Wenn die Marke mehr zählt als das Produkt: Beispiel Red Bull
von Stephan Gerhard
Der Energy-Drink Red Bull hat seit der ersten Markteinführung im Jahre 1987 eine beispiellose Erfolgsgeschichte hingelegt. Fast jedes Jahr werden bei dem Unternehmen neue Umsatz- und Absatzrekorde erzielt. Der Verkauf lebt dabei weltweit mehr vom geschickten Marketing als vom Produkt selbst.
Am Anfang stand ein genialer Einfall des Österreichers Dietrich Mateschitz, der bei einer Dienstreise in Ostasien das dort bereits länger verbreitete Getränk „Krating Daeng“ kennen und schätzen lernte und anschliessend die Lizenzrechte für die Vermarktung erwarb. Die Geschäftsidee machte ihn mittlerweile zum mehrfachen Milliardär.
Welterfolg einer Thai-Erfindung
Krating Daeng ist ein thailändischer Energy Drink, der dort bereits seit den 1970er Jahren verkauft wird. Der Thai-Name „Krating Daeng“ bedeutet dabei nichts anderes als „Roter Stier“ oder eben „Red Bull“. Der energiesteigernde Effekt beruht dabei womöglich auf den Anteilen von Taurin und Koffein im Getränk. Mateschitz übernahm die Grundrezeptur, veränderte sie aber leicht dem westlichen Geschmack entsprechend. So enthält Red Bull im Gegensatz zu seinem Original zum Beispiel Kohlensäure. Am 1. April 1987 begann Mateschitz mit der Markteinführung in Österreich.
Von da aus verbreitete sich das süss-klebrige Getränk in wenigen Jahren um die ganze Welt. Es wird heute in über 166 Ländern verkauft. Mehr als 50 Milliarden Dosen wurden inzwischen konsumiert und noch immer scheint das Markpotential nicht ausgeschöpft. Zwar wachsen Absatz und Umsatz inzwischen nicht mehr zweistellig wie in vielen Jahren zuvor, dennoch geht es immer noch kontinuierlich weiter nach oben. Im vergangenen Jahr wurde mit dem Verkauf von 5,6 Milliarden Dosen ein neuer Rekord erzielt. Das Absatz-Plus von 4,2 Prozent war vor allem den dynamischen Märkten in der Türkei, Indien, Südafrika, Russland und Japan zu verdanken. Auch der globale Umsatz wuchs erneut um 1,4 Prozent auf über 5,1 Milliarden Euro. Das im Vergleich geringere Umsatzwachstum war dabei vor allem durch Währungseffekte bedingt. Auch in diesem Jahr blickt man optimistisch auf die Geschäftsentwicklung.
Wirkung umstritten
Ob Red Bull tatsächlich eine energiesteigernde Wirkung hat, ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Es gibt medizinische Studien, die einen leistungsfördernden Effekt feststellen, andere können dies nicht nachweisen.
Tatsächlich sind die Anteile der vermeintlich wirkenden Stoffe Taurin und Koffein im Getränk verschwindend gering. Für Taurin liegt er bei 0,4 Prozent, bei Koffein sind es nur 0,03 Prozent. Taurin ist eine erstmals in Ochsengalle festgestellte organische Säure, die auch im menschlichen Körper vorkommt. Das in Red Bull enthaltene Taurin wird allerdings synthetisch hergestellt.
Tatsächlich scheint der Leistungseffekt von Red Bull mehr eine Glaubenssache zu sein denn auf Fakten zu beruhen. Es gibt sogar Testberichte, die die Wirkung des Getränks wegen des hohen Zuckergehalts eher als kontraproduktiv ansehen. Dem Erfolg hat das keinen Abbruch getan. Ganz im Gegenteil: die kontroverse Diskussion um die Wirkung verschaffte dem Energy Drink gerade am Anfang grosse Aufmerksamkeit und führte zu einem regelrechten Hype. Jeder wollte einmal persönlich testen. Seither ist Red Bull Kult.
Marketing: ein Drittel des Umsatzes
Und Mateschitz tut alles dafür, dass das so bleibt. Marketing ist bei Red Bull wichtiger als das eigentliche Produkt. Die Red Bull GmbH im österreichischen Fuschl am See bei Salzburg produziert den Energy Drink nicht einmal selbst. Es wird von der Firma Rauch Fruchtsäfte in Vorarlberg als externem Dienstleister hergestellt. Auch in Widnau im Kanton Sankt Gallen gibt es eine Produktionsstätte. Hier wird vor allem für den amerikanischen Markt gearbeitet. Red Bull möchte damit Handelsstreitigkeiten zwischen der EU und den USA aus dem Weg gehen.
