Kindergärtner – ein ständiger Kampf mit dem Pädophilie-Vorurteil

Wenn sich ein Mann für eine Stelle im Kindergarten bewirbt, hat er mitunter kaum Chancen auf eine Zusage, denn das Pädophilie-Vorurteil ist weitverbreitet.

Die Situation scheint kaum vorstellbar: In einer Bewerbungsrunde stehen zwei gleichwertige Kandidaten in der Endausscheidung. Eine Frau und ein Mann. Beiden wurde die Gelegenheit gegeben, sich den Personalverantwortlichen vorzustellen. Nachdem der männliche Bewerber allerdings den Raum verlassen hat, nimmt die Gremiumschefin sein Dossier und schiebt es beiseite. Der Entscheid ist zugunsten der Frau ausgefallen, mit der Begründung, dass man ja bei einem Mann nie wissen könne – nachher sei er noch pädophil.

Die Statistik schürt das Vorurteil

Diese Szene hat sich vor Kurzem in einer Zürcher Agglomerationsgemeinde während der Schulpflegesitzung zugetragen. In der Bewerbungsrunde ging es um die Besetzung einer freien Stelle in einem Kindergarten. Hier zeigt sich, wie sehr die Entscheidungen der Verantwortlichen von der Angst geprägt sind, was die Eltern darüber denken könnten, wenn ein Mann auf ihre Kleinen aufpassen würde. Begründet liegt diese Angst in der Statistik: Auch wenn im Vergleich zu anderen Straftaten sexuelle Handlungen mit Kindern äusserst selten vorkommen, so zeigt die Zürcher Kriminalstatistik, dass die Täter in neun von zehn Fällen männlich sind.

Es ist dieser schwelende Verdacht, der viele Männer davon abhält, sich für den Beruf des Kindergärtners zu entscheiden. Dieses Vorurteil stehe immer im Raum, erklärt Beat Ramseier, der Geschäftsleiter des Netzwerks Schulische Bubenarbeit. Das Netzwerk setzt sich seit Langem dafür ein, mehr Männer für den Lehrberuf zu begeistern. Allerdings käme in Gesprächen oft die Angst der Interessenten vor dem Argwohn der Behördenvertreter und Eltern zur Sprache. Dass eine Schulpflege aber, wie im zuvor genannten Fall, diese Vorurteile so offen zur Schau stellt, grenzt für Ramseier schon an einen Skandal.

Männeranteil im Studium ist verschwindend gering

Diese Angst vor Vorverurteilung spiegelt sich auch in den Studentenzahlen der Pädagogischen Hochschule (PH) in Zürich wider. Auf 50 Frauen, die sich dort zu Kindergärtnerinnen ausbilden lassen, kam in den letzten Jahren gerade einmal ein Mann. Die Folgen dieses Ungleichgewichts beginnen sich in Zürich besonders stark abzuzeichnen. Das geht so weit, dass in den Kindergärten inzwischen ein Personalmangel spürbar wird. So musste beispielsweise die Gemeinde Schlieren das neue Schuljahr mit drei unbesetzten Stellen beginnen. Dass es aber auch anders geht, zeigt ein Quartier in der Stadt Basel. Dort sind 25 % der Kindergartenlehrpersonen Männer.

Beim kantonalen Volksschulamt und der PH dementiert man allerdings, dass es Fälle wie den beschriebenen gegeben habe. Man mache sogar die Erfahrung, dass männliche Absolventen auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt seien. Volksschulamtschef Martin Wendelspiess betont allerdings auch, dass bei derartigen Vorurteilen gegenüber einem Bewerber eine Anstellung kaum sinnvoll wäre. In einem solchen Fall wäre das Misstrauen einfach zu gross, weswegen sich ein erfolgreiches Arbeitsverhältnis niemals einstellen könnte.

Aus Sicht des Volksschulamtes sei das Geschlecht einer Lehrperson aber im Wesentlichen kein ausschlaggebendes Merkmal, so Wendelspiess. Den Männeranteil im Kindergarten zu steigern sei deshalb auch nicht das Anliegen der Schule. Anders als auf Bundesebene, wo die Suche nach Mitarbeitern für die Volksschule und die Kinderkrippen gefördert wird, gibt es im Kanton daher auch keine entsprechenden Kampagnen. Die PH mildert die Ausführungen des Volksschulamtes allerdings etwas ab und erklärt, dass sie selbstverständlich gerne mehr Männer für das Studium gewinnen würde.

Die Sorge ist ein ständiger Begleiter

Die grössten Sorgen machen sich allerdings die Kindergärtner selbst. Marc Randhawa, einer der wenigen Kindergärtner in Zürich, sagt zwar, dass er im Alltag nicht mit dem Pädophilie-Verdacht konfrontiert werde, allerdings sei er bei ihm trotzdem ein grosses Thema. So mache er sich oft mehr Sorgen als die Eltern, denn vor jedem Körperkontakt mit einem Kind stelle er sich die Frage, was jene denken würden, wenn sie jetzt sähen, dass er ihr eigenes oder ein fremdes Kind hochhebt?


Pädophilie. (Bild: Bakos Zoltan / Shutterstock.com)
Pädophilie. (Bild: Bakos Zoltan / Shutterstock.com)


Diese inneren Monologe kennt Ramseier vom Netzwerk Schulische Bildung nur zu gut. Seiner Erfahrung nach werden Männer unweigerlich mit dieser Thematik konfrontiert, sobald sie sich näher mit dem Berufswunsch des Kindergärtners auseinandersetzen. Vor 30 Jahren war das noch anders. Als Andreas Terinieri damals als Kindergärtner anfing, war seine grösste Angst, dass er als Mann nicht feinfühlig genug sein könnte.

Allerdings sind die Pädophilie-Vorurteile heutzutage nicht die einzige Hemmschwelle für die Männer. Auch fehlende Karriereaussichten und ein veraltetes Bild vom Kindergarten tragen einen grossen Teil zu der geringen Männerquote bei. Laut Ramseier sollte man den Männern vor Augen führen, dass Kindergärtner heutzutage ein anspruchsvoller Job sei. Schliesslich setze der Kindergarten in der wichtigsten Entwicklungsphase der Kinder an, um sie auf die Schule vorzubereiten.

Zu welchen teils drastisch anmutenden Regelungen und Einschränkungen das Bemühen führt, Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen, zeigen etliche Schlagzeilen der letzten Jahre. So wurde beispielsweise im März 2012 bekannt, dass die Zürcher Juniortrainer ein Papier unterzeichnen mussten, in dem sie erklärten, „Verzicht zu üben“ und sich nicht an Kindern zu vergehen. Ein ähnliches Papier musste auch ein männlicher Krippenleiter vor Antritt seiner Stelle unterschreiben.

 

Oberstes Bild: © Robert Kneschke – Shutterstock.com

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