Polizei-Skandal in Wettingen AG: Dürfen Ordnungshüter vorbestraft sein?
von Alin Cucu
Zwei Wettinger Polizisten sind vorbestraft – und dürfen weiter als Ordnungshüter arbeiten. Wie das sein kann, und ob man so einen Zustand tolerieren darf, lesen Sie im folgenden Artikel.
Polizisten sind der Inbegriff von Recht und Ordnung. Sie geniessen Vertrauen und Respekt – nicht zuletzt auch, weil man mit ihrem Amt eine vorbildliche Lebensführung und natürlich Straffreiheit verbindet. Doch in Wettingen strafen jetzt zwei Beamte dieses Credo Lügen: Sie sind beide vorbestraft, dürfen aber weiter als Polizisten arbeiten.
Fall 1: Amtsmissbrauch und Hausfriedensbruch
Der erste ist wegen Amtsmissbrauchs und Hausfriedensbruchs vorbestraft. 2007 gab er während seines Dienstes bei der Regionalpolizei in Lenzburg AG Schülern Verkehrsunterricht. Dabei kam es zwischen ihm und einem Buschauffeur zu einem Streit mit Handgreiflichkeiten. Als sich ein Zeuge einmischte, bedrängte der Polizist den Mann und folgte ihm bis auf sein Privatgrundstück.
Daraufhin wurde der von der Staatsanwaltschaft Lenzburg wegen Amtsmissbrauchs und Hausfriedensbruchs zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Dienstliche Folgen hatte sein Vergehen nicht. Bis 2009 arbeitete er weiter in Lenzburg und wechselte anschliessend nach Wettingen. Für die Anstellung war der inzwischen pensionierte Polizeichef verantwortlich. Sein Lenzburger Kollege hatte ihm davon abgeraten.
Möglich wurde seine anstandslose Weiterbeschäftigung dadurch, dass bedingte Strafen im normalen Strafauszug nach Ablauf der Probefrist nicht mehr erscheinen. „Er konnte einen blanken Strafregisterauszug vorweisen“ sagt der Wettinger Gemeindeschreiber Urs Blickenstorfer. Auf einen umfassenden Vorstrafenbericht können Polizei und Justiz derzeit nicht zugreifen, weil die gesetzliche Grundlage dafür fehlt. Blickenstorfer schweigt zu der Frage, ob der eingestellte Polizist nach gelöschten Vorstrafen befragt wurde.
Fall 2: Ex-Freundin verprügelt
Der zweite Kandidat verprügelte 2003 seine Ex-Freundin derartig, dass diese zum Arzt musste. Vom Bezirksgericht Kulm AG wurde der Mann daraufhin zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 15 Tagen verurteilt. Auch dieser Gesetzesbruch tauchte im Strafregisterauszug nicht auf, den die Wettinger Gemeinde vorgelegt bekam. Urs Blickenstorfer will auch hier nichts dazu sagen, ob der Mann nach gelöschten Vorstrafen befragt wurde, mildert den Fall aber ab: „Damals war er noch gar nicht Polizist“.
Einblick ins Vorstrafenregister nicht erlaubt
Solche Fälle sind dadurch möglich, dass Polizei und Justiz bei der Anstellung eines Beamten keinen Zugriff auf das ausführliche Vorstrafenregister, in dem auch die bedingten Strafen verzeichnet sind, haben. Ein unmöglicher Zustand – denn bei der Anstellung von Staatsbediensteten müssen grundsätzlich sehr strenge Regeln herrschen, die schärfer sein dürfen und sollen als die privatwirtschaftlicher Einstellungsverfahren. Schliesslich repräsentieren diese Menschen den Staat mit allen seinen Werten. Vergehen wie die genannten werden gesetzlich geahndet. Es kann nicht sein, dass die Hüter dieser Gesetze sie selbst brechen. Höchste Zeit für einen gesetzlichen Rahmen, der den staatlichen Organen Zugriff auf das ausführliche Vorstrafenregister ermöglicht!
Man sollte die Schuld jedoch nicht nur bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen suchen. Förderlich wirkt sich auch eine protegierende Grundeinstellung gegenüber Polizisten aus, die deren Gesetzesbrüche bagatellisiert. „Er ist ein sehr guter Polizist“ sagt Urs Blickenstorfer beispielsweise über beide vorbestrafte Beamte. Kann jemand ein sehr guter Ordnungshüter sein, der sich selbst nicht im Griff hat und in Konflikten mit Fremden oder im eigenen Haus aggressiv und handgreiflich wird? Kann so jemand in Grenzsituationen die Ruhe bewahren und de-eskalierend wirken?
Diese Grundhaltung zeigt sich deutlich im Fall des erstgenannten Polizisten. Er schlug selbst im Dienst für die Wettinger Polizei über die Stränge, wurde auf der Autobahn mit stark überhöhtem Tempo erwischt – Frau und Kinder mit an Bord. Ausser einer Ermahnung erfolgten keine weiteren Konsequenzen. Und fast hätte Wettingen auch noch einen dritten vorbestraften Polizisten eingestellt: Dieser hatte ein Strafverfahren laufen, weil er im Verdacht stand, einem Basler Kollegen seine Pistole an den Kopf gehalten zu haben. Er offenbarte den Fall allerdings im Einstellungsverfahren und wurde nicht genommen.
Auch ihn bezeichnet Urs Blickenstorfer als „sehr guten Polizisten“.
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