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Immer mehr Chefs fordern von ihren Mitarbeitern „schöne Zähne“

23.03.2014 |  Von  |  Beitrag

Der von den Vereinigten Staaten importierte Schönheitswahn nimmt immer neue, teils traurig-kuriose Züge an.

Ähnlich der Art der potemkinschen Dörfer zählt auch in Bezug auf menschliche Äusserlichkeiten oftmals mehr die Fassade als das, was wirklich dahinter steckt. So sind heute schöne Zähne nicht nur gut für ein gesundes Lächeln, sondern offenbar auch für eine strahlende Karriere.

Laut einer Meldung von „20 Minuten“ schicken zunehmend mehr Arbeitgeber ihre Beschäftigten zum Zahnarzt, um dort Zahnfehlstellungskorrekturen vornehmen zu lassen. Natürlich meist auf Kosten der Arbeitnehmer selbst.

Was ein schönes Äusseres verrät

Zunächst nicht viel. Schönheit liegt ohnehin im Auge des Betrachters. Gepflegt zu sein, erscheint mir selbst wichtiger als der Hang nach kommerziell geprägten Schönheitsidealen. Unabhängig von meiner eigenen Haltung nimmt der Run auf die Schönheitskliniken immer weiter zu. Teils verständlich, teils nicht wirklich nachvollziehbar.

Da wird an Nasen, Wangenknochen und Brüsten geschnitten, gesägt und geschraubt. Fettabsaugungen und Implantate bis in den Po hinein verändern die Figur, und natürlich stehen auch die Zähne immer wieder im Fokus des Interesses. Während sich bei dem einen eine kosmetisch korrigierende Operation als sinnvoll und hilfreich erweist, wirken andere am Ende ihrer Beauty-Odyssee künstlich und eben „gemacht“. Nicht selten sind es auch wahre Verunstaltungen, die vorgeblich der Schönheit dienen. Aber die liegt nun mal, wie gesagt, im Auge des Betrachters.

„Geh mal zum Zahnarzt und lass da was machen!“

Mit dieser oder ähnlichen Aufforderungen wird laut „20 Minuten“ neuerdings auch so mancher Beschäftigter in unterschiedlichen Unternehmen konfrontiert. Besonders dort, wo im engen Kundenkontakt gearbeitet wird, stehen Äusserlichkeiten ganz oben auf der Skala der Wunscheigenschaften vieler Chefs für ihre Angestellten. Mancher Arbeitnehmer versteht das als gut gemeinte Aufforderung, andere fühlen sich schon persönlich angegriffen. Warum auch sollte jemand ohne Beschwerden zum Zahnarzt gehen, um medizinisch nicht notwendige Korrekturen vornehmen zu lassen? Eben der Schönheit und Ausstrahlung und letztlich der Karriere wegen.

Viele der Aufgeforderten kommen der Bitte ihres Vorgesetzten nach. Natürlich auf eigene Kosten, aber immer mit der Hoffnung auf einen Karrieresprung. Ob der nun wirklich von künstlich weissen, aufwändig gerade gestellten und in einer geometrisch korrekt stehenden Zahnreihe positiv beeinflusst wird, bleibt fraglich.

Dabei holt der Schönheitswahn so langsam auch die Schweizer Jugend ein. Immerhin sehen es junge Bewerber als durchaus förderlich an, mit einem attraktiven Aussehen schon bei der Bewerbung – abseits von Qualifikation und persönlichen Qualitäten – zu punkten. Eine Studie belegt, dass „schöne“ Menschen im Durchschnitt erfolgreicher sind, eben auch schon bei der Jobsuche.

Wie sehen die Zahlen aus?

Auf die chefseitige Forderung der Zahnkorrektur reagieren die Schweizer noch verhalten, aber schon erschreckend willfährig. In einer Befragung mit insgesamt knapp 6’300 Teilnehmern waren immerhin 15 % uneingeschränkt zu einer ästhetischen Zahnbehandlung bereit. „Für die Karriere tu ich alles.“, war hier der einheitliche Tenor. Immerhin 39 % wären zu einem solchen Eingriff bereit, wenn der Arbeitgeber die Kosten trägt. Mit 43 % liegt die ablehnende Haltung zu solchen Ansinnen noch im leichten Vorsprung. Hier besteht der Wunsch, dass vorrangig nach der Leistung und nicht nach dem Aussehen beurteilt wird. Lediglich 3 % zeigen sich mit einem „Weiss nicht“ vorsichtig und unentschlossen.

Eigentlich könnte sich jetzt jeder beruhigt zurücklehnen. Wenn da nicht die immerhin 15 % der Karrieristen wären – und das Leben selbst. Sowohl bei der Partnersuche als auch im Job spielen Äusserlichkeiten ein zunehmend grössere Rolle. Das spüren vor allem junge Leute, aber auch ältere Arbeitnehmer, die von der Natur weniger bevorteilt sind und sich eine Schönheitsoperation nicht leisten können oder wollen.


Was sagt die Strasse zu der vorliegenden Studie.

Was sagt die Strasse zu der vorliegenden Studie. (Bild: MJTH / Shutterstock.com)


Was sagt die Strasse zu der vorliegenden Studie

Ähnlich wie in der erwähnten statistischen Erhebung gehen die Meinungen zu den angeordneten optischen Korrekturen in der Bevölkerung weit auseinander. Die Mehrheit der Schweizer versteht eine entsprechende Aufforderung durch den Chef als unverhältnismässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Dennoch ist eine Zustimmung zu solchen Ansinnen nicht selten. Interessant jedoch sind die Ansichten der meisten, dass ein attraktives Aussehen zwar angenehm sei, letztlich aber nicht über den Wert der geleisteten Arbeit bestimme.

Dieser Auffassung stimmen auch viele Coaches, Personalberater und Krankenversicherer bei. Letztlich gehe es um das Gesamtpaket, dass ein Arbeitnehmer in die Unternehmen einbringt. Dass auf öffentlich präsenten Positionen mehr Wert auf Äusserlichkeiten gelegt wird, bleibt ohne Frage. Dennoch ist ein Reduzieren der Person auf ihre Optik problematisch.

Arbeitgeber dürfen ihre Beschäftigten nicht direkt oder indirekt zu kosmetischen Eingriffen zwingen, sofern der Gesamtauftritt ansonsten anständig und berufsbezogen angemessen ist. Werden beispielsweise verfärbte Zähne oder unästhetische Zahnstellungen als Kündigungsgrund hergenommen, dann entsteht daraus eine missbräuchliche Kündigung mit all ihren Folgen.

Aufschlussreich sind auch so manche Kommentare zum Thema auf „20 Minuten“. So stellt beispielsweise ein Investmentkunde einer Bank fest, dass sein neuer Berater trotz seiner überaus attraktiven Erscheinung mit einem strahlend weissen Lächeln fachlich in keiner Weise so kompetent sei, wie sein zugegebenermassen etwas benachteiligter Vorgänger. Den wünscht er sich zurück, weil er in erster Linie gut beraten und betreut und weniger strahlend, aber hilflos angelächelt werden möchte.

 

Oberstes Bild: © damato – Shutterstock

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