Gelebte Zivilcourage: Wie ein 22-Jähriger einen Randalierer (37) verfolgte und stellte
Ob er Angst hatte? Sergiy zuckt mit den Schultern. Angst nicht direkt, sagt er, eher Respekt. Im Herbst 2018 hat der 22-jährige Bochumer mehreren Menschen geholfen, die von einem Randalierer bedrängt und geschlagen wurden; er hat den Täter verfolgt und im Alleingang für seine Festnahme gesorgt.
Zivilcourage, diese Sache, über die alle häufig und gerne reden – Sergiy hat sie einfach gemacht.
Ein Samstagabend Anfang Oktober im Bochumer Bermudadreieck. Gemeinsam mit einem Freund will Sergiy einen entspannten Abend verbringen; ein bisschen quatschen, etwas essen und trinken. Doch es kommt anders. Nahe des Schauspielhauses fällt dem Studenten ein Pärchen auf, das in Streit geraten ist. Weil der Mann, ein stämmiger 37-Jähriger, dem 22-jährigen bedrohlich erscheint, fragt er nach, ob alles in Ordnung ist. Der Mann reagiert aggressiv und droht dem Studenten, beschimpft außerdem willkürlich Passanten.
Als der 37-Jährige schließlich auf einen bis dahin unbeteiligten Bettler eintritt, schreitet Sergiy ein. „Hören Sie auf!“ sagt er, und: „Lassen Sie den Mann in Ruhe!“. Was er nicht weiß: Der Mann, den er gerade zur Ordnung ruft, ist polizeibekannt, hat getrunken, Drogen genommen – und befindet sich in einer emotionalen Ausnahmesituation.
Wutentbrannt rennt der Schläger auf Sergiy zu, will ihn treten und zu Fall bringen. Doch Sergiy ist sportlich, denn er spielt Fußball im Verein; also beginnt er, rückwärts zu laufen und dabei fortwährend auf den Mann einzureden. Auf die Worte weiß der Schläger keine Antwort. Stattdessen bringt er mit einem Kopfstoß wahllos einen Passanten zu Fall und rennt davon.
Sergiy hätte jetzt die Polizei rufen können, was an sich schon vorbildlich gewesen wäre. Doch er trifft eine Bauchentscheidung. Er rennt los.
An einer nahegelegenen Unterführung holt Sergiy den Schläger ein – der drangsaliert gerade erneut wahllos Obdachlose. Als er den 22-Jährigen bemerkt, flüchtet er in eine Straßenbahn. Sergiy sprintet so schnell er kann, doch die Tür schließt sich vor seiner Nase. Er gibt nicht auf, trommelt gegen die Bahn und ruft um Hilfe. Aber die Passagiere verstehen nicht, was gerade passiert, und niemand reagiert. Als Sergiy schließlich durch das geöffnete Fenster die Fahrerin anspricht, setzt die über ihre Leitstelle einen Notruf ab und verriegelt die Tür. Mehrere Sicherheitskräfte bringen den Aggressor schließlich unter Kontrolle, bevor Polizeikräfte ihn wenig später mit zur Wache nehmen.
„Das alles war spontan“, resümiert Sergiy, als er später vom Bochumer Kripochef LKD Andreas Dickel und Sachbearbeiter KOK Patrick Gehring für sein couragiertes Handeln geehrt wird, und ergänzt: „Ich würde es wieder tun.“ Ein Vorbild will er sein, weil er findet, dass die Gesellschaft so funktionieren sollte: sich gegenseitig helfen, füreinander einstehen. Andreas Dickel nickt: „Wir erwarten nicht, dass alle Menschen jetzt Kriminelle fangen. Wenn jemand in einer solchen Situation den Notruf wählt, hat er absolut richtig gehandelt. Aber Sergiy hat alles dafür getan, diese Situation gewaltfrei zu lösen – er hat fortwährend mit dem Täter kommuniziert, Unbeteiligte angesprochen und ist dort eingeschritten wo andere in Not waren. Das ist eine herausragende Leistung.“ Dann schmunzelt Dickel: „Sergiy hätte das Zeug zum Polizisten.“
Oberstes Bild: Lob vom Kripo-Chef: Sergiy (m.) wird für sein hohes Maß an Zivilcourage von LKD Andreas Dickel (r., Leiter der Kriminalpolizei) und Sachbearbeiter KOK Patrick Gehring geehrt.
Quelle: Polizei Bochum
Bildquelle: Polizei Bochum