Forschung: Buntbarsche attackieren Raubfische
von Samuel Nies
Kämpfe lenken Buntbarsche so sehr von ihrer Umgebung ab, dass sie lauernde Gefahren erst spät bemerken. Allerdings besitzen die Fische eine Strategie, die ihnen wahrscheinlich das Leben rettet: Anstatt vor Raubfischen die Flucht zu ergreifen, greifen sie diese an und wehren sich.
Diese erstaunliche Entdeckung machten Forschende aus Bern, England und Australien, als sie den Buntbarsch „Prinzessin vom Tanganjikasee“ bei territorialen Kämpfen beobachteten.
Für Tiere, die in Gruppen leben, ist die Fähigkeit, sich gegen ihre Artgenossen durchzusetzen, entscheidend. Aggressive Auseinandersetzungen zu gewinnen, ist im Tierreich oft wichtig, um einen hohen sozialen Status zu erlangen, Paarungspartner zu beeindrucken oder Territorien zu erobern. Aggressives Verhalten hat jedoch den Nachteil, dass es von Gefahren ablenken kann, wie ein Forscherteam um Prof. Barbara Taborsky von der Abteilung für Verhaltensökologie der Universität Bern, Dr. Stefan Fischer von der University of Liverpool und Sybille Hess von der James Cook University in Australien in einer neuen Studie zeigt.
Die Forschenden konnten in Aquarienversuchen nachweisen, dass Buntbarsche, die in eine Auseinandersetzung mit Artgenossen verwickelt waren, Raubfische später bemerkten, und daher in der Natur ein höheres Risiko eingehen würden, gefressen zu werden. Die Studie wurde nun im Journal „Animal Behaviour“ publiziert.
Kampf macht blind für Gefahr
Das Forscherteam hat für seine Studie die Buntbarschart „Prinzessin vom Tanganjikasee“ (Neolamprologus pulcher) bei territorialen Kämpfen im Labor beobachtet. Jeder Fisch besass ein Territorium, welches er gegen eine Gruppe von Eindringlingen zu verteidigen hatte. Dies entspricht einer Stresssituation, die auch die Tiere im Tanganjikasee oft erleben – mit der Ausnahme, dass die Fische durch eine durchsichtige Scheibe getrennt waren, um Verletzungen zu vermeiden.
„Territoriale Kämpfe können sehr intensiv ausfallen, und wir haben uns gefragt, ob die Fische gleichzeitig noch ihr Umfeld im Auge behalten können“, erklärt Stefan Fischer. „Dies ist nämlich unter Umständen überlebenswichtig, da jederzeit ein Raubfisch erscheinen und die Fische angreifen könnte.“
Um zu testen, ob kämpfende Fische tatsächlich abgelenkt sind, haben die Forscher einen Computer- animierten „Raubfisch“ benutzt, den sie im Hintergrund vorbeischwimmen liessen. „Wenn die Fische alleine in ihrem Territorium waren, bemerkten sie den Raubfisch meistens innerhalb von Sekunden“, sagt Sybille Hess. „Wenn die Fische jedoch mit den Eindringlingen kämpften, entdeckten sie den Raubfisch, der weniger als eine Armlänge hinter ihrem Rücken vorbeischwamm, erst viel später“. Je intensiver der Kampf war, desto länger benötigten die Fische, um den Räuber zu entdecken.
Angriff als letzte Verteidigung
Die Studie brachte noch ein weiteres überraschendes Ergebnis zu Tage. „Waren die Fische alleine, haben sie sich beim Anblick des Räubers meistens sofort versteckt“, sagt Stefan Fischer. „Waren die Fische aber im Kampf mit den Eindringlingen vertieft, war ihre Reaktion anders – sie haben aggressiv auf den Räuber reagiert oder ihn sogar angegriffen.“
Dieses Verhalten ist erstaunlich, bedenkt man, dass der Raubfisch um ein Vielfaches grösser war als die Fische selbst.
Die Fische scheinen ihre Reaktion der Situation anzupassen“, sagt Barbara Taborsky. „Wenn die Fische den Räuber früh bemerken, ist es am besten, die Flucht zu ergreifen. Entdecken sie ihn jedoch später, ist eine Attacke des Räubers wahrscheinlich, und aggressive Gegenwehr könnte die Überlebenschancen der Fische erhöhen – Angriff als letzte Verteidigung, sozusagen.“
Eine solche Gegenwehr könnte demnach dafür kompensieren, dass die Fische während Auseinandersetzungen von ihrer Umgebung abgelenkt sind. Diese Theorie muss aber mit Studien in der Natur erst noch genauer untersucht werden.
Quellenangabe:
Sybille Hess, Stefan Fischer & Barbara Taborsky: Territorial aggression reduces vigilance but increases aggression towards predators in a cooperatively breeding fish. Animal Behaviour, 2016, DOI: 10.1016/j.anbehav.2016.01.008
Artikel von: Universität Bern
Artikelbild: © Universität Bern