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PID-Verbot soll in der Schweiz gelockert werden: Kommt jetzt der Mensch nach Mass?

28.06.2012 |  Von  |  News

Bislang war in der Schweiz PID (= Präimplantationsdiagnostik) verboten. Gemeint ist damit die genetische Untersuchung von Embryonen im Rahmen einer künstlichen Befruchtung. Doch künftig will der Bundesrat das PID-Verbot lockern. Gesundheitsminister Alain Berset wurde beauftragt, bis im Frühjahr 2013 die Botschaft zu den entsprechenden Gesetzentwürfen auszuarbeiten.

Neu sollen Paare mit erblicher Vorbelastung, bei denen die Gefahr besteht, dass ihr Kind von einer schweren Erbkrankheit betroffen sein könnte, die PID in Anspruch nehmen können. Dies teilte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Donnerstag mit. Alle anderen PID-Anwendungsmöglichkeiten bleiben jedoch verboten. So sollen Embryonen weiterhin nicht auf Trisomie 21 untersucht werden dürfen. Auch die Auswahl von „Retter-Babys“ zur Gewebespende für kranke Geschwister bleibt verboten.

Acht statt drei Embryonen dürfen entwickelt werden

Ferner sollen künftig pro Zyklus bis zu acht – statt bislang bis zu drei – Embryonen in vitro (= im Reagenzglas) entwickelt werden dürfen. Die sogenannte „Dreier-Regel“ wird damit durch eine „Achter-Regel“ ersetzt. Begründet wird dies damit, dass erblich belastete Paare dieselben Chancen auf einen übertragbaren Embryo erhalten sollen wie unbelastete Paare. Zudem soll das Verbot aufgehoben werden, Embryonen aufzubewahren, um sie allenfalls später zu übertragen. Dadurch soll die Zahl der Mehrlingsschwangerschaften gesenkt werden, die mit Risiken für Mutter und Kinder verbunden sind.

Diese Neuerungen machen eine Änderung des Verfassungsartikels 119 über Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich sowie des Fortpflanzungsmedizingesetzes nötig.


Kommentar: Mit der Lockerung des PID-Verbots ist die Tür zum „Menschen nach Mass“ aufgestossen. Nur genetisch geprüfte, gesunde Embryonen dürfen überleben, kranke landen in der Mülltonne. Das heisst doch, dass nur gesunde Menschen mit einem „genetischen Qualitätssiegel“ ein Überlebensrecht zugesprochen bekommen. Menschen mit „schlechtem“ Erbgut werden dagegen präventiv vorgeburtlich „entsorgt“.

Ja, Embryonen sind auch Menschen. PID-Befürworter negieren, dass die Würde des Menschen vom Beginn des Lebens besteht. Einen Embryo zu töten, ist moralisch genauso verwerflich, wie einen Menschen im späteren Stadium seines Lebens zu töten. Das lässt sich aus ethischen Grundregeln zwingend herleiten (siehe hier). Somit ist die Tötung eines erblich belasteten Embryos moralisch auch nicht besser als die Tötung eines kranken Kleinkindes. In beiden Fällen zeigt sich letztlich die gleiche zynische Denkungsweise.

Paare, die PID nutzen wollen, befinden sich in dem sonderbaren Glauben, nicht nur ein Recht auf ein Kind zu haben, sondern auch ein Recht auf ein gesundes Kind. Diese Auffassung teile ich ganz und gar nicht. Kinder sind aus meiner Sicht ein Geschenk, das Eltern so nehmen sollten, wie „es kommt“. Manchmal wird Eltern dieses Geschenk trotz eines Kinderwunsches auf natürlichem Weg nicht zuteil. Doch es gibt es wunderbare Alternativen – sei es die Aufnahme eines Pflegekindes oder eine Adoption.

Dass Barbarei letztlich die Kehrseite des technischen Fortschritts sei, meinte der Sozialphilosoph Theodor W. Adorno entdeckt zu haben. Er nannte das „Dialektik der Aufklärung“. Anscheinend hatte er Recht – und offenbar gilt das auch für den medizintechnischen Fortschritt. Vordergründig führt PID zu glücklichen Eltern mit gesunden Kindern. Doch um den Preis, dass anderes (für qualitativ schlecht befundenes) menschliches Leben dafür geopfert wurde. Kurz gesagt: Ich denke nicht, dass PID die Welt besser macht. Eher kälter.

 

Oberstes Bild: © koya979 – shutterstock.com