Kindersterblichkeit zu hoch

Anfang Mai 2014 kam die erschreckende Meldung. Die Schweiz steht in der Statistik der Kindersterblichkeit in Westeuropa an vierter Stelle. Das bedeutet, dass in nur drei europäischen Ländern mehr Kinder von der Geburt bis zum fünften Lebensjahr sterben als in der Schweiz.

Dieser zweifelhafte Spitzenplatz passt so gar nicht in das Bild einer Schweiz, die mit hervorragenden Lebensbedingungen eigentlich auch die Problematik der Kindersterblichkeit im Griff haben sollte. In diesem Beitrag wird untersucht, warum das vielleicht nicht so ist.

Die Zahlen und die Fakten dahinter

Von 1000 Kindern sterben in der Schweiz 4,3 während der ersten fünf Lebensjahre. Das sagt die Statistik für 2013. Damit liegt die Schweiz auf einem weniger schönen Platz vier. An der Spitze nehmen Malta (7), Grossbritannien (4,9) und Irland (4,6) die zweifelhaften Top-Positionen im Ranking ein. Mit 4,3 Todesfällen auf 1000 Geburten in der Altersgruppe bis zu fünf Jahren wird hierzulande kein besorgniserregender oder gar kritischer Wert erreicht, darüber nachdenken sollte man aber allemal.

Andere Diagnostik

Ein Grund für die relativ höhere Kindersterblichkeit in der Schweiz können die anderen Massstäbe bei der pränatalen Diagnostik sein. Damit wird hier noch sehr zurückhaltend gearbeitet, sodass auch viele Kinder mit schweren Behinderungen zur Welt kommen, mit denen sie nicht überlebensfähig sind oder die eine normale Geburt gar nicht erlaubt hätten. Eine aktivere Haltung zur pränatalen Diagnostik bereits innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft könnte hier hilfreich sein.

So zeigt die Statistik auch, dass die Quote der Kindersterblichkeit im gleichen Masse sinkt, wie der Anteil der Pränatal-Diagnostik steigt. Hier wäre für die Schweiz ein Handlungsfeld im Sinne der Senkung der Kindersterblichkeit gegeben.

Anderer Umgang mit Frühgeburten

In den modernen Industriestaaten Westeuropas scheint ein regelrechter Wettkampf darum entbrannt zu sein, ab welchem Entwicklungsalter Frühgeburten noch überleben können. Die kritische Grenze, nach der Frühchen auch ohne prognostizierte Behinderungen gut überleben können, liegt mittlerweile bereits bei der 25. Schwangerschaftswoche. Allerdings ist hier eine umfangreiche medizinische Intensivbetreuung erforderlich, deren Ausgang letztlich doch immer ungewiss bleibt.


In den modernen Industriestaaten Westeuropas scheint ein regelrechter Wettkampf darum entbrannt zu sein, ab welchem Entwicklungsalter Frühgeburten noch überleben können. (Bild: spfotocz / Shutterstock.com)
In den modernen Industriestaaten Westeuropas scheint ein regelrechter Wettkampf darum entbrannt zu sein, ab welchem Entwicklungsalter Frühgeburten noch überleben können. (Bild: spfotocz / Shutterstock.com)


Die Schweiz hat ein eher restriktives Verhältnis zu Frühgeburten. Die Überlebenschancen werden dabei eher gering eingeschätzt, dementsprechend zurückhaltend erfolgt auch der Einsatz lebenserhaltender und entwicklungsfördernder Intensivmassnahmen bei zeitigen Frühgeburten. Auch das hat Wirkungen auf die Quote der Kindersterblichkeit.

Bei Frühchen, die bereits unterhalb der kritischen Marke der 25. Schwangerschaftswoche geboren werden, wird oftmals vollständig auf Massnahmen zur Lebenserhaltung verzichtet, da dann ohnehin mit einem ungleich höheren Risiko schwerer Behinderungen gerechnet wird. Hier neigen die Ärzte eher zur Aufgabe. Darüber hinaus sterben viele dieser Frühchen ohnehin innerhalb der ersten vier Wochen nach der Geburt.

Kann ein hoher Ausländeranteil verantwortlich gemacht werden?

Nicht wenige gehen zudem davon aus, dass die relativ hohe Kindersterblichkeit auch mit einem hohen Anteil der Geburten durch Ausländer in der Schweiz zusammenhängen könnte. Abgezielt wird dabei darauf, dass vor allem Familien aus muslimischen Umfeldern zu relativ hohen Geburtenraten neigen und dementsprechend auch mehr Todesfälle bei diesen Familien auftreten.

Allerdings geht diese Rechnung im europäischen Vergleich nicht auf. So hat beispielsweise Luxemburg mit über 44 % den höchsten Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung, liegt aber im Ranking der Kindersterblichkeit mit 2,8 Todesfällen unter 1000 Kindern innerhalb der ersten fünf Lebensjahre deutlich besser als die Schweiz. Also scheidet diese Theorie letztlich aus.

Was zu tun bleibt

Aufgrund dieser Aussagen scheint klar zu sein, dass ein Absenken der Kindersterblichkeit marginal damit zusammenhängt, wie mit den Themen der Pränatal-Diagnostik und der Überlebenschancen für Frühgeburten umgegangen wird. Besonders im Bereich der Diagnostik bereits in der Frühschwangerschaft lassen sich Weichen stellen, die deutlich öfter und zeitiger das Vorliegen bestimmter Behinderungen wie beispielsweise des Down-Syndroms erkennen lassen. Besonders Kinder mit Down-Syndrom neigen überdurchschnittlich häufiger zum frühen Kindstod, da hier oftmals auch schwere Schädigungen am Herzen vorliegen.

Insgesamt ist die Schweiz trotz des unschönen vierten Platzes in der Statistik zur Kindersterblichkeit 2013 gut vorangekommen. Nicht zu leugnen bleibt, dass weitere Verbesserungen in der Pränatal-Diagnostik und bei der Frühgeborenen-Intensivbehandlung notwendig bleiben. Dann kann die Quote der Kindersterblichkeit in den nächsten Jahren auch deutlich verbessert werden.

Klar sein sollte jedoch auch, dass eine Kindersterblichkeit gegen null ohnehin nicht zu erreichen sein wird. Den Spitzenwert mit nur 2,4 Todesfällen auf 1000 Kinder bis zum fünften Lebensjahr nimmt übrigens Island ein. Überhaupt haben sich die nordeuropäischen Länder in den letzten Jahren in diesem Bereich besonders positiv entwickelt. Verantwortlich gemacht wird dafür auch die zeitige Untersuchung des Erbgutes am Fötus, um auf diese Weise schon früh lebensbedrohliche Schädigungen feststellen zu können. Im Zweifelsfall wird dann hier auch schon sehr früh zu einem Schwangerschaftsabbruch geraten.

Kindstod ist mehr als Statistik

Dass der frühe Tod eines Kindes tief in das Leben der Mütter und ganzer Familien eingreift, steht ausserhalb der statistischen Erwägungen. Viele Mütter kämpfen bis zuletzt um das Leben ihrer Kinder, auch wenn diese viel zu früh oder mit schweren Behinderungen auf die Welt kommen. Und nicht wenige Mütter ziehen die Geburt eines behinderten Kindes einer frühzeitigen Abtreibung nach Feststellung geringer Überlebenschancen dennoch vor. Denn auch hier stirbt die Hoffnung zuletzt.

 

Oberstes Bild: © Twin Design – Shutterstock.com

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