Zweifelhafte Ideen gegen den Stau auf Schweizer Strassen
von Olaf Hoffmann
Wenn das Auto zunehmend zur Gehhilfe verkommt, weil sich die Verkehrspolitik nicht für wirklich staumindernde Massnahmen entscheiden kann, droht dem Individualverkehr in der Schweiz der Kollaps. In Zeiten, in denen Geschwindigkeit in vielen Bereichen zwingend notwendig für einen aufstrebenden Wirtschaftsstandort ist, kann ein allgemeines drastisches Tempolimit nur die schlechteste Lösung sein.
Tempo 70 auf der Autobahn
Autobahnen gelten generell als Schnellstrassen, die ein zügiges Fortkommen besonders über längere Strecken hinweg bieten sollen. Musterbeispiel für die freie Fahrt freier Bürger könnte Deutschland sein. Auch wenn hier immer mehr Tempolimits die freie Entscheidung für ein selbstgewähltes Tempo ausbremsen, gibt es bei den deutschen Nachbarn noch Hunderte Autobahnkilometer völlig frei von Geschwindigkeitsbegrenzungen. Das ist übrigens auch ein Grund dafür, warum viele Nachbarn Deutschlands immer wieder mal über die Grenze tuckern, um dann endlich einmal unbeschwert auf das Gaspedal drücken zu können. Dabei weisen vernünftig ausgebaute Streckenabschnitte ohne Geschwindigkeitsbegrenzung kaum signifikant grössere Unfallrisiken auf als andere Abschnitte.
Nach dem Willen einiger Schweizer Verkehrspolitiker soll eine drastische allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Schweizer Autobahnen das Heilmittel schlechthin gegen die zunehmenden Staus sein. Angedacht ist generell Tempo 70 auf der Autobahn. Das wirkt bezogen auf die Begrifflichkeit Schnellstrasse fast schon absurd lächerlich.
Angeblich führt eine derartige Geschwindigkeitsbegrenzung zu einer Verflüssigung des Verkehrs. Dem kann allerdings jeder erfahrene Autobahnnutzer widersprechen. Dieser Widerspruch folgt einer einfachen Logik. Je langsamer ein Auto fährt, desto länger hält es sich auf der Strasse auf und belegt demnach auch entsprechend länger den benötigten Verkehrsraum. Da das Aufkommen an Fahrzeugen schlechthin aber eher zunehmen als abnehmen wird, ist damit eine Verdichtung des Verkehrsaufkommens auf der Autobahn einfach prognostizierbar.
Sinnvoller als eine allgemeine Temporeduktion auf den Schweizer Autobahnen erscheint da eine verkehrsabhängige Geschwindigkeitsregelung. Hier kann aktuell auf das Verkehrsaufkommen reagiert und das Tempo den tatsächlichen Bedingungen angepasst werden. Eine solche Regelung ergibt mehr Sinn als ein allgemeines Tempolimit, das den Verkehr entschleunigt und so noch mehr auf den einzelnen Strassenabschnitten sammelt.
Wird ein generelles Tempolimit um die 70 km/h auf Schweizer Autobahnen eingeführt, vergrault das offensichtlich auch wichtige Transitfahrer von den Schweizer Strassen. Vielleicht ist auch hier die Absicht einiger Verkehrspolitiker zu finden, die den Verkehr lieber lahmlegen, als sinnvoll zu gestalten. Auch ein zunehmender Druck auf den Privatverkehr könnte ja immerhin zu einer breiteren Nutzung des ÖV führen, was aber nicht in jedem Fall sinnvoll und wünschenswert wäre.
Ausbau der Verkehrsrouten infrage gestellt
Ein weiterer Ausbau der Verkehrsinfrastruktur könnte eine bessere Lösung sein, wird aber weiterhin hintenan gestellt. Sicherlich auch aus Kostengründen. Letzten Endes wird aber auch die Schweiz nicht um einen Ausbau der Verkehrswege herumkommen, wenn moderne Infrastrukturen gefragt sind. Und die sind für ein wirtschaftlich florierendes Land unerlässlich, wenn der Verkehr letztlich nicht zur Bremse der Gesamtwirtschaft werden soll. Dazu ist die Tempolimitierung auf fragwürdige 70 mit Sicherheit keine langfristig sinnvolle und umsetzbare Lösung.
Städte- und Landstrassen werden zu Flaniermeilen
Die Absichten der selbst ernannten Verkehrslenker gehen jedoch weit über das Tempolimit auf der Autobahn hinaus. So soll für alle anderen Strassen ein Tempolimit von 35 bis 40 Stundenkilometern den Verkehrsfluss entflechten und flüssiger machen. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie künftig in Stadtlagen zunehmend von Fahrrädern überholt werden, weil die eben oftmals schneller können als 35.
Insgesamt würde eine solche Limitierung der Geschwindigkeiten einen Schritt zurück in die Gründerzeiten des Automobils bedeuten. Schon vor über 100 Jahren tuckerten die ersten Vehikel in solchen Geschwindigkeiten über die Strassen. Aus umweltschützerischer Sicht wirkt das Verlangen nach derart drastischen Limits bei genauerer Betrachtung fast schon absurd. Erfahrungsgemäss ist der Kraftstoffverbrauch bei den meisten Fahrzeugen um die 90 km/h im fünften Gang am geringsten, dementsprechend auch der Schadstoffausstoss gering. Wer hingegen auf den Stadt- und Landstrassen ständig mit eingelegtem zweiten und dritten Gang fährt, erhöht nicht nur den Spritverbrauch, sondern auch die Menge anfallender Schadstoffe, die dann gerade bezüglich der Feinstaubbelastung durch Dieselfahrzeuge exorbitant ansteigen dürfte.
Irrelevante Beispiele gesucht
Wenn sich Verkehrspolitiker für eine drastische Temporeduktion auf Schweizer Strassen stark machen, dann suchen sie auch händeringend nach internationalen Beispielen. Hergenommen werden dann beispielsweise Erfahrungen aus Singapur. Dass diese jedoch nicht für einen adäquaten Vergleich herhalten können, sollte sich eigentlich von selbst erklären. Singapur hat so gar nichts von der Schweiz und ist in den Möglichkeiten des Ausbaus der Nationalstrassen schon wegen des zugebauten Verkehrsraumes ein denkbar schlechtes Vergleichsobjekt.
Das wäre, als wenn man die Möblierung einer engen Einraumwohnung mit der eines grosszügigen Lofts vergleichen wollte. Sinnvoller erscheint mir da der Vergleich mit anderen Verkehrslösungen, beispielsweise doppelstöckigen Autobahnen, wie es sie auch in den USA oder in einzelnen Ländern Asiens gibt.
Die Diskussion über eine vernünftige Verkehrsführung und stauvermeidende Massnahmen geht nicht über ein irrsinniges Tempolimit allein. Hier müssen viel umfassendere Massnahmenpakete her, die Geschwindigkeit, Sicherheit und modernes Verkehrsmanagement in einem Konzept zusammenführen, und zwar nicht allein auf Kosten einer komfortablen Reisegeschwindigkeit.
Oberstes Bild: © Nomad_Soul – Shutterstock.com