Schweiz: Helikopter der Rega retten viel mehr Herzkranke

11’055 Mal rückte die Schweizerische Rettungsflugwacht 2016 aus. Immer mehr Einsätze zählt sie aufgrund von Herz- und Kreislauferkrankungen.

Dieses Phänomen ist nicht nur auf die erhöhte Mobilität von Rentnern zurückzuführen.

Herr und Frau Müller befinden sich während einer Wanderung auf dem Abstieg vom Pilatus zur Fräkmüntegg. Der Mann stolpert plötzlich, rutscht den Hang hinunter und wird erst durch einen Felsblock gestoppt. Er ist noch ansprechbar, aber nicht mehr in der Lage, zum Wanderweg zurückzukehren. Seine Frau zückt das Handy und löst den Alarm über die Notfall-App der Schweizerischen Rettungsflugwacht, kurz Rega, aus (siehe Kasten). Wenige Minuten später ist der Rettungshelikopter vor Ort.

Ähnliche Fälle wie dieser kommen häufig vor: 2016 musste die Rega schweizweit für 911 Wanderer in Not ausrücken. Im Jahr 2015 waren es 833 Einsätze gewesen, 2014 deren 651. Die Schwankungen sind laut Rega unter anderem auf die Wetterverhältnisse zurückzuführen. Ist es schön, sind auch vermehrt Wanderer unterwegs, und es passieren mehr Unfälle.

Gemäss der ­Beratungsstelle für Unfallverhütung verletzen sich jedes Jahr rund 20’000 Wanderer, die meisten am Unterschenkel und am Fuss (34,4 Prozent), gefolgt von Kopfverletzungen (24,4 Prozent) und Knie-, Oberschenkel- und Beckenver­letzungen (17,5 Prozent). Insgesamt organisierte die Rega im letzten Jahr für Menschen in Not 11’055 Einsätze mit Rettungshelikoptern – und damit kaum weniger als im Rekordjahr 2015 mit 11’186 Einsätzen.

Die Mobilität und die Aktivität der Pensionäre nehmen zu

In diese Statistik fallen unter anderem auch Einsätze für Patienten mit Herz-/Kreislauferkrankungen, die von der Rega in Spitäler geflogen werden müssen – ­sowohl in den Bergen als auch im Flachland. Auffallend dabei: Die Zahl dieser Einsätze steigt seit 2001 jedes Jahr an. Registrierte die Rega in diesem Bereich im Jahr 2011 noch 1’438 Einsätze, waren es im vergangenen Jahr 2’146. Das entspricht einem Anstieg von 67 Prozent.

Urs Jeker, Leitender Arzt Kardiologie am Luzerner Kantonsspital, nennt gleich mehrere Gründe für diese Zunahme. „Die Mobilität und die Aktivität der Menschen – insbesondere jener in der zweiten Lebenshälfte – nimmt zu.“ Er fügt an: „Zwischen 30 und 50 wird die sportliche Aktivität aufgrund verschiedener Faktoren wie etwa Job oder Familie reduziert.“

Ab etwa 50 würden viele wieder mehr Sport treiben. Das sei begrüssenswert, berge aber auch Gefahren: „Wenn man jahrelang körperlich wenig aktiv war, muss man die Leistungsziele auf die ­aktuelle Fitness adaptieren.“ Nicht alle würden diesen Schritt schaffen. „Mancher denkt, er kann noch das Gleiche ­leisten wie vor 20 Jahren.“ Diese Überschätzung könne dann zu Unfällen führen – gerade auch in den Bergen.

Ein weiterer Grund für den Anstieg der Herz-/Kreislaufpatienten sei der medizinische Fortschritt. Jeker macht ein Beispiel: „Vor 40 Jahren hat man bei Brustschmerzen, die etwa auf einen Herzinfarkt hindeuten können, unter anderem die Brust mit Kirsch eingerieben.“ So blieben früher viele Herzinfarkte unentdeckt. Heute ist man deutlich weiter: „Sowohl Mediziner als auch Laien sind sensibilisierter und erkennen Zeichen eines drohenden Herzinfarktes schneller als früher.“

Die Sensibilisierung sei auch bei der Bevölkerung angekommen. Dass gesunde Ernährung, tägliche Bewegung und der Verzicht auf Nikotin das Risiko reduzieren, wissen heute fast alle, so ­Jeker. Nebst der Medizin hat sich in den vergangenen Jahren auch in der Aviatik viel geändert. So können etwa die Rega-Helikopter heute das Berner Inselspital dank dem so genannten Instrumentenflugverfahren auch bei Nebel anfliegen.

In Zukunft soll auch das Luzerner Kantonsspital über ein solches Anflugverfahren verfügen – noch sind aber notwen­dige Bewilligungen des Bundesamtes für ­Zivilluftfahrt ausstehend. Rega-Sprecher Adrian Schindler: „Wir arbeiten daran, die Anzahl der Einsätze, die wegen schlechten Wetters nicht geflogen werden können, weiter zu reduzieren.“

Auch Wasserpolizei musste verirrte Wanderer retten

Hin und wieder kommt es vor, dass die Rega sogenannte Präventiveinsätze fliegt. Heisst: Sie rettet etwa unverletzte Wanderer, die sich in einer Notsituation befinden. Dann zum Beispiel, wenn sich Personen verirren. „Durch eine frühzeitige Rettung können Unfälle und damit ernsthafte Verletzungen vermieden ­werden“, erklärt Schindler.

Für solche Einsätze würde es aber nicht immer den Heli brauchen. „Manchmal kann die Einsatzleitung der Rega per Telefon weiterhelfen. Oder der Rega-Einsatzleiter bietet die Bergretter des Schweizer Alpen-Clubs (SAC) auf, die sich zu Fuss zum Einsatzort begeben“, so Schindler.

Auch bei der Luzerner Polizei musste man heuer Wanderer retten. Kürzlich barg die Wasserpolizei vier Touristen unterhalb des Bürgenstocks, weil sie sich verirrt hatten, wie Simon Kopp, Sprecher der Staatsanwaltschaft, sagt. Am fast gleichen Ort sei auch ein älterer Herr in Not geraten. Auch er musste von der Wasserpolizei gerettet werden.

Fünf Tipps für Wanderer

Die Rega-Einsatzzentrale rät Wanderern das Folgende:

  • Laden Sie vor der Wanderung den Akku Ihres Handys vollständig auf und halten Sie es warm und geschützt – es kann im Notfall Leben retten.
  • Tragen Sie gutes Schuhwerk: Stolpern und Ausrutschen sind die häufigsten ­Unfallursachen beim Wandern. Und: ­Auffällige Kleidung erhöht die Sichtbarkeit, auch für die Rega-Crew.
  • Alarmieren Sie die Rega frühzeitig. Ein Beispiel: Sie brauchen Hilfe und sehen, dass ein Unwetter aufkommt – und es ist schon später Nachmittag. Dann warten Sie nicht länger mit der Alarmierung, denn schlechte Sicht kann die Rettung verzögern oder gar verunmöglichen.
  • Teilen Sie Freunden oder Bekannten mit, wohin sie gehen wollen und wann Sie voraussichtlich am Ziel sein werden. Das kann im Notfall die Suche erleichtern.
  • Prüfen Sie regelmässig, wo Sie sich befinden, damit Sie bei einer Alarmierung Ihren Standort mitteilen können.

 

Quelle: Yasmin Kunz / Luzerner Zeitung / kuy (Tipps)
Artikelbild: Symbolbild © Rega

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