Sind Schweizer die glücklicheren Europäer?

Gute Frage. Wer die beantworten will, müsste zunächst einmal definieren, was Glück ist. Und zugleich müsste er im speziellen Fall erklären, was er unter der Schweiz versteht und was ein echter Schweizer ist.

Viel Arbeit also für jene, die es mit der Erklärung von Glück mehr als nur genau nehmen. Wir hingegen schauen doch lieber danach, was der gemeine Bürger unter Glück versteht und wie viel davon ein durchschnittlicher Schweizer im Leben abbekommen kann.

Glück ist relativ

Das wissen nicht nur die, die tagtäglich um das reine Überleben kämpfen müssen, während andere Glück zu haben glauben, wenn ihre Traumimmobilie 100’000 Franken billiger wird als geglaubt. Glück liegt immer im Auge des Betrachters. Fragen wir uns durch die Schweiz: In den Bergregionen mit eher kleineren Ortschaften ist es für viele Glück, in einer schönen und sauberen Natur zu leben. Glück ist hier die Familie, wenn sie denn zusammenhält und Glückssache ist es auch oftmals, einfach bis ins hohe Alter hinein gesund zu bleiben. In den grösseren Städten wird Glück schon oftmals anders definiert. „Ich bin glücklich, weil mein Freund mir jetzt endlich gesagt hat, dass er mich liebt!“, meint eine etwa 20-jährige und ist schon wieder verschwunden. Ein anderer schätzt sich glücklich, eine vergleichsweise günstige Mietwohnung bekommen zu haben.

Rührend wirkt auf mich ein Pärchen jenseits der 70. Die beiden schmunzeln mich nach meiner Frage an und sagen einfach „Wir sind glücklich. Und das schon seit fast 50 Jahren. Das ist Glück!“ Was für eine Palette an unterschiedlichsten Antworten. Kein Wunder, dass mir mancher Teenager auf meine Frage einfach voller Stolz sein neues Smartphone unter die Nase hält. Was soll ich sagen? Ich bin jetzt glücklich, dass die Schweizer mir so unbedarft und offen auf meine Frage geantwortet haben. Nur einmal kam die Gegenfrage: „Ja, was bitteschön ist denn Glück? Mir reicht es, zufrieden zu sein.“

Von draussen sieht Glück anders aus

Geht man mit derselben Frage aus dem Schweizer Land in die Welt, fallen die Antworten anders aus. Gefragt danach, was den Schweizer glücklich macht gibt es sehr vielfältig Antworten, die aber selten frei von den bekannten Klischees sind. „Dem Schweizer geht’s besser als den anderen Europäern.“ Eine von vielen Antworten, die doch recht pauschal gegeben werden. Schokolade, Uhren, Steuervorteile und natürlich eine berauschende Bergwelt wie aus dem Urlaubskatalog. So wird die Schweiz draussen in der Welt gesehen; sie scheint für manchen schlichtweg ein modernes Paradies zu sein. Was wissen Ausländer wirklich von der Schweiz und dem Leben dort? Nicht viel. Was mir begegnete sind Heidi-Romantik, manchmal ein abgeklärterer Blick auf das Leben in den Städten und immer wieder die Aussage: „Denen geht`s gut. Die müssen sich nicht mit Europa rumärgern.“ Von draussen sieht Glück wohl doch etwas anders aus.


Fast schon bedroht fühlen sich die eingesessenen Einwohner in den kleinen Dörfern abseits der grossen Städte. (Bild: VICTOR TORRES / Shutterstock.com)

Dem Glück unter die Maske geschaut

Beschäftigt man sich mehr damit, wie der Schweizer lebt, dann stellt man schnell fest, dass auch hier Sorgen, Nöte und Ängste immer präsent sind. Neben einer Bilderbuchlandschaft und einer politisch angenehmen Neutralität ist es vor allem der Alltag, der auch hier ständig gemeistert werden will. Auch in der Schweiz muss sich der Mensch anstrengen, wenn er etwas erreichen will. Auch in der Schweiz lauern Unfälle und Krankheiten und auch vor der Schweiz machen Teuerungen nicht Halt. Fast schon bedroht fühlen sich die eingesessenen Einwohner in den kleinen Dörfern abseits der grossen Städte. Angst hat man hier vor einer weiteren Ausländerschwemme und nicht selten schlägt der Nationalstolz wahre Kapriolen. Wie diese aussehen? Darüber lasse ich mich hier nicht aus. Vielmehr scheint jetzt die Frage interessant zu sein, was ein echter Schweizer ist.

Schweizer sind auch nur Menschen

Auch „echte“ Schweizer sind nur Menschen. Was diese zum Schweizer macht, lässt sich so klar gar nicht definieren. In Zeiten, in denen viele Ausländer schon seit Jahrzehnten in der Schweiz leben, reicht die Herkunft nach dem Geburtsort nicht aus. Auch viele Kinder mit Migrationshintergrund sind Schweizer. Ist es vielleicht die generationenübergreifende Nationalität, die den Schweizer zum Schweizer macht? Mag sein, erscheint mir aber dann nicht schlüssig, wenn ich die Unterschiede der Schweizer untereinander sehe. Oder ist es vielleicht das besondere Lebensgefühl von Leuten, die in einem Land inmitten Europas leben, das dennoch bewährt neutral und irgendwie abgeschottet bleibt? Auf die Frage nach dem echten Schweizer finde ich keine rechte Antwort.

Sind die Schweizer die glücklicheren Europäer?

Auf diese Frage indes habe ich eine Antwort. Nein, sind sie nicht. Auch in Deutschland, in Frankreich, in Spanien oder in Italien finde ich Menschen, die gern in ihrem Land leben und stolz auf das sind, was dieses Land prägt. Auch Schweizer haben Sorgen und auch Schweizer wünschen sich ein noch besseres Leben. Was den Schweizer nach aussen glücklicher wirken lässt ist das Selbstbewusstsein, in einem Land zu leben, das trotz seiner eher geringen Grösse international anerkannt ist, vieles zu bieten hat und vor allem versucht ist, eine wahre Demokratie zu sein. Ob das letzten Endes zum Glücklichsein taugt, darf gern weiter hinterfragt werden.

 

Oberstes Bild: © Olga Danylenko – Shutterstock

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