Estrela entpuppt sich als schlechte Verliererin

Der Estrela-Bericht ist gestoppt. Das Papier, das unter anderem Abtreibung als ein Menschenrecht und verpflichtende Sexualerziehung ab der Grundschule für alle EU-Staaten fordert (newsbloggers berichtete), wurde vom EU-Parlament gestern mit 334 zu 327 Stimmen abgelehnt.

Doch damit ist die Sache nicht erledigt: Die Reaktionen Estrelas und ihrer Gesinnungsgenoss(inn)en lassen Rückschlüsse auf ihre wahre Motivation zu. Eine Nachlese.


Strassburg gestern Mittag kurz vor 13 Uhr: Die Gegner des „Reports on Sexual and Reproductive Health and Rights“ jubeln, die Initiatorin Edite Estrela schäumt vor Wut. Das EU-Parlament hat statt ihrem Bericht einen Alternativvorschlag angenommen, der die Zuständigkeit für Fragen der Sexualerziehung und Gesundheitspolitik klar in die Mitgliedsländer verweist.

Offensichtlich sieht Estrela sich als Opfer einer transnationalen Verschwörung. Nach der Niederlage erklärte sie: „Sie können mich nicht einschüchtern. Ich habe Recht!“ Wer sie wann einzuschüchtern versucht haben soll, bleibt unklar. Ihre Parlamentarierkollegen beschimpfte sie jedenfalls als „Heuchler“ und die Abstimmung als „schändlich“. Dem Parlament als Ganzem warf sie vor, von „fundamentalistischen Strömungen“ unterwandert zu sein. In die gleiche Kerbe schlug auch Ulrike Lunacek, die Vizepräsidentin der Grünen im Europaparlament. Mit dem Votum beuge sich das Parlament „dem Druck ultrakonservativer und reaktionärer Politikerinnen und NGOs“.


Mit diesem Papier (hier eine zentrale Passage hervorgehoben) wollte der Frauenausschuss um Estrela die Abtreibungspolitik Europas umkrempeln. (Quelle: Report on Sexual and Reproductive Health and Rights)

Das ist nicht mehr die Sprache von Demokratinnen, die über ein Abstimmungsergebnis enttäuscht sind. Vielmehr klingen solche Äusserungen nach ideologischem Kampf – einem Kampf, den Estrela & Co. äusserst verbissen führen. Sicherlich mit einer Grundüberzeugung, die sie selbst für richtig halten. Das würde Estrelas unbeugsames „Ich habe Recht“ genauso erklären wie Lunaceks Erklärung, die Abstimmung sein „ein Schlag ins Gesicht für Frauenrechte“. Wenn man aus diesen Äusserungen versucht, die Welt aus der Sicht dieser Politikerinnen zu sehen, käme, stark vereinfach, Folgendes dabei heraus: Frauen haben ein grundsätzliches Recht, über ihren Körper zu verfügen, wie sie wollen; dieses Recht wird ihnen im vollen Umfang nach wie vor nicht zugesprochen; hinter den Widerständen müssen patriarchalisch denkende Männer stehen, die weiter ihr rückwärtsgewandtes Familien- und Gesellschaftsbild aufrecht erhalten wollen.

Auch wenn man die Beweggründe zum Teil nachvollziehen kann, entschuldigt dies doch nicht Estrelas Verhalten. Demokratie beruht nun einmal auf dem Votum der Mehrheit. Wenn diese für etwas stimmt, hat dies eine Aussagekraft; gewiss kann man Manipulationen im Hintergrund mutmassen, doch das öffentliche Auftreten von 200 Pro-Life-Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude, die fast 37’000 Unterschriften, die allein über die CitizenGO-Petition zusammenkamen sowie die 4’300 Likes für das „Estrela-No“-Profil auf Facebook sind legitime Mittel der freien Meinungsäusserung. Und: Abtreibungsbefürworter und Homosexuellen-Lobbys sind auch keine Kinder von Traurigkeit, wenn es um polemische Meinungsmache (die hier von Seiten der Gegner gar nicht stattgefunden hat) geht. Letztlich dürfen alle für ihre Position kämpfen, und am Ende gewinnt halt die Mehrheit.



Estrela kann das nicht akzeptieren. Von ihrem Landsmann Nuno Melo von der EVP kassierte sie deshalb eine scharfe Rüge: „Eine echte Demokratin akzeptiert das Abstimmungsergebnis! Sie sind eine Schande für die Sozialisten in Europa!“ Über den letzten Satz mag man geteilter Meinung sein. Vielleicht ist es auch das heissblütige portugiesische Temperament, das solche hitzige Worte hervorbringt. Eins bleibt gewiss: Die selbsternannten „Kämpferinnen für Frauenrechte“ haben ihr wahres Gesicht gezeigt. Es ist nicht ein Gesicht ausgewogener Demokratie, sondern das eines ideologisch verbrämten Kampfes für etwas, das eben bei weitem nicht alle Frauen wollen. Die Estrela-Abstimmung hat endlich einmal die sonst so klammheimliche und unbeachtete Arbeit der europäischen Parlamentarier ins Zentrum der Öffentlichkeit gebracht. Das ist ein sehr positiver Nebeneffekt. Denn: 334 zu 327 ist ein knappes Ergebnis. Man sollte ein wachsames Auge auf das Parlament werfen. Beim nächsten Mal könnte es andersherum ausgehen. Denn Estrela wird weiter kämpfen.

 

Oberstes Bild: Die sozialistische Europaabgeordnete Edite Estrela Foto-AG Gymnasium Melle / Wikimedia / CC

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