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Warum Abtreibung antiliberal ist

04.02.2014 |  Von  |  News

Abtreibung – ein heisses und heiss umkämpftes Thema. Das war es schon immer. Aktuell wird es in der Schweiz wieder einmal auf der grossen öffentlichen Bühne debattiert.

Am 9. Februar kommt die Initiative „Abtreibung ist Privatsache“ zur Volksabstimmung.Gelegenheit, abseits der politischen Argumentarien noch einmal die Kernfrage zu beleuchten: Ist Abtreibung moralisch überhaupt zu vertreten?

Wer diese Frage so stellt, outet sich dadurch meist schon als Abtreibungsgegner. Diese wiederum verortet man in der Regel – und besonders linksliberale Medien tun dies mit Vorliebe – im Bereich konservativ-christlicher bis „fundamentalistischer“ (was auch immer das dann genau bedeutet) Kreise. Dass man auch mit liberalen Argumenten gegen Abtreibung sein kann, hat kaum jemand auf dem Schirm. In einer genauso genialen wie logisch bestechenden Argumentation hat jüngst Roger Köppel, Chefredakteur der Weltwoche, vorgemacht, dass man nicht an Gott glauben muss, um gegen Abtreibung zu sein.

„Sind Abtreibungen aus liberaler Sicht ­eigentlich zulässig? Ich glaube nicht“ setzt Köppel zu einem furiosen Plädoyer für den reinen Liberalismus an. Der Liberalismus setze sich dafür ein, dass die Freiheit des Einzelnen gegenüber dem Staat, gegenüber Dritten und gegenüber der Gesellschaft ge­sichert wird – sofern die Freiheit des einen nicht die Freiheit des anderen gefährde. Eine liberale Haltung sei laut Köppel also gegen Leibeigenschaft in jeder Form gerichtet. Das Individuum und sein Eigenwert bilden denn auch das Herzstück des Liberalismus, hieraus erwachsen Grundrechte wie die Pressefreiheit, die Freiheit des Marktes oder das Recht auf Eigentum.

Menschen dürften, so Köppel, also im liberalen Denkrahmen nicht wie „Gegenstände“ behandelt werden. Schon Immanuel Kant erkannte dies und verwehrte sich gegen die leider oft zu findende Praxis, Menschen als Mittel und nicht als Zweck zu betrachten. Kompakt und plakativ findet man diese Auffassung etwa in Sätzen wie „Der Staat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Staat“. Dies würden sicherlich die meisten Schweizerinnen und Schweizer unterschreiben. Doch die logische Schlussfolgerung, die sich aus der Autonomie des Individuums ergibt, gehen viele nicht mehr mit. Wenn der Mensch Zweck und nicht Mittel ist, ist das menschliche Leben der höchste Wert, den es zu verteidigen gilt – noch höher als das Eigentum, welches nur einen abgeleiteten Wert darstellt. Roger Köppel kondensiert diese stringente Logik in einer fast schon an eine Aufforderung erinnernden Feststellung: „Der Liberale setzt sich für das Leben ein – in möglichst freier, selbstbestimmter Form.“

Diese Maxime ist mit Abtreibungen unvereinbar, meint Köppel weiter. Sie seien nämlich auf das antiliberale Bestreben ausgerichtet, das Recht eines entstehenden Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben zu annullieren. Abtreibung sei „ein mit der liberalen Philosophie nicht vereinbarer Übergriff der Mutter auf das Leben ihres noch nicht geborenen Kindes“. Nun würden Abtreibungsbefürworter an dieser Stelle sicherlich einwenden, ein Embryo sei noch kein Mensch, oder zumindest sei dies nicht völlig klar. Tatsächlich ist diese Diskussion ein eigenes Feld, das zu betreten den Rahmen dieses Artikels eindeutig sprengen würde. Es ist aber nicht erheblich, ab welchem Zeitpunkt man einen Fötus als Mensch definiert. Die Frage muss vielmehr lauten: Ist ein im Entstehen begriffenes ­Individuum so umfassend „Eigentum“ der Mutter, dass die Mutter damit machen kann, was sie will? Darf sie – nur weil sie in der Position der Mächtigeren steht – die fundamentalste Entscheidung über das Leben eines anderen (entstehenden) Menschen treffen, nämlich ob er leben darf oder nicht?

Natürlich: Die Causa ist keine rein rational-philosophische. Es spielen Emotionen mit hinein, mächtige Emotionen. Etwa bei Vergewaltigungen. Oder bei mit grosser Sicherheit behinderten Kindern. Dennoch berühren sie die zentrale, oben formulierte Fragestellung nicht. Denn es geht ja darum, ob eine Mutter überhaupt das (natürliche, nicht juristische – wobei streng genommen in der Schweiz auch das juristische nicht gegeben ist) Recht hat, ihrem ungeborenen Kind das Leben zu nehmen – nicht um die möglichen Beweggründe und Begleitumstände eines Schwangerschaftsabbruchs. Ganz abgesehen davon, dass die „Härtefälle“ nur einen winzigen Bruchteil aller Abtreibungen ausmachen.

Aus einer anderen Perspektive beleuchtet, gewinnt das liberale Anti-Abtreibungsargument sogar noch mehr an Kraft. Das Baby kann man nicht fragen, ob es leben will oder nicht; den Erwachsenen schon. Und welcher mündige Erwachsene möchte schon gerne abgetrieben worden sein? Wohl niemand. Gerade das – die meisten Abtreibungen werden, wie schon gesagt, an völlig gesunden Föten vorgenommen – zeigt laut Köppel den „Fundamentalwiderspruch zum wichtigsten liberalen Grundprinzip, dem aus nichtreligiösen Gründen das individuelle Leben heilig ist“, dessen sich gerade die westlichen Gesellschaften schuldig machen. Gerade sie schreiben sich Liberalität auf die Fahnen. Dabei kann nach den obigen Ausführungen Liberalismus nie bedeuten, dass eine Gruppe von Menschen ihre Interessen gegenüber anderen Menschen so weit verabsolutiert, dass diesen ihr Existenzrecht verweigert wird. Köppel meint sogar, man können nicht gleichzeitig liberal und für Abtreibungen sein.

Letztlich trifft das, was Abtreibungsbefürworter den Gegnern oft vorwerfen, eher auf sie zu. Sie argumentieren mit Freiheit und beschuldigen die Gegenseite der individuellen Freiheitsberaubung. Ob man es wahrhaben will oder nicht: Den grössten Freiheitsraub fördert derjenige, der sich für Abtreibung einsetzt.

 
Titelbild: © ivan kmit – Fotolia