Einmal Sozialhilfe und nie wieder raus? Warum es schwerfällt, aus der Sozialhilfe-Spirale auszubrechen

Immer mehr Kinder und Jugendliche in der Schweiz leben in Familien, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das Leben am Existenzminimum prägt die Kindheit oftmals genauso wie die Chancen für die Zukunft. Oftmals erscheint der Weg aus der Sozialhilfe erschwert, wenn nicht gar gänzlich unmöglich.

Warum es gerade für Kinder und Jugendliche schwer ist, aus dem Leben in der Armut auszubrechen, versucht dieser Beitrag zu erfassen. Dabei muss Armut immer relativ zum Gesamtgefüge einer Gesellschaft betrachtet werden. Was hier als Armut beschrieben wird, könnte in manch anderem Land fast schon als Reichtum verstanden werden. Gemessen am Durchschnitt der berufstätigen Bevölkerung sind Sozialhilfeempfänger in der Schweiz mit Recht als arm einzustufen.

Das Leben am unteren Rand

Marius bettelt nicht, seine Eltern und Geschwister auch nicht. Aber Marius hat Wünsche. Ein neues Fahrrad wie der Nachbarjunge, vielleicht sogar ein Smartphone oder wenigstens ein Natel. Und auch ein eigenes Zimmer wäre nicht nur nett, sondern fast schon Luxus. Mit seinen drei jüngeren Brüdern in einem Zimmer zu leben macht nicht immer Spass. Besser hat es Miriam, die ist schon 17 und hat wenigstens ihr eigenes Zimmer. Allerdings sind ihre Möbel genauso alt wie ihre Kleider. Meist wird gebraucht gekauft und bei Lebensmitteln zählt selten, was lecker ist, sondern meist das, was günstig zu bekommen ist.

Wirklich schlimm findet Marius die Situation seiner Familie trotzdem nicht. Keiner muss hungern, die Familie hält zusammen und manchmal geht es am Wochenende auch mal raus ins Grüne. Nur die abschätzenden Blicke seiner Klassenkameraden und des einen oder anderen Nachbarn in der Wohnsiedlung nerven schon.

Marius ist eines von rund 75’000 Schweizer Kindern, die 2012 in Sozialhilfe lebten. Tendenz steigend. Bereits bei seiner Schwester erlebt er, wie schwierig es wird, aus der Sozialhilfe rauszukommen. Als Schulabbrecherin hat sie Probleme eine Arbeit, geschweige denn eine Lehrstelle zu finden. Irgendwie scheint sie dazu auch keine Lust zu haben, da bestenfalls Billigjobs zu haben sind. Damit kommt sie zumindest kurzfristig aus der Armut auch nicht raus.

Die Familie hat sich ansonsten mit dem Leben am unteren Rand arrangiert. Im Prinzip fehlt es nicht an Essen und Kleidung, das Leben in der engen Wohnung geht so, nur echte Erlebnisse oder auch mal was Neues sind eben Mangelware. Die Eltern sind seit Jahren ohne Arbeit, dafür aber so gut wie immer da. In dieser Hinsicht geht es Marius besser als vielen seiner Mitschüler, die ihre Eltern in der Woche nur als gestresste Erwachsene kennen, die kaum Zeit für die Kinder haben.

Gefährliche Ruhestellung

Das Arrangieren mit den ärmlichen Verhältnissen ist ein Wesenszug vieler Familien, die von der Sozialhilfe leben. Während sich die Eltern mit den Umständen eher pragmatisch abfinden, suchen die Kinder auf dem Schritt in die Jugend nach Veränderungen ihrer Situation. Dabei werden sie nicht selten Opfer von Bauernfängern, die die Heranwachsenden für ihre kriminellen Interessen ausnutzen. Für ein paar Franken wird da gedealt und gestohlen und nicht selten laufen auch noch ganz andere Maschen mit der Armut ab. Den betroffenen Kindern und Jugendlichen fällt es schwer, den Verlockungen des scheinbar leicht verdienten Geldes zu widerstehen. Letztendlich sind es gerade sie, die noch die Energie aufbringen wollen, sich aus der Armut zu befreien.

Auf diese Weise wird die Sozialhilfe zu einer gefährlichen Ruhehaltung, die zwar das Leben erträglich scheinen lässt, besondere Ansprüche an das Leben allerdings verbietet.


Ausbruch aus der Armut gelingt nur selten. (Bild: Piotr Marcinski / Shutterstock.com)
Ausbruch aus der Armut gelingt nur selten. (Bild: Piotr Marcinski / Shutterstock.com)


Ausbruch aus der Armut gelingt nur selten

Kinder, die als Sozialhilfeempfänger aufwachsen, lernen schnell zwei Dinge:

  1. Man kann auch ohne Arbeit irgendwie leben, und
  2. Anstrengung lohnt sich nur selten.

Schon in der Bildungsbeobachtung wird klar, dass Kinder aus Sozialhilfefamilien durchschnittlich weniger gebildet sind als ihre gleichaltrigen Nicht-Empfänger von Sozialhilfe. Das liegt meist daran, dass teure Zusatzangebote zur Schule oder Vereinsmitgliedschaften nicht bezahlbar sind und auch andere Interessen finanziell kaum bedient werden können. In der Folge bleiben die Betroffenen auf einem eher durchschnittlichen Wissens- und Erfahrungsstand, was naturgemäss den Weg in das Arbeitsleben erschwert. Bestenfalls geringbezahlte Arbeit mit wenig Ansprüchen an die Qualifikation kommt hier in Frage. Das ist dann letztlich auch ein Grund dafür, warum aus Sozialhilfe-Empfänger-Kindern letztendlich oftmals auch Sozialhilfe-Empfänger-Erwachsene werden.

Schritte aus der Armut

Sozialforscher und Sozialarbeiter gleichermassen beklagen, dass für betroffene Kinder und Jugendliche zu wenige Möglichkeiten des Ausstiegs aus der Sozialhilfe angeboten werden. Vor allem die Einbindung und Vernetzung mit nichtbedürftigen Gruppen fällt schwer. Dabei könnten besonders Ferienfreizeiten, schulische Patenschaften und besondere ausserschulische Angebote den Weg aus der Sozialhilfe bieten. Die Kosten dafür halten sich in Grenzen und bedeuten letztlich auch ein Sinken der kommunalen Aufwendungen für die staatliche Sozialhilfe.

Je besser es gelingt, Kinder und Jugendliche aus der Lethargie der Sozialhilfe herauszuholen, desto eher besteht auch die Chance, dass sich diese Kinder mit dem Leben in der Sozialhilfe nicht abfinden und aktiv nach Möglichkeiten des Ausstiegs suchen. Vor allem nach legalen Wegen aus der Armut. Und daran dürfte die Gesellschaft ebenso interessiert sein wie Marius, seine ältere Schwester und die jüngeren Brüder.

 

Oberstes Bild: © Zurijeta – Shutterstock.com

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