinde der Gewaltmusik“ regelmässig zum Thema informiert.

Auch wenn Miehlings Thesen arg zugespitzt erscheinen – immerhin liefern sie Zündstoff für eine angeregte Debatte. Wer die Frage „Macht aggressive Musik aggressiv?“ rundweg mit „Nein“ beantwortet, sieht sich von Klaus Miehlings provokanter Position zumindest herausgefordert, dafür gute Argumente vorzubringen.


1) Als Ausnahmen in der Unterhaltungsmusik nennt Miehling etwa den Bereich der „Liedermacher“ oder des „klassischen Musicals“. Im Gegenzug zählt er auch avantgardistische E-Musik zur „Gewaltmusik“ – somit zieht er die Grenze zwischen den beiden Kategorien nicht klar zwischen U- und E-Musik.


 

Oberstes Bild: © Madlen – shutterstock.com

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