Löhne – Oben und Unten

Die Initiative zum Mindestlohn wurde abgeschmettert, die Problematik bleibt. In der Schweiz klafft die Lohnschere weiter auseinander. Das bedeutet, dass der Abstand zwischen durchschnittlichen Kleingehältern und den Einkommen der Grossverdiener immer grösser wird. Stellt man sich diese Entwicklung dinglich als Schere vor, fragt sich, was dazwischen bleibt.

Interessant bei der Lohnentwicklung im Allgemeinen ist, dass hier nur mit Nominallöhnen gerechnet wird. Das bedeutet, dass beispielsweise inflationsbereinigte Zahlen in der Statistik kaum eine Rolle spielen. Damit wird die Situation vor allem für jene noch prekärer, die sich am unteren Ende der Lohnskala wiederfinden.

Konfliktträchtige Gesamtsituation

Wenn Sie zu jenen gehören, die sich mit einem monatlichen Lohn von 3’886 Franken begnügen müssen, leben Sie nicht nur knapp an der Grenze zur Armut, sondern verdienen damit auch nur etwas mehr als ein Drittel jener, die mit durchschnittlich 11’512 Franken gut bestückt nach Hause gehen. Dazu kommen noch die sogenannten Einkommensmillionäre, deren Gehälter deutlich höher liegen, die aber in die Summe der durchschnittlich Besserverdienenden bereits mit eingerechnet sind.

In sportlichen Zahlen bedeutet dieser Lohnabstand ein 3:1 zugunsten derer, die durchschnittlich besser verdienen.

Im Durchschnitt beträgt das monatliche Einkommen der Schweizer also 6’118 Franken. An dieser Zahl gemessen können Sie ganz persönlich abschätzen, wie dicht Sie selbst an diese Durchschnittslöhne herankommen.

Der Konfliktstoff in der Gesamtsituation liegt aber nicht in den Zahlen aus 2012 allein. Besonders ist es der Umstand, dass die höheren Gehälter in den vergangenen Jahren um etwa 23 % gestiegen sind, hingegen liegt der Lohnzuwachs bei den Geringverdienenden bei lediglich knappen 10 %. Auf die Lebensrealität bezogen bedeutet das, dass die Nominallöhne der Besserverdienenden in etwa doppelt so stark angestiegen sind wie die Löhne der Geringverdienenden. Dementsprechend treffen auch Teuerungen und die Inflation die Wenigerverdienenden deutlich heftiger, als die Bezugsempfänger auf der anderen Seite der Lohnschere.

Klare Zahlen müssen zugeordnet werden

Allein der Lohnabstand zwischen den geringsten Löhnen und den hochdotierten Stellen sagt aber noch nichts darüber aus, wie sich dieser Zustand auf die Gesamtsituation in der Schweiz auswirkt. Hier muss klar zugeordnet werden, wie viel Prozent der Geringverdiener das Potential der Lohnkonflikte in der Schweiz ausmachen, wie klar sich der Anteil der Durchschnittsverdiener präsentiert und welchen Stellenrang die Besserverdienenden in der Gesellschaft einnehmen.



Folgt man den offiziellen Verlautbarungen, liegen dazu allerdings kaum konkrete Zahlen vor. Es dürfte anzunehmen sein, dass sich die Masse der Schweizer Arbeitnehmer irgendwo zwischen 4’000 und 12’000 Franken monatlich bewegt. Eine Spanne, die alles andere als beruhigend wirkt. Interessant dabei bleibt, dass der Lohnabstand zwischen Männern und Frauen mit derzeit durchschnittlich 18,9 % sogar gewachsen ist. Dabei werden hier vergleichbare Ausbildungen und Arbeitserfahrungen angenommen.

Die Zuordnung der Zahlen erfolgt indes auf der Strasse. Wer offenen Auges beispielsweise durch eine Grossstadt wie Zürich wandert, dem fallen zunehmend mehr Menschen auf, die sich sichtbar an der unteren Grenze der Einkommen bewegen oder bereits auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind. Eine Entwicklung, die irgendwie nicht in ein Land passt, das sich gern an der Spitze der internationalen Produktivitätsentwicklung sieht und einen hohen Lebensstandard in der Imagepflege propagiert.

Neiddiskussion oder gesellschaftlicher Gesprächsbedarf

Vergleicht man Löhne und Gehälter miteinander, dann hat das immer auch irgendwie die Wirkung, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. Einige meinen sogar, hier würde eine Neiddebatte ähnlich der Gepflogenheiten bei den deutschen Nachbarn geführt. Allerdings geht es hier nicht wirklich um Neid, sondern um den Unterschied zwischen Arm und Reich, der erheblichen gesellschaftspolitischen Zündstoff bietet. Vor allem dann, wenn die Entwicklung so bleibt, dass höhere Löhne schneller steigen als niedrige.

Hier herrscht nach meiner Ansicht ein gesamtgesellschaftlicher Gesprächsbedarf, der zu klären hat, wie hoch der Wert der Erwerbstätigkeit in der Schweiz einzuschätzen ist. Es geht also nicht um Neid, sondern um eine Annäherung an ein System der Lohngerechtigkeit, die Arbeit als solche ausreichend würdigt und nicht zum blossen Mittel des Überlebens verkommen lässt.

Gesprächsbedarf dürfte auch nach der gescheiterten Initiative zum Mindestlohn darüber bestehen, was Leistung wert ist. Und zwar unabhängig von Beruf, Alter und Geschlecht. Gerade für viele jüngere und gut ausgebildete Arbeitnehmer stellt sich nicht selten die Frage, warum ihre älteren Kollegen so deutlich mehr verdienen, selbst dann, wenn sie die gleiche Arbeit oder gar weniger leisten. Verständlicherweise wollen gerade junge und hervorragend qualifizierte Berufsanfänger nicht weniger verdienen als ihre erfahrenen Kollegen. Das ist einer zunehmend schnelllebigeren Zeit mit zahlreichen Veränderungsmöglichkeiten genauso geschuldet wie dem Umstand, dass die ersten Schritte in ein selbstbestimmtes Leben nicht allein mit der Möblierung der eigenen Wohnung durchaus auch Geld kosten. Und zwar jetzt, heute und hier und nicht erst in zehn oder zwanzig Jahren.

Sowohl der Wirtschaft als auch der Politik sei empfohlen, den Lohnabstand zwischen den 10 % der am wenigsten Verdienenden und den 10 % der am besten Verdienenden deutlich zu verringern, um so letztlich auch den Wert der Arbeit neu zu bemessen. Und der kann nicht darin liegen, das knappe Überleben zu sichern oder sich alle Jahre wieder einen neuen Mittelklassewagen zu leisten.

 

Oberstes Bild: © Denis Pepin – Shutterstock.com

Der Lohnabstand zwischen Männern und Frauen ist mit derzeit durchschnittlich 18,9 % gewachsen. (Bild: TijanaM / Shutterstock.com)
Der Lohnabstand zwischen Männern und Frauen ist mit derzeit durchschnittlich 18,9 % gewachsen. (Bild: TijanaM / Shutterstock.com)

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