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Flexibilisierung der Arbeitswelt: „gekaufte“ Urlaubstage

21.11.2014 |  Von  |  Beitrag

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Mit steigendem Fachkräftemangel ringen Arbeitgeber um die Gunst ihrer Mitarbeiter mit durchaus kreativen Mitteln. Denn: Nur zufriedene Mitarbeiter bleiben ihrem Job treu, und nur zufriedene Mitarbeiter erbringen dauerhaft zuverlässig gute Leistungen.

Ein neues Angebot, das derzeit von verschiedenen Schweizer Unternehmen getestet wird: Mitarbeiter können sich zusätzliche Urlaubstage „kaufen“. Wofür auch immer sie diese Frei-Zeit brauchen – ob für familiäre Verpflichtungen, für Selbsterfahrungen, für Reisen oder für eine ausgeglichenere Work-Life-Balance –, das ist egal. Entscheidend ist, dass es den Mitarbeitern leichter gemacht wird, unbezahlten Urlaub zu nehmen.

Der unbezahlte Urlaub als Vorbild

Und in der Tat basieren die neuen Modelle im Wesentlichen auf dem, was traditionell als unbezahlter Urlaub bezeichnet wurde: Wie er muss auch die „gekaufte“ Urlaubszeit beim Arbeitgeber beantragt, mit den Kollegen abgestimmt und erst dann gewährt werden, wenn der Anspruch auf bezahlten Urlaub bereits erfüllt wurde.

Carsten Roetz, Sprecher bei Swisscom, wo das Modell bereits in einer Testphase läuft, betont, dass der wichtigste Unterschied ein höheres Mass an Flexibilität sei: Während unbezahlter Urlaub in der Regel weit im Voraus geplant habe werden müssen und meist nur überhaupt für absehbar längere Zeit beantragt wurde (und beantragt werden sollte), biete man jetzt an, relativ spontan einzelne Tage freizunehmen. Für Mitarbeiter hat das den Vorteil, dass sie wesentlich flexibler agieren können. Die Leistungen ihrer Versicherungen übrigens bleiben von den „gekauften“ Urlaubstagen unberührt.

Swisscom hat seine Testphase mit einem Schreiben der Personalabteilung an seine IT-Mitarbeiter eingeleitet: Darin wurden sie gefragt, ob sie Interesse hätten an zwei zusätzlichen Urlaubswochen im Jahr. Zum Ausgleich dafür müssten sie allerdings auf Teile ihres Gehalts verzichten. Das Angebot wurde durchaus angenommen, wenn auch verhalten. Umso gelassener konnte es Swisscom schliesslich auf die gesamte Belegschaft ausweiten.

Ausser Swisscom bieten längst auch andere Schweizer Unternehmen ähnliche Modelle an, etwa die Grossbank UBS. Sie berechnet den Gehaltsverzicht annähernd taggenau, nach einer nachvollziehbaren Formel. Danach hat ein Arbeitnehmer, der eine zusätzliche Woche Urlaub nimmt, auf 5/261 des Brutto-Jahresgehaltes zu verzichten.

Verhaltenes Interesse bei den Mitarbeitern

Insgesamt hält sich das Interesse der Mitarbeiter an zusätzlichem Urlaub allerdings in Grenzen. Bei Swisscom waren es lediglich 130 Beschäftigte (von immerhin 2300 insgesamt), die ihn in Anspruch genommen haben (mit zusammen 900 Urlaubstagen); das entspricht rund sechs Prozent der Arbeitnehmer bei einer durchschnittlichen Zahl von sieben Urlaubstagen. Bei UBS waren es noch weniger, nämlich 2,5 Prozent der Arbeitnehmer. Warum das so ist, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren.

Ob der Bedarf tatsächlich nicht höher ist oder ob trotz allem psychologische Hemmschwellen bestehen, das ist bisher nicht geklärt. Denkbar ist ja durchaus die Angst vor Stigmatisierung durch Vorgesetzte und Kollegen, zum Beispiel vor der Unterstellung, sich nicht hinreichend den betrieblichen Belangen hinzugeben. Dennoch: Diejenigen, die aus welchen Gründen darauf angewiesen sind und entsprechend davon profitieren, dürften die Angebote sehr zu schätzen wissen.[/vc_column_text][vc_separator color=“grey“][vc_column_text]

Die Mitarbeiter verschiedener Schweizer Unternehmen können zusätzliche Ferientage kaufen. (Bild: Frank Gaertner / Shutterstock.com)

Die Mitarbeiter verschiedener Schweizer Unternehmen können zusätzliche Ferientage kaufen. (Bild: Frank Gaertner / Shutterstock.com)

[/vc_column_text][vc_separator color=“grey“][vc_column_text]Wirtschaftliche Interessen der Unternehmer

Bleibt noch die Frage, welche Interessen die Unternehmen ausser der Mitarbeiterzufriedenheit noch mit in den Blick nehmen. Bei UBS waren es eindeutig wirtschaftliche Erwägungen: Während der Hochphase der Finanzkrise im Jahr 2009 sah sich die UBS gezwungen, Personalkosten einzusparen.

Da bot es sich an, darüber nachzudenken, wie trotz Stellenabbaus möglichst viel Know-how aus der Mitarbeiterschaft gehalten werden könnte. Eine der wichtigsten Massnahmen damals war das Angebot an die Belegschaft, Arbeitszeit zu reduzieren. Daraus entwickelte sich nach und nach eine grosse Palette von weiteren Flexibilisierungsmöglichkeiten, etwa Teilzeitarbeit, Jobsharing, Jahresarbeitszeitmodelle und Homeoffice-Lösungen, aber auch Pool-Arbeitsplätze in der näheren Umgebung des Wohnorts und – ab dem Alter von 58 Jahren – die Gelegenheit zur Teilverrentung oder zur Teilzeitarbeit ohne Einschnitte in die Versicherungsleistungen. Und eben die Möglichkeit, Urlaub zu „kaufen“.

Carsten Roetz von Swisscom hält den wirtschaftlichen Effekt des „gekauften“ Urlaubs allein jedoch für vernachlässigenswert. Sein Unternehmen spart daran nach eigenen Angaben nur einen kleineren einstelligen Millionenbetrag. In der Gesamtbilanz schlägt das nicht weiter zu Buche.

Kritische Stimmen

Andererseits hat das Modell des „gekauften“ Urlaubs vielleicht auch gewisse Nachteile, die erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind. Dr. Michael Beckmann, Professor für Personal und Organisation an der Universität Basel, sieht die zunehmende Flexibilisierung durchaus kritisch. Denn sie verlangt von den Arbeitnehmern die mehr oder weniger ständige Anpassung an die betrieblichen Belange.

In Zeiten, in denen viel zu tun ist, haben die Mitarbeiter entsprechend viel (und das heisst oft eben auch: lang) zu arbeiten, während sie in Zeiten der Flaute mit Hinweis auf die Flexibilisierungsmöglichkeiten ihre vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten zu unterschreiten angehalten werden könnten. Mit anderen Worten: Die Bedürfnisse der Arbeitnehmer selbst bzw. die Bedürfnisse beispielsweise ihrer Kinder oder anderer Familienangehöriger dürften in der Praxis, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielen.

So könnte das Zauberwort „Flexibilisierung“ schliesslich seinen verheissungsvollen Klang verlieren und als verhüllende Umschreibung für „Anpassungsdruck“ verstanden und eingesetzt werden. Ob es ganz so schlimm kommt, das bleibt vorläufig allerdings noch abzuwarten.

 

Oberstes Bild: © luminaimages – Shutterstock.com[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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