Umso mehr fokussiert man sich auf die Marke und die Vermarktung. Die Marke ist der eigentliche Schatz des Unternehmens. Ihr Wert wird auf rund 14 Milliarden Euro geschätzt. Sie gehört damit mittlerweile zu den europäischen TOP-Marken. Im Weltmassstab liegt sie zumindest unter den ersten hundert. Schätzungsweise ein Drittel des Umsatzes von Red Bull wird für Marketing-Aktivitäten ausgegeben – eine Milliardensumme. Zum Vergleich: Der Getränke-Gigant Coca Cola wendet dafür gerade mal 9 Prozent seines Umsatzes auf. Manche sehen denn Red Bull auch mehr als eine Marketing- und Event-Agentur in eigener Sache denn als Getränkehersteller. Genaue Zahlen gibt es nicht, bezüglich der Publizität zeigt sich das Unternehmen eher zurückhaltend. Im Jahresabschluss von Red Bull werden die Ausgaben in der Position „sonstige betriebliche Aufwendungen“ versteckt.
Fokussierung auf Sport-Events und Extremsport
Der für Marketing-Zwecke entwickelte Slogan „Red Bull verleiht Flügel“ hat dabei einen ausserordentlich hohen Bekanntheitsgrad erlangt. Neben der klassischen Werbung hat Red Bull von Anfang an in starkem Mass auf andere Formen der Vermarktung gesetzt, die vor allem sportliche Veranstaltungen und Events einbeziehen. Ein besonderes Schwergewicht liegt auf Extremsportarten. So richtete und richtet Red Bull mit Formaten wie dem Red Bull Dolomitenmann, dem Red Bull Vertigo, den Red Bull X-Alps, Red Bull Crashed Ice oder den Red Bull Air Race Series eine Vielzahl eigener Sport-Events aus. Weltweit hat das Unternehmen rund 600 Extremsportler als Partner unter Vertrag. Im Zusammenhang mit einigen Unfällen ist diese Extremsport-Orientierung nicht immer ohne Kritik geblieben.
Darüber hinaus betätigt sich Red Bull aber auch in regulären Sportarten. Hier tritt das Unternehmen vor allem als Sponsor auf. Im Fokus stehen dabei Sportarten, bei denen es um Schnelligkeit, Geschwindigkeit und Geschicklichkeit geht. Das Spektrum ist sehr breit angelegt. Hauptaktivitätsfelder sind Fussball, Eishockey und Motorsport. In diesen Bereichen tritt das Unternehmen bei Wettbewerben häufig auch mit eigenen Teams an.
Markenschutz und Content-Marketing
Natürlich ist die öffentlichkeitswirksame und positive Berichterstattung über solche Ereignisse von entscheidender Bedeutung für den gewünschten Werbeeffekt. Sie wird von dem Unternehmen aktiv gefördert und betrieben. Red Bull gilt dabei als Vorreiter für erfolgreiches Content Marketing und nutzt dafür alle denkbaren Kanäle. Neben Online-Medien werden der hauseigene Fernsehsender „Servus-TV“ oder das Magazin „The Red Bulletin“ mit Millionen-Auflage eingesetzt – Medienprodukte, die erst auf den zweiten Blick als zum Hause Red Bull gehörig erkennbar sind.
Wo die Marke so kostbar ist, wird ausserdem sehr viel Wert auf Markenschutz gelegt. Wer in den Verdacht gerät, den Markennamen „Red Bull“ zu kopieren, nachzuahmen oder sonst in irgendeiner Weise missbräuchlich zu nutzen, muss sich auf gerichtliche Auseinandersetzungen gefasst machen. Das Unternehmen hat sich weltweit Markenrechte in unterschiedlichstem Zusammenhang schützen lassen. So ist alleine das Wort „Red“ markenrechtlich geschützt. Auch der Spruch mit den Flügeln kann nicht ohne weiteres anderweitig verwandt werden. Manche Rechtsauseinandersetzungen um die Marke muten mitunter recht skurril an. Das ficht die Anwälte, die die Interessen des Unternehmens vertreten nicht an. Red Bull weiss, worin sein wahrer Wert besteht.
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