Kanton Bern: Polizei-Informatikprojekt wurde massiv unterschätzt
Der Kanton soll bei Informatikprojekten künftig auf Eigenentwicklungen verzichten. Zu diesem Schluss kommt die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rates gestützt auf eine Überprüfung des Informatikprojekts NeVo/Rialto.
Die GPK erwartet zudem, dass der Regierungsrat für künftige IT-Projekte seine Lehren zieht und im nächsten Jahr in einem Bericht an den Grossen Rat aufzeigt, wie er das umsetzt.
Seit der Grosse Rat im Jahr 2016 den ersten Kredit gesprochen hat, läuft im Kanton Bern bei der Kantonspolizei und der Staatsanwaltschaft ein Projekt zur Einführung eines neuen Vorgangsbearbeitungssystems (NeVo). Hauptziel ist es, eine digitale, medienbruchfreie Brücke „Rialto“ zu bauen, so dass für die ganze Strafverfolgung nur noch ein einziges System zur Anwendung kommt. Verzögerungen, Mehrkosten und unzufriedene Nutzerinnen und Nutzer haben bereits in der Vergangenheit die Aufmerksamkeit auf das Projekt gerichtet. Im Oktober 2022 beauftragte die GPK deshalb die Finanzkontrolle (FK) damit, ein Jahr nach Einführung von NeVo/Rialto bei der Kantonspolizei eine Sonderprüfung zum Projekt durchzuführen (vgl. Medienmitteilung vom 19. August 2022). Gestützt auf die Erkenntnisse der FK gelangte die Kommission zu verschiedenen Feststellungen und Empfehlungen.
Brücke zwischen Polizei und Strafverfolgungsbehörde ist noch nicht gebaut
Die Projektziele wurden seitens Kanton nach Auffassung der GPK massiv unterschätzt. Sie wurden bisher noch nicht vollständig erreicht – insbesondere die Brücke zwischen Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft ist noch nicht fertig gebaut. Ein Projektabbruch oder die Evaluation alternativer Systeme kommen für die GPK zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht mehr in Frage. Die Kommission fordert den Regierungsrat jedoch dazu auf, dass er alles unternimmt, damit das Projekt bestmöglich abgeschlossen werden kann. Besonders wichtig scheint der GPK dabei, dass das System bei der Kantonspolizei verlässlich genug funktioniert, bevor es bei der Justiz eingeführt wird. Bis zum endgültigen Projektabschluss muss zudem einer transparenten Kommunikation, einer umfassenden Ausbildung aller Mitarbeitenden, dem Change-Prozess sowie allgemein der Risikobeurteilung grosse Beachtung geschenkt werden.
Bei künftigen Informatikprojekten nicht die gleichen Fehler machen
Am Beispiel des Projekts NeVo/Rialto ist die GPK zu Erkenntnissen gelangt, welche für Informatikprojekte generell gelten. Der Regierungsrat soll deshalb die Lehren aus diesem Projekt ziehen und für andere kantonale Informatikprojekte berücksichtigen. Allem voran ist die Kommission der Ansicht, dass es grosse Risiken birgt, ein Produkt ganz alleine entwickeln zu lassen. Auf Eigenentwicklungen soll seitens Kanton darum grundsätzlich verzichtet werden. Als gefährlich erachtet die GPK auch die Haltung, ein System sei alternativlos. Dies führt zu einer grossen Abhängigkeit, womit erhebliche Risiken verbunden sind. Bevor ein Projekt definitiv umgesetzt wird, muss sichergestellt sein, dass es verlässlich funktioniert. Ein solcher Entscheid muss auf klar definierten Kriterien basieren, politischer Druck darf dabei keine Rolle spielen. Ein weiterer zentraler Faktor sind für die GPK die Nutzerinnen und Nutzer eines Systems: Diese müssen in genügendem Mass einbezogen werden und die Schulungen und Ausbildungen dürfen nicht unterschätzt werden. Schliesslich ist ein Informatikprojekt oftmals auch ein Organisationsprojekt. Das Change-Management ist im Rahmen einer Projektorganisation unbedingt entsprechend miteinzubeziehen. Damit sich die erkannten Schwierigkeiten bei künftigen Projekten nicht wiederholen, könnte es aus Sicht der GPK sinnvoll sein, für die Konzeption und Durchführung von IT-Projekten, gesetzliche Vorgaben zu definieren.
Regierungsrat soll in einem Bericht Rechenschaft ablegen
Aufgrund der politischen Bedeutung von NeVo/Rialto erachtet es die GPK als angezeigt, dass der Regierungsrat gegenüber dem Grossen Rat Rechenschaft ablegt. Der Regierungsrat soll in einem Bericht darüber informieren, was er unternommen hat, um NeVo/Rialto zu verbessern. Des Weiteren soll er aufzeigen, was dafür gesprochen hat, trotz Problemen an NeVo/Rialto festzuhalten. Schliesslich soll der Regierungsrat darlegen, welche Lehren er für Informatikprojekte generell gezogen hat und wie er sicherstellt, dass diese bei künftigen Projekten berücksichtigt werden. Auch wenn der Regierungsrat nur zu einem Teil der Empfehlungen und nur gegenüber der GPK Rechenschaft ablegen will, hält die GPK an ihrer Forderung fest, dass der Regierungsrat mittels Bericht an den Grossen Rat umfassend Transparenz schaffen soll.
Quelle: Kanton Bern
Titelbild: Symbolbild © Kