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Der aussergewöhnliche Weg des Unwettertiefs „Boris“

19.09.2024 |  Von  |  Schweiz, Wetter

Das Tief „Boris“ brachte in der vergangenen Woche extreme Niederschläge und Schäden in Teilen Mittel- und Osteuropas.

Es zog auf einer für Vb-Wetterlagen typischen Zugbahn von Norditalien über die Adria bis in die Slowakei und nach Tschechien, verlagerte sich dann aber nicht wie üblich weiter nach Norden, sondern blieb an Ort und Stelle und wanderte sogar wieder zurück ins zentrale Mittelmeer. Dies blieb nicht ohne Folgen.

Das Vb-Tief

Bereits im Jahr 1891 klassifizierte der deutsche Meteorologe Wilhelm Jacob van Bebber typische Zugbahnen von Tiefdruckgebieten über Europa. Natürlich folgen nicht alle Tiefdruckgebiete exakt vorgegebenen Zugbahnen, und viele Bezeichnungen der damals dokumentierten Bahnen haben sich bis heute nicht gehalten. Die Bezeichnung einer bestimmten Zugbahn und der damit verbundenen Wetterlage ist aber auch heute noch aktuell: Das so genannte Vb-Tief bzw. die Vb-Wetterlage (Vb wird fünf-b ausgesprochen).


Aus der Meteorologischen Zeitschrift 8 vom Jahr 1891: Die Zugstrassen der barometrischen Minima nach W. J. van Bebber. Darunter ist auch die Zugbahn Vb.


Vb-Tiefs entstehen südlich der Alpen über dem Golf von Genua und Norditalien. Auf ihrem Weg über die Adria und weiter nach Osteuropa führen sie nicht selten ausgesprochen feuchte Mittelmeerluft mit sich und sorgen in Teilen Mittel- und Osteuropas oft für ergiebige Niederschläge, Überschwemmungen und Hochwasser. Das hohe Unwetterpotential dieser Wetterlage ist ein Grund, warum in meteorologischen Kreisen die Bezeichnung Vb-Tief und Vb-Wetterlage bis heute ein gängiger Begriff ist.

„Boris“ wird ausgebremst

Tief „Boris“ entwickelte sich ab dem 12. September zunächst wie ein Musterschüler über Norditalien. Vorausgegangen war ein früher und ungewöhnlich kräftiger Kaltluftvorstoss bis zu den Alpen und ins zentrale Mittelmeer. In den folgenden Tagen zog „Boris“ auf einer etwas östlicheren, aber dennoch klassischen Vb-Zugbahn in Richtung Slowenien, Ungarn, Rumänien, Slowakei und Tschechien.


Bodendruck, Fronten und Satellitenbild von Mittwoch, 11.09.2024 bis Mittwoch 18.09.2024 jeweils um 14 Uhr. Quelle: MeteoSchweiz


Normalerweise ziehen Vb-Tiefs danach weiter nach Norden bis ins Baltikum, nicht so „Boris“. Das Tief blieb für einige Tage stationär über der Slowakei und Tschechien liegen. So hielten auch die ergiebigen Niederschläge vor allem auf der Westseite des Tiefs lange an und führten regional zu rekordhohen drei- oder viertägigen Niederschlagssummen wie zum Beispiel im niederösterreichischen St. Pölten mit 310 mm Regen in 3 Tagen und über 400 mm in 4 Tagen.


Tief „Boris“ zieht seine Kreise über dem nahen Osteuropa. Quelle: MTG1-Satellitenbilder, EUMETSAT


Weg ins Baltikum versperrt

Bei dieser Vb-Wetterlage endete die klassische Zugbahn des Vb-Tiefs früher als üblich. Der weitere Weg ins Baltikum war durch ein kräftiges Hochdruckgebiet über Nordeuropa versperrt. Das Hoch baute sich im Laufe dieser Woche auf und ist über Südskandinavien in der Höhe rekordverdächtig stark ausgeprägt. Gegen dieses Bollwerk hatte „Boris“ keine Chance und blieb über Osteuropa liegen.


In der Höhe rekordverdächtig starkes Hochdruckgebiet mit Kern über Südskandinavien am Donnerstag, 19.09.2024. Quelle: PolarWx, Tomer Burg, http://arctic.som.ou.edu/tburg/models


Zurück zu den Wurzeln und verkehrte Wetterwelt

Tief „Boris“ blieb nicht nur über Osteuropa liegen. Am Südrand des entstandenen Hochs über Nordeuropa zog das Tief sogar auf der mehr oder weniger gleichen Vb-Zugbahn langsam wieder zurück in Richtung Mittelitalien. Das ist aussergewöhnlich und führte heute zu einer „verkehrten“ Wetterlage über Europa mit einem Hoch im Norden und Tiefdruckgebieten im Süden, genau umgekehrt zu dem, was wir bei uns erwarten. So ist es nicht verwunderlich, dass die grossräumige Strömung über Europa derzeit genau andersherum weht als sonst. Statt in der Westwindzone liegt der Alpenraum vorübergehend in einer „Ostwindzone“.


Rückwärtstrajektorien (Flugbahnen) von Luftpaketen in verschiedenen Höhen, die am Donnerstag, 19.09.2024 in Basel ankommen. Quelle: IFS-Modell, MeteoSchweiz


In der Schweiz typisches Frühherbstwetter

Obwohl die Grosswetterlage über Europa auf dem Kopf zu stehen scheint, herrschte heute in der Schweiz typisches Frühherbstwetter. Über der Alpennordseite zeigte sich bereits der Herbst mit teils recht zähem Hochnebel. Die Obergrenze lag bei rund 1400 Metern. Über den Alpen zeigte sich noch der Spätsommer mit Quellwolken im Tagesverlauf und einigen Schauern am Nachmittag. Nächste Woche renkt sich auch die Grosswetterlage wieder ein. Auf Ostwind folgt voraussichtlich eine zunehmend dynamische Westwetterlage.


Über dem Hochnebel auf dem Weg zur Alp Wildegg mit Blick zum Säntis. Bild: D. Gerstgrasser


Zwischen Sommer und Herbst: Im Wägital noch Hochnebel, hinter dem Glärnisch bereits erste Quellwolken. Bild: D. Gerstgrasser


Hochnebel und Quellwolken am Donnerstagnachmittag auch beim Blick von der Rigi in Richtung Alpenhauptkamm. Bild: https://rigi.roundshot.com


Am Anfang des Unwettertiefs „Boris“ stand ein früher und ungewöhnlich kräftiger Kaltluftvorstoss bis zu den Alpen und ins zentrale Mittelmeer. Er brachte den Schweizer Bergen die ersten stärkeren Schneefälle des Herbstes, so wie hier an den Churfirsten.


 

Quelle: Bundesamt für Meteorologie MeteoSchweiz / Der aussergewöhnliche Weg des Unwettertiefs „Boris“ – MeteoSchweiz (admin.ch)
Titelbild: Meteomeldungen/App

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