Supermächte müssen Krieg in Syrien beenden – Charles Glass zu Syrien
von Samuel Nies
„Der Krieg in Syrien wird erst enden, wenn sich die Regionalmächte und Supermächte darauf einigen, ihn zu beenden.“ Dies sagte der langjährige Nahost-Korrespondent Charles Glass in Boston im Rahmen der Vortragsreihe von Christian Solidarity International „Die Zukunft der religiösen Minderheiten im Nahen Osten“.
Der Journalist Charles Glass berichtet seit Jahrzehnten über Syrien und reist bis heute regelmässig in das vom Krieg erschütterte Land. In einem öffentlichen Vortrag am Boston College beschrieb er den Konflikt in Syrien einerseits als Stellvertreterkrieg zwischen den USA, Russland und Regionalmächten, andrerseits auch als Bürgerkrieg, der in innersyrischen Problemen wurzelt.
„Aber die Entscheide, das Geld und die Waffen kamen von den Super- und Regionalmächten“, hielt er fest, „von den Amerikanern über ihre Satellitenstaaten und von den Russen und Iranern.“
Ausländische Mächte entfachen Bürgerkrieg
„Die USA, Grossbritannien und Frankreich hegten schon lange den Wunsch, das syrische Regime loszuwerden“, sagte Glass. Als die syrische Revolution begann, versicherten Oppositionelle Glass, sie würden den Aufstand gewaltlos führen, „um eine Strategie zu verwenden, mit der das Regime nicht umgehen kann“: zivilen Ungehorsam und Generalstreik.
„Diese Strategie wäre vielleicht misslungen, aber sie hätte sicher nicht zu 250 000 Toten geführt und das halbe Land obdachlos gemacht.“ Stattdessen, so Glass, hätten der Westen und die Verbündeten in Saudi-Arabien, Katar und der Türkei Teile der Opposition davon überzeugt, zu den Waffen zu greifen und die friedlichen Demonstrationen zu einem Bürgerkrieg auszuweiten.
Minderheiten von den Islamisten auf die Seite des Regimes gedrängt
Eine Folge dieser Politik war nach Glass die Ausbreitung religiöser Gewalt in Syrien. Kontaktpersonen aus Minderheiten – Christen, Alawiten, Drusen –, die anfänglich die friedlichen, säkularen Aufstände mitgetragen hätten, „wurden von Dschihadisten aus der Revolution gedrängt und waren gezwungen, die Seite des Regimes zu ergreifen, um zu überleben.“
Wenn es auch vor dem Krieg in Syrien überhaupt keine politische Freiheit gab, habe doch „gesellschaftliche Freiheit“ geherrscht, ganz besonders für Christen, andere religiöse Minderheiten und Frauen.
Zentral ist, dass die fremden Mächte den Krieg beenden
Sollten die USA und ihre islamistischen Verbündeten in der Region obsiegen, werde „Syrien religiös gesäubert“ und seine Bewohner würden „mit einer Ideologie geknechtet, an die sie nicht glauben“.
Sollten dagegen Russland, Iran und das syrische Regime gewinnen, „dann wird es Repressalien und Massaker gegen die Syrer geben, die gegen das Regime waren“.
Gegenwärtig sei ein Sieg der einen über die andere Seite jedoch unwahrscheinlich. Es sehe vielmehr nach einem „langen und blutigen Krieg [aus] mit gewaltigen Auswirkungen auf Europa, der die amerikanische Aussenpolitik über Jahre hinweg belasten wird“.
Um dies zu verhindern, sollten die beiden Supermächte ein Abkommen zu Syrien erreichen und den kämpfenden Parteien einen Frieden aufzwingen, wie es im Libanon 1989 mit dem Abkommen von Taif gemacht wurde. „Die Wunden des Bürgerkriegs im Libanon sind vergleichsweise schnell verheilt“, sagte Glass. „Das könnte auch in Syrien geschehen. Am wichtigsten ist, dass die ausländischen Mächte, die diesen Krieg am Leben erhalten, damit aufhören.“ Solange noch nicht alle Christen aus dem Land vertrieben seien, gebe es Hoffnung für Syriens multikulturelle Gesellschaft.
Über Charles Glass
Glass war während Jahren der leitende Nahostkorrespondent von ABC News. Heute schreibt er regelmässig für The New York Review of Books, Harper’s und The Spectator und ist Autor von verschiedenen Büchern zur Levante, das neuste (2015): Syria Burning: ISIS and the Death of the Arab Spring.
Vortragsreihe „Die Zukunft der religiösen Minderheiten im Nahen Osten“
Das Referat von Charles Glass war Teil der CSI-Vortragsreihe „Die Zukunft der religiösen Minderheiten im Nahen Osten“.
Kooperationspartner für diese Veranstaltung am Boston College waren: Department of Slavic & Eastern Languages & Literatures; Boisi Center for Religion and American Public Life; Department of Political Science, Islamic Civilization and Societies.
Referat von Prof. Madawi Al-Rasheed morgen in Zürich (27. Oktober, 18.00 Uhr): Die regionalen Interventionen Saudi-Arabiens im Nahen Osten – Konsequenzen für die lokalen Bevölkerungsgruppen.
Artikel von: CSI Christian Solidarity International
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