Der dreisteste Blogger der Welt

Von aller Welt erntete sie Respekt, Bewunderung und Mitgefühl: die amerikanisch-syrische Bloggerin Amina Abdallah Arraf, die im Internet von ihrem gefahrvollen Leben als lesbische Polit-Aktivistin in Damaskus berichtete.

Jetzt ist raus: Alles Schwindel! Hinter der angeblichen syrischen Freiheitskämpferin und Lesbe Amina steckt in Wahrheit der verheiratete, im schottischen Edinburgh lebende amerikanische Langzeitstudent Tom MacMaster. Das Internet-Phantom hat er sich schlicht ausgedacht.

In fantasievoll ausgeschmückten Geschichten erzählte die angebliche syrische Regimegegnerin auf ihrem Blog „A Gay Girl in Damascus“ (http://damascusgaygirl.blogspot.com/) von ihrer Unterdrückung durch das Assad-Regime. Scheinbar mutig prangerte sie den repressiven Polizeistaat an, bitterlich beklagte sie ihre Verfolgung als sexuell Andersorientierte und Kämpferin für Freiheit und Demokratie.

Weltweite Anteilnahme am Schicksal der angeblichen Syrerin

Weltweit fanden Aminas Berichte ein dankbares Echo, und schon bald wurde sie zur heroischen Stimme des syrischen Protests erkoren. Hunderttausende Blog-Leser waren ihr sicher, und auch internationale Medien wie der Londoner „Guardian“ oder CNN griffen ihre Geschichten gierig auf. Nur allzu gern wollte man ihren klischeebehafteten Erzählungen Glauben schenken, entsprach das virtuelle Kunstprodukt Amina doch perfekt westlichen Wünschen nach einer Symbolfigur des Arabischen Frühlings.

Riesig dann die internationale Welle der Empörung, als Amina am 6. Juni angeblich verhaftet und entführt wurde, wie im letzten Blogeintrag – angeblich von ihrer Cousine Rania Ismail online geschaltet – zu lesen war. Facebook-Gruppen wie FreeAmina gründeten sich, die nach ihr fahndeten und ihre Freilassung forderten.

Enttarnt: Unterdrückte syrische Lesbe ist amerikanischer Student mit Langeweile

Der ganze Schwindel flog auf, als die in London lebende Kroatin Jelina Lecic entdeckte, dass das Foto von Amina Arraf in Wahrheit sie selbst zeigt und von ihrer Facebook-Seite geklaut worden war. Die IP-Adresse von Aminas Com­puter wies schliesslich nicht nach Damaskus, sondern nach Edinburgh in Schottland.

Eben dort in Edinburgh lebt Aminas männlicher Erfinder, besagter Tom MacMaster. Dreist an seinem Schwindel ist nicht, dass sich hier ein männlicher Hetero als Lesbe, sondern ein amerikanischer Student als arabische Widerstandskämpferin ausgab. Damit hat MacMaster nichts weniger getan, als im Krieg der Nachrichten mitzumischen.

Der Fall zeigt: Soziale Medien wie Twitter, Facebook oder Blogs sind keine zuverlässigen Nachrichtenquellen, wenn es darum geht, Berichte aus dem Inneren von Ländern zu bekommen, die wie Syrien durch ein Regime nachrichtentechnisch abgeriegelt sind. Denn hinter jedem Internet-Bericht eines vermeintlich Betroffenen könnte ein Fake stecken. Ein Mindesmass an Vorsicht verlangt, die IP-Adresse zu überprüfen und etwa  zu schauen, ob „ein/e syrische/r Aktivist/in“ tatsächlich aus Damaskus bloggt – oder nicht doch aus Edinburgh.

Medienberichte: Spiegel online, 20 Minuten

Weiteres Blog zum Thema: philibuster

 

Titelbild: Profilbild der Facebook-Seite „Free Amina“ (inzwischen vom Netz genommen)

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