Schweizer Nachtzüge: Wenn die Angst mitfährt

Alles andere als friedlich geht es in so manchem Nachtzug zu: Betrunkene, pöbelnde, sich übergebende oder aggressive Fahrgäste machen nicht nur älteren Menschen Angst.

Viele Reisende zeigen zwar Verständnis für junge Menschen, die nachts nach der Party oder einem Discobesuch ein wenig über die Stränge schlagen. Ganz anders sieht es aber aus, wenn eine ganze Horde Jugendlicher oder Betrunkener sich lautstark im Abteil breitmacht, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Selbst wenn es zu keinen direkten Drohungen kommt: Dass es gerade allein reisende Passagiere in solchen Situationen mit der Angst zu tun bekommen, lässt sich leicht nachvollziehen.

Zumal es auch immer wieder zu verbalen Bedrohungen, Angriffen und sexuellen Belästigungen kommt. Aus diesem Grund ist für viele Schweizer der Nachtzug gleichbedeutend mit einem Albtraum, den sie unter allen Umständen zu vermeiden versuchen. Natürlich ist das nicht in jedem Fall möglich, und kann auch nicht im Sinne der Schweizer Bundesbahnen (SBB) sein.

Kritik an SBB

Ein Grossteil der Passagiere mit schlechten Erfahrungen in Nachtzügen sieht die Fürsorgepflicht der Security vernachlässigt. So gibt es etliche Vorwürfe, dass Sicherheitskräfte nicht – oder viel zu spät – eingegriffen hätten, obwohl sie bei tätlichen Angriffen und Beleidigungen anwesend waren.

Einige Betroffene berichten, dass die Mitarbeiter Anzeigen über Vorfälle nicht aufgenommen oder diese sogar komplett ignoriert hätten. Kritik gibt es ebenso für eine schwache Präsenz der Security: Um eine abschreckende Wirkung zu erzeugen, seien nachts viel zu wenige Sicherheitskräfte in den Zügen und Bahnhöfen unterwegs.

In einem konkreten Fall im Nachtzug von Winterthur nach Wil (SG) hat eine Gruppe Männer die Mitreisenden regelrecht terrorisiert und beleidigt. Mehrere Frauen wurden in dem überfüllten Zug aggressiv betatscht. Nach übereinstimmenden Zeugenaussagen haben die Securitys darauf, auch nach mehrfacher Aufforderung durch Fahrgäste, nicht reagiert. Erst nachdem einer der Männer eine junge Frau angegriffen hatte, kümmerten sie sich endlich um den Vorfall.

Wie zu erwarten, haben die SBB dazu eine komplett andere Auffassung. Nach einem Bericht von „20 Minuten“ teilte ein zuständiger Sprecher mit, die Security sei sehr engagiert und mache einen harten Job. Es sei nicht Aufgabe der Sicherheitskräfte, bei „einfachen Pöbeleien einzuschreiten“. Ausserdem seien die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes „keine Erzieher“, die bestimmten Fahrgästen „Anstand beizubringen“ hätten. Der Sprecher verwies noch auf den in jedem Abteil vorhandenen Notfallschalter, der beim Betätigen sofort die Transportpolizei alarmiere.

Bei allem Respekt für die gewiss nicht einfache Arbeit von Sicherheitskräften: Für betroffene Reisende müssen diese Aussagen wie blanker Zynismus klingen.

Auf der anderen Seite berichten viele Nachtzugfahrer sehr positiv über ihre Erfahrungen mit der Security. In diesen Fällen schritten die Mitarbeiter sofort ein, wenn einzelne Fahrgäste unangenehm auffielen oder andere Reisende bedrohten.

Wo Menschen arbeiten, passieren natürlich Fehler. Das dürfte aber nicht der einzige Grund sein, dass Sicherheitsmitarbeiter manchmal nur widerstrebend eingreifen: Sie haben Angst, selbst angezeigt zu werden, was durchaus schon vorgekommen ist. Sie müssen anschliessend darlegen, ob die Situation wirklich so bedrohlich war, dass sie den Täter festhalten oder handlungsunfähig machen mussten.

Respektlose oder gar gefährliche Fahrgäste sind aber vor allem ein Problem regionalen Nachtzüge und des öffentlichen Nahverkehrs, auf Langstrecken geht es überwiegend ruhig zu.


Für viele Schweizer ist der Nachtzug gleichbedeutend mit einem Albtraum. (Bild: Jan Faukner / Shutterstock.com)

Nachtverkehr rechnet sich nicht mehr

Allerdings lassen sich Nachtlinien ins Ausland nach Angaben der SBB kaum noch wirtschaftlich betreiben. Sie haben sich daher schon vor einigen Jahren aus diesem Geschäft zurückgezogen und ihre Flotte verkauft. Die CNL (City Night Line) betreibt Nachtzüge in den Norden, hat jedoch die Strecke von Basel nach Kopenhagen bereits eingestellt.

Insgesamt wurden in der Schweiz seit 2003 fünf Nachtzugverbindungen aufgehoben: nach und von Brüssel, Rom, Barcelona, Moskau und Kopenhagen. Derzeit sind noch sieben Verbindungen übrig.

Auch beim Service wird gespart, wo es nur geht: Reisende berichten von ungereinigten Abteilen, fehlenden Schlafwagen und unfreundlichem Personal. Speisewagen gibt es schon länger nur noch in bestimmten Zügen. Wer nicht an ausreichend Proviant gedacht hat, hat Glück, wenn er auf ein überschaubares Angebot an Snacks und Getränken zurückgreifen kann.

Nachtzüge auf Langstrecken scheinen nicht mehr so recht in unsere Zeit zu passen und haben jede Menge Konkurrenz bekommen: Flugzeuge sind moderner, wesentlich schneller und oft billiger. Darüber hinaus bieten Fernbusse Nachtreisen zu unschlagbaren Preisen an.

Was dabei oft vergessen wird: Züge haben eine wesentlich bessere Umweltbilanz.



umverkehR tritt in Aktion

Auf die gute Klimabilanz der Bahn hat auch die verkehrs- und umweltpolitisch ausgerichtete Organisation umverkehrR mehrfach hingewiesen. Sie will das Verschwinden der Nachtzüge aufhalten, unter anderem mit der Kampagne „Rettet den Nachtzug!“. Um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, haben sich im Januar Aktivisten von umverkehR publikumswirksam am Zürcher Hauptbahnhof positioniert: gekleidet im Schlafanzug, ausgestattet mit Bett, Kissen, Decke und zahlreichen Informationen für die Reisenden.

Die Organisation hat darüber hinaus eine Petition ins Leben gerufen. Sie fordert sowohl von den SBB als auch von der Verkehrsministerin, die noch existierenden Verbindungen zu erhalten und die aufgehobenen Linien wieder zu etablieren.

umverkehR weist auf die Umsetzung der Klimaziele hin, die mit einem Ausbau des Flugverkehrs nicht zu erreichen seien. An einem konkreten Beispiel wird das deutlich: Auf der Strecke von Zürich nach Berlin stosse der Zug weniger als ein Zehntel der Stickoxide und nur ein Drittel der CO2-Emissionen eines Flugzeugs aus.

Die SBB haben dazu mitgeteilt, dass sie dafür nicht der richtige Ansprechpartner seien, da sie ja keine eigenen Nachtverbindungen mehr betreiben und lediglich die Infrastruktur bereitstellen würden.

Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.

 

Oberstes Bild: Photographee.eu / Shutterstock.com

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