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Bernhardiner in der Schweiz: Was macht der „Lawinenhund“ heute?

04.11.2014 |  Von  |  Beitrag

Zahlreiche Legenden ranken sich um den Schweizer Nationalhund. Barry, der berühmteste Vertreter seiner Rasse, soll im 19. Jahrhundert mehr als vierzig Menschen das Leben gerettet haben. Seither haben sich die Bernhardiner äusserlich stark verändert, sind grösser und schwerer geworden. Wie geht es ihnen heute?

Wahrheit oder Legende?

Denkt man an Bernhardiner – vor allem an den legendären Barry –, entsteht meist folgendes Bild: Ein grosser, gutmütiger Hund mit einem Rumfässchen um den Hals rettet selbstlos verschüttete Lawinenopfer, die zur Stärkung einen Schluck aus dem Fass nehmen.

Diese in vielen Versionen verbreitete Geschichte gehört wahrscheinlich ins Reich der Legenden. Ein Fass um den Hals wäre für die Hunde bei ihrer Arbeit im Tiefschnee ein Hindernis gewesen, zudem hätte der Alkohol den Verschütteten eher geschadet als genutzt.

Unbestritten aber haben Barry und seine Artgenossen sehr vielen Menschen das Leben gerettet. Geboren wurde Barry im Jahr 1800 auf dem Grossen St. Bernhard, dort lebte er bis 1812. Die folgenden zwei Jahre verbrachte er in Bern, wo er 1814 an Altersschwäche starb. Danach wurde er präpariert – übrigens mit Fass um den Hals. Heute kann man ihn ihm Naturhistorischen Museum von Bern bestaunen. Darüber hinaus wurde ihm auf dem Pariser Tierfriedhof ein steinernes Denkmal errichtet.

Zu schwer für die Lawinenarbeit

Ein Vergleich des ausgestopften Barry zu den jetzigen Bernhardinern macht die Unterschiede deutlich: Die Hunde sind erkennbar schwerer – und schwerfälliger – geworden. Grosse Rüden können ein Gewicht von 85 Kilogramm erreichen, ohne übergewichtig zu sein. Für die Lawinenarbeit sind die heutigen Bernhardiner zu langsam. Vor allem die langhaarige Variante ist für Arbeiten im tiefen Schnee völlig ungeeignet.

Einzig die Fondation Barry, die die etablierte Zuchtlinie von St. Bernhard fortführt, bildet noch vereinzelt Lawinenhunde aus, ohne sie tatsächlich für die Rettung zu verwenden. Die Stiftung hat sich ein strenges Zuchtleitbild auferlegt, um gesunde Bernhardiner mit gutem Charakter hervorzubringen. Ausserdem setzt sie die Tradition fort, Hunde für soziale Zwecke auszubilden und einzusetzen. So besuchen die Bernhardiner Senioren in Altenheimen, helfen als Therapiehunde behinderten Menschen und wirken bei der Kinder- und Jugendarbeit mit.

Die Stiftungsmitglieder bilden die Hunde auch in anderen Bereichen aus, um sie sinnvoll zu beschäftigen. So tragen sie beispielsweise auf Wanderungen kleine Lasten, ziehen im Winter Schlitten oder nehmen als Zughunde an Wettbewerben teil.


Ihr gutmütiger Charakter macht Bernhardiner zu ausgezeichneten Familienhunden. (Bild: Cassie J / Lizenz: CC  Attribution 2.0 Generic)

Ihr gutmütiger Charakter macht Bernhardiner zu ausgezeichneten Familienhunden. (Bild: Cassie J / Lizenz: CC Attribution 2.0 Generic)


Ideale Familienhunde

In der gesamten Schweiz leben heute nur noch rund 600 Vertreter dieser besonderen Rasse. Das liegt sicher massgeblich an ihrer Grösse: Eine Haltung in der Wohnung kommt nicht in Frage, das wäre für einen solch bewegungsfreudigen Hund eine Qual; zudem wäre er ohne eigene Schuld ständig im Weg. Ein weiterer Aspekt dürften die hohen Kosten sein, die eine Ernährung mit hochwertigem Futter bei einem Hund dieser Grösse nach sich zieht.

Ihr gutmütiger Charakter macht Bernhardiner zu ausgezeichneten Familienhunden. Trotz ihrer imposanten Erscheinung sind sie sehr sensibel und suchen den engen Kontakt mit „ihren“ Menschen. Zu ihren Charaktereigenschaften zählt aber auch ein gewisser Eigensinn, den sie von Zeit zu Zeit durchzusetzen versuchen. Bei Langhaar-Bernhardinern ist eine intensive Fellpflege unerlässlich.

Bernhardiner wirken zwar auf den ersten Blick ruhig, es sind aber ausdauernde und kräftige Hunde, die genügend Auslauf brauchen. Wer einen rundum zufriedenen Hund haben möchte, gibt ihm eine Aufgabe, macht Agility oder beschäftigt ihn mit kleinen Tricks.

Leider haben Bernhardiner wegen ihres schweren Körperbaus häufig mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Sie leiden im Vergleich zu anderen Rassen überdurchschnittlich oft an Hüftdysplasie und Knochenkrebs, auch Magendrehung ist ein verbreitetes Problem. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt acht Jahre.

Die Geschichte des Schweizer Nationalhundes

Die Ursprünge der Bernhardiner liegen in den Walliser Alpen: im Hospiz des Bistums Sitten auf dem Pass des Grossen St. Bernhard, das im 11. Jahrhundert errichtet wurde. Als einer der Gründer gilt Bernhard von Aosta; nach ihm wurden sowohl der Gebirgspass als auch die Rasse benannt.

Es gibt keine genauen Aufzeichnungen darüber, wann die Mönche mit der gezielten Zucht begannen. Vermutlich hielten sie ab dem 17. Jahrhundert Hunde, die ihnen angesichts der schwierigen Bedingungen auf dem Alpenpass eine grosse Hilfe waren. So trugen und zogen sie schwere Lasten und suchten nach verschütteten Lawinenopfern. Dabei waren sie so erfolgreich, dass die Zahl der Todesfälle deutlich zurückging.

Die ersten Hunde auf St. Bernhard sahen den heutigen Hunden kaum ähnlich, eine einheitliche Linie bildete sich erst im Laufe der Zeit. Auch mussten die Chorherren regelmässig neue Hunde dazu holen, um Inzucht zu vermeiden. Im Jahr 1887 wurden St. Bernhardshunde als eigene Schweizer Hunderasse offiziell anerkannt.

Das Hospiz führte die Zucht bis 2004 fort. Die Chorherren sahen sich damit aber zunehmend überfordert, vor allem im Hinblick auf ihre vielen weiteren Aufgaben und die fehlenden Helfer. So verkaufte der Orden die Hunde ein Jahr später an die Fondation Barry, die weiterhin eine tiergerechte Zucht gewährleistet. Die Zuchtstation befindet sich im Musée et Chiens du Saint-Bernard, einem Museum, das sich ausschliesslich mit den Bernhardinerhunden befasst. Das Hospiz machte als Bedingung für den Verkauf zur Auflage, dass ein Teil der Bernhardinerhunde den Sommer auf dem Pass verbringt.

 

Oberstes Bild: © Fedor Selivanov – shutterstock.com

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