Datingplattformen und Smartphones: Eltern, schützt eure Kinder vor Pädophilen!

Wer als Kind nach einer Liebesbeziehung oder Sex sucht, muss nur eines können: im Internet surfen. Explizit als Singlebörsen ausgelegte Seiten wie rencontre-ados.net oder ersteliebe.

ch ermöglichen es Jugendlichen, ohne wirksame Alterskontrolle auf Schürzenjagd zu gehen – und dabei nicht nur seelisch die Hosen runterzulassen.

 Die Reaktionen darauf aus Politik und Öffentlichkeit lesen sich wie ein Kaleidoskop der Schweizer Wertefraktionen. Und lassen doch die Frage unbeantwortet, wie man mit der Sache umgehen soll.
Martina ist 13, „zierlich und blond“, wie sie schreibt, und auf der Suche nach einem Traumprinzen zwischen 13 und 16 Jahren. Eine „ernste Beziehung“ soll es sein; Ethnie, Gewicht und Grösse sind zweitrangig. Ihr Profil zieren Bilder, die sie in knappen Hotpants und lasziven Posen zeigen.

(Seelen-)Striptease und Gruppenzwang

Martina ist nur eine von vielen, die auf ersteliebe.ch nach Liebesglück unter Gleichaltrigen suchen. Jungen sind, was die Vorlieben angeht, freilich direkter und konkreter: „ONS“ steht bei vielen, „One Night Stand“. Frankophone Schweizer Jugendlliche treffen sich auf rencontre-ados.net, die Ziele sind jedoch die gleichen. Und auch die preisgegebenen Daten: intimer geht es nicht.

Dabei gibt es bei keinem der Portale eine wirksame Alterskontrolle. Zwar verlangt ersteliebe.ch seit Neuestem ein Mindestalter von 16 Jahren, einen Nachweis muss jedoch niemand liefern. So kann sich hinter der 18-jährigen Aline auch gut die 12-jährige Susi verbergen. Gerade die relative Anonymität senkt die Hemmungen und macht es vermeintlich einfacher, mit dem anderen Geschlecht in Kontakt zu treten. Zudem sei die Beziehungssuche im Netz nur eine logische Fortsetzung der Dauernutzung von sozialen Medien, sagt Bruno Wermuth, Sexualpädagoge und „Dr. Sex“ bei 20min.ch. Und auch hier zeigt sich wieder einmal die Macht von Gruppenzwängen: „Wer nicht mitmacht, wird gemobbt“ – so das Fazit von Urs Kiener, Kinderpsychologe bei Pro Juventute.

Ein „geniales“ Geschäftsmodell

„Die Betreiber tun mit ihrem Angebot genau das, von dem wir in unserer Arbeit dringend abraten: Bei der Registrierung werden die Kinder aufgefordert, genaue Angaben zu ihrem Alter, ihrem Wohnort oder ihren Hobbies zu machen“ schreibt Kiener weiter. Die Kinder- und Jugendstiftung Pro Juventute hat angesichts der Entwicklung in den Online-Singlebörsen Alarm geschlagen und immerhin erreicht, dass ersteliebe.ch die Altersgrenze von 11 auf 16 Jahre angehoben hat. Viel bringt das allerdings nicht, zumal der Seitenbetreiber und Chef der dahinter stehenden Organisation „kidscat“, Stefan Gallati, die Verantwortung von sich schiebt: „Primär geht es darum, dass Junge sich untereinander austauschen können.“ Der Erfolg der Seite gebe ihm recht, so Gallati. Verantwortlich für ihre Kinder seien letztlich die Eltern.

Ob der Erfolg Gallati recht gibt, sei dahingestellt, aber eines steht fest: Sein Geschäftsmodell geht auf. Mitgliedsbeiträge werden auf ersteliebe.ch zwar keine verlangt, dafür aber können die Werbepartner aufgrund der umfangreichen persönlichen Daten der Jugendlichen ihre Anzeigen natürlich sehr viel zielgerichteter schalten. Pubertierende als Marketing-Herdenvieh, das der Karotte einer digital angebahnten Liebesbeziehung hinterherläuft und dabei kräftig gemolken wird.

