Eingeschleppte Wespenart gefährdet Tessiner Kastanienwälder
von Andrea Durst
Wie kam die Wespe in die Schweiz?
Südchina ist der ursprüngliche Lebensraum der Kastaniengallwespe. In die anderen Länder wurde sie vermutlich beim Transport von befallenem Pflanzenmaterial eingeschleppt. So breitete sie sich in den 1940er Jahren in Japan aus und erreichte rund 20 Jahre später Korea. Mitte der 1970er Jahre gelangte sie schliesslich in die USA, wo sie bis heute grosse Probleme verursacht. 2002 gab es erste europäische Berichte aus dem Piemont. 2005 folgten Frankreich und Slowenien, 2008 Südtirol und 2009 traf es den Tessin. Das milde Klima der Region kommt der kälteempfindlichen Wespe sehr entgegen, sodass sie sich erfolgreich in den Kastanienwäldern ausbreiten konnte.
Auf welche Weise schädigt die Wespe die Bäume?
Die Kastaniengallwespen, oder vielmehr deren Larven, gelten als die schlimmsten Schädlinge der Esskastanien:
Nach dem Schlüpfen (zwischen Mitte Juni und Ende Juli) produziert eine Wespe rund 100 Eier, in Ausnahmefällen sogar 200. Sie legt die Eier in Gruppen von 5 bis 30 Stück in je eine Kastanienknospe. Bald darauf stirbt sie. Die Larven schlüpfen 30 bis 40 Tage nach der Eiablage und verbringen den Winter in den Knospen, allerdings noch ohne Galle. Sobald im Frühjahr der Austrieb der Kastanien beginnt, wachsen die Larven rasant. Mit fatalen Folgen für den Baum: In dieser Zeit entstehen an den jungen Knospen, Blüten und Blättern die Gallen: Glattwandige Wucherungen werden um die Larven herum gebildet. Sie entwickeln sich weiter, gut geschützt in den grün bis rötlich gefärbten Gallkugeln, deren Durchmesser bis zu 20 Millimeter betragen kann. Nach weiteren 20 bis 30 Tagen haben sich die Larven zu fertigen Wespen entwickelt und verlassen die Galle. Bald darauf legen sie ihre Eier ab, und ein neuer Zyklus beginnt.
Die verlassenen Gallen vertrocknen mit der Zeit, bleiben aber noch bis zu zwei Jahren am Baum hängen. Die Esskastanien leiden darunter sehr: Triebe können sich nicht mehr entwickeln, Blätter haben Missbildungen und das gesamte Wachstum verlangsamt sich. Die kranken Bäume sind zudem anfällig für andere Schädlinge und Pilze. Bei fortwährendem Befall, wie es im Tessin seit 2009 der Fall ist, können die Bäume sogar absterben.
Die erfolgreiche Verbreitung des Schädlings liegt nicht zuletzt an der ungewöhnlichen Art der Vermehrung: Die Kastaniengallwespe pflanzt sich eingeschlechtlich fort. Es gibt nur Weibchen, deren unbefruchtete Eizellen durch bestimmte Hormone dazu gebracht werden, sich zu teilen und Tochterzellen zu bilden (sogenannte parthenogenetische Vermehrung). So ist sie nicht von einem männlichen Befruchter abhängig und kann sich rasch fortpflanzen.
Kastanienernte im Tessin stark rückläufig
Nach vierjährigem Befall durch die Gallwespe ging die Kastanienernte in Sottoceneri – dem südlichen Teil des Tessin – im Herbst 2013 auf etwa 20 Prozent (!) der früheren Erträge zurück. Die Edelkastanienbäume sind teilweise ernstlich geschwächt, wachsen kümmerlich und haben braun verfärbte Blätter.
Das ist aber nicht das einzige Problem: Der Pflanzenschutzdienst des Kantons macht sich grosse Sorgen um die rund 16’000 Hektar Schutzwald, dem Tessiner Kastaniengürtel. Dieser wirkt wie ein Puffer und fängt Erdrutsche, Steinschläge und andere Erosionen ab.
Wie lässt sich die Verbreitung eindämmen?
Zum einen helfen einheimische Arten dabei, dass der Bestand mit Kastaniengallwespen nicht explodiert: Knapp 30 Prozent der Larven werden von einem Pilz befallen und können sich nicht entwickeln. Einen weiteren Teil vernichten die Larven der Erzwespen. Leider reichen diese natürlichen Feinde allein nicht aus, die rasante Ausbreitung in den Griff zu bekommen.
Die Larven mit chemischen Pestiziden zu bekämpfen macht wenig Sinn, da diese Mittel nicht durch die Gallen dringen können. Im Wald ist der Einsatz der meisten Pflanzenschutzmittel aus ökologischen Gründen ohnehin nicht erlaubt.
Der Einsatz natürlicher Feinde verspricht anscheinend die grössten Aussichten auf Erfolg. Die Nachbarländer Frankreich und Italien bekämpfen die Kastaniengallwespe bereits seit 2005 mit der chinesischen Schlupfwespenart Torymus sinensis. Die Weibchen dieser Wespe legen ihre Eier gezielt in den Gallen der Kastanienwespen ab; sobald die Larven des Nützlings geschlüpft sind, ernähren sie sich von der Wirtslarve. Dieser natürliche Gegenspieler sorgt in seiner ursprünglichen Heimat China für das Gleichgewicht der Arten. Auch in Italien und Frankreich ist der Einsatz des Nützlings von Erfolg gekrönt: Die Baumbestände erholen sich wieder. Das Schweizer Bundesamt für Umwelt lehnte einen entsprechenden Antrag des Kantons Tessin jedoch ab.
Der Einsatz des Nützlings ist tatsächlich mit Risiken verbunden: Die fremde Art kann die einheimische Schlupfwespe der gleichen Gattung verdrängen oder sich mit ihr kreuzen; die biologischen Folgen sind nicht absehbar. Zwischenzeitlich hat sich die chinesische Schlupfwespe aber eigenständig von Italien bis in das Tessin verbreitet. Die Tessiner Förster hoffen, dass der Nützling rechtzeitig eingewandert ist. Gegenwärtig ist noch nicht absehbar, ob die Schlupfwespe die Gallwespenbestände soweit minimieren kann, dass sich die angeschlagenen Bäume erholen können.
Quellen:
- Bericht NZZ vom 10.09.2014
- Webseite Kösti Kastanienbaumschule Laimer in Südtirol (mit einem Bericht des Landespflanzenschutzdienstes in Bozen)
- Aufzeichnung SRF 4 News aktuell vom 10.10.2013: Die Kastaniengallwespe sorgt für rekordtiefe Ernten im Tessin
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