Sexuelle Belästigung: Der Bundesrat will Ausmass besser erfassen und Betroffene unterstützen

An seiner Sitzung vom 27. April 2022 hat der Bundesrat den Bericht „Sexuelle Belästigung in der Schweiz: Ausmass und Entwicklung“ verabschiedet. Dies in Erfüllung des Postulats Reynard 18.4048. Er hält fest, dass sexuelle Belästigung ein verbreitetes Phänomen ist, bei dem die statistische Erfassung aber noch verbessert werden kann.

Der Bundesrat unterstreicht zudem die Bedeutung der Unterstützung von Betroffenen.

Sexuelle Belästigung kennt viele Formen, zum Beispiel sexistische Bemerkungen, das Versenden pornografischer Nachrichten oder körperliches Aufdrängen. Betroffen sind in neun von zehn Fällen Frauen, und 95 Prozent der Beschuldigten sind Männer. Je nach verwendeter Definition bei Befragungen haben zwischen 20 und 60 Prozent der Frauen in der Schweiz schon einmal sexuelle Belästigung erlebt; Menschen mit Behinderung und LGBTIQ+-Personen sind besonders gefährdet. Während ein Grossteil der sexuellen Belästigungen im öffentlichen Raum stattfindet, sind Kinder und Jugendliche zunehmend im virtuellen Raum davon betroffen. Dies sind die Befunde der externen Studie, welche dem Bericht des Bundesrats zugrunde liegt und die vorhandene Statistiken sowie verschiedene Bevölkerungsbefragungen analysiert.

Verbesserung statistischer Erfassung

Die Studie kommt zum Schluss, dass die Datenlage zur sexuellen Belästigung in der Schweiz unzureichend ist. Dies liegt zum einen daran, dass bestehende Befragungsstudien sexuelle Belästigung unterschiedlich definieren. Zum anderen finden die Vorfälle nur dann Eingang in die polizeiliche Kriminalstatistik, wenn sich Betroffene bei der Polizei melden. Dabei wird von einer geringen Anzeigequote von unter 20 Prozent ausgegangen. Für die Studie befragte Fachpersonen sprechen zudem von einer fehlenden Sensibilität für das Thema bei Polizei und Strafverfolgung, was ein Grund für die tiefe Anzeigequote sei. Auch gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz würden sich Betroffene oftmals nicht wehren oder erst, wenn sie bereits krankgeschrieben seien oder gekündigt hätten.

Für den Bundesrat steht fest, dass sexuelle Belästigung eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt ist, die es entschieden zu bekämpfen gilt. Er unterstützt die Empfehlung der Studie, wonach die Datenlage im Bereich der sexuellen Belästigung verbessert werden muss. Wie die Erfahrungen der Schweizer Bevölkerung mit diesen Gewaltformen am besten untersucht werden können, wird derzeit abgeklärt.

Zudem sind Bemühungen im Gang, Betroffenen das Anzeigen von geschlechtsspezifischen Gewalt- und Sexualdelikten zu erleichtern. So haben sich Bund und Kantone im Rahmen des Strategischen Dialogs „Häusliche Gewalt“ verpflichtet, Möglichkeiten zur Einführung einer zentralen Telefonnummer für Opfer von Straftaten zu erarbeiten.

Auch am Arbeitsplatz braucht es Schutz

Der Bundesrat erinnert an die gesetzliche Pflicht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Angestellte vor sexueller Belästigung zu schützen. Entsprechende Präventionsmassnahmen würden zwar bereits breit umgesetzt. Bemühungen wie Richtlinien gegen sexuelle Belästigung, Schulungen für Führungskräfte, die Information der Mitarbeitenden und externe Beschwerde- oder Vertrauensstellen könnten aber noch verstärkt werden. Zusätzlich ist die Schweiz derzeit daran zu prüfen, ob das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zur „Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt“ (ILO C190) ratifiziert werden soll.

 

Quelle: Der Bundesrat
Titelbild: Symbolbild © adidas4747 – shutterstock.com

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