Pädophile auf dem Vormarsch – und wie man sie stoppen kann

Doch die Werbung ist das geringste Problem. Viel gravierender wiegt die Gefahr, die von Pädophilen ausgeht. Für die sind solche Partnerbörsen ein gefundenes Fressen. Sie können problemlos ihr Alter fälschen und erhalten Zugang zu Tausenden von Jugendlichen und deren persönlichen Daten. „Besondere Vorsicht ist geboten, wenn mit einem Kontakt ein Treffen vereinbart wird“ warnt etwa Danièle Bersier, Mediensprecherin der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität des Bundes. Ob es bereits zu Zusammentreffen zwischen Jugendlichen und Pädophilen aufgrund eines Kontakts über eine solche Datingbörse gekommen sei, kann Bersier zwar nicht sagen, sie betont aber, dass der Zugang von Personen mit unlauteren Absichten zu solchen Portalen problemlos möglich sei.

Die Politik unter Zugzwang sieht hier CVP-Nationalrätin Viola Amherd. „Es kann nicht sein, dass Pädophile auf diesem Weg so einfach an Jugendliche herankommen“, so die Walliserin. Sie kämpft seit geraumer Zeit gegen „Grooming“, also das Anbahnen sexueller Kontakte zwischen Erwachsenen und Minderjährigen im Internet. Getan habe sich so gut wie nichts, sagt die Politikerin. Ob die Untätigkeit des Parlaments auch daran liegt, dass man durch staatliche Regularien so wenig bewirkt? Man könnte Datingseiten für Jugendliche verbieten – neue würden wie Pilze aus dem Boden schiessen. Auch die Kontrolle der internetfähigen Endgeräte hat sich durch den Smartphone-Boom extrem erschwert. Mehr als jeder zweite Jugendliche in der Schweiz besitzt ein internetfähiges Telefon. Sexualtäter können so einen Dauerzugang zu den Opfern aufbauen, aus dem diese sich kaum noch befreien können.


Auch auf rencontre-ados.net können sich Jugendliche anmelden – Profilbild verpflichtend (Screenshot: rencontre-ados.net)

Aber vielleicht hat Stefan Gallati gar nicht so unrecht, wenn er die Eltern am Zug sieht. Laut einer Studie des britischen Meinungsforschungsinstituts YouGov wissen nur etwa 20 Prozent der Eltern in England, welche Gefahr ihren Kindern durch Pädophile im Internet droht. Aufklärung wäre schon mal ein grosser Schritt in die richtige Richtung. „Laut dem Gesetz haben die Eltern eine Aufsichtspflicht. Sie müssen daher wissen, was ihre Kinder im Internet – auch auf dem Handy – tun“ sagt auch Rolf Trauernicht, Gechäftsführer des deutschen Fachverbandes für Sexualethik „Weißes Kreuz“. Und dann? „Eltern sollten eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, in der die Sexualerziehung immer wieder zum Thema gemacht werden kann.“

Den technischen Fortschritt kann man weder aufhalten noch rückgängig machen. Genauso wenig den Lebensstil von Jugendlichen heute. Doch Eltern können – und müssen auch heute zu ihren Kindern, mehr denn je, eine Vertrauensbeziehung haben. Nur dann haben sie wirklich Zugang zu ihnen, und können drohenden Schaden effektiv von ihnen abwehren. In zweiter Instanz braucht es auch noch Schulen, in denen Medienpädagogik einen festen Bestandteil des Unterrichts bildet. Denn auch die erfahrensten Facebook-Nutzer wissen oft einfach nicht, was sie alles von sich preisgeben.

Pädophile sind feige. Aufklärung auf breiter Front gräbt ihnen das Wasser ab. Dann werden Jugendliche vielleicht auch wieder stärker dort ihre erste Liebe suchen, wo sie es schon immer getan haben: beim Mädchen oder Jungen von nebenan. Mit Erröten, Kichern und Verlegenheit. Aber ohne Perverse, die ihre Unerfahrenheit nur ausnutzen wollen.

 

Titelbild: Screenshot ersteliebe.ch

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