Kinder erleben Mitbestimmung anders als Erwachsene
von Tobias Wolf
Kinder und Jugendliche haben oft Schwierigkeiten, die Mitsprachemöglichkeiten der Erwachsenwelt auch als solche wahrzunehmen. Anders als jeweils zu Hause wird die erlebte Mitbestimmung in Schule und Gemeinde daher mit zunehmendem Alter immer geringer. Schuld daran sind die von den Erwachsenen vorgegebenen Regeln zur Mitbestimmung, so das Ergebnis einer aktuellen Studie der UNICEF Schweiz.
Auch wenn Kinder- und Jugendparlamente oft als Paradebeispiel der politischen Integration Minderjähriger angepriesen werden, legt die UNICEF-Studie einen anderen Schluss nahe. Wie Studienleiter Peter Rieker anlässlich der Präsentation der Studie in Bern erklärte, müssten die Kinder und Jugendlichen in diesen Institutionen nach den Spielregeln der Erwachsenen spielen, obwohl sie selbst eine deutlich andere Auffassung vom Konzept der Mitbestimmung hätten.
Mitsprache in der Familie am grössten
Anstatt Entscheidungen durch Abstimmen und Auswählen zu treffen, würden Kinder häufig lieber auslosen, aushandeln oder spielerisch entscheiden. Insgesamt hat sich bei den Kindern und Jugendlichen in den letzten zehn Jahren zwar die Anzahl der erlebten Mitbestimmungsmöglichkeiten erhöht – in den Bereichen Schule und Gemeinde nehmen diese aber mit zunehmendem Alter ab.
Erwartungsgemäss am stärksten ausgeprägt ist das Mass an Mitbestimmung in der eigenen Familie, wo es mit zunehmendem Alter sogar ansteigt. Besonders viel Einflussnahme haben die Kinder bei Themen wie Schlafenszeiten, Auswahl der Hobbys oder Anschaffungszeitpunkt des ersten Handys. Geht es um die Anschaffung eines Haustiers oder die Auswahl von Reisezielen, haben sie dagegen meistens weniger Einflussnahme. Kinder in der Deutschschweiz und der Romandie geniessen zudem mehr Mitsprachemöglichkeiten als diejenigen aus dem Tessin.
Kaum Mitbestimmung in den Gemeinden
In der Schule sind die Mitsprachemöglichkeiten der Kinder deutlich geringer als in der Familie – allerdings liegt hier der Kanton Tessin vor der Deutschschweiz. Die Einflussnahme der Kinder beschränkt sich hier in der Regel auf Angebote und schulische Projekte. Bei grundlegenden Fragen wie etwa der Gestaltung des Schulgeländes haben sie dagegen kaum etwas zu sagen. Zudem werden Erwachsene in der Schule hauptsächlich als Entscheidungsträger wahrgenommen.
Am geringsten fällt die erlebte Mitbestimmung bei Fragestellungen innerhalb der Gemeinde aus. Statt wirklicher Mitsprache wird ihnen dort häufig eine „inszenierte Partizipation“ angeboten. Dort treffen die Kinder nach den Regeln der Erwachsenen Entscheidungen, die allerdings kaum Auswirkungen auf ihren eigenen Alltag haben. Nach Ansicht der Studienautoren haben diese Angebote zwar mit Sicherheit ihre pädagogische Funktion, damit die Kinder aber echte Mitbestimmung erfahren könnten, müssten die Erwachsenen nach den Regeln der Kinder spielen.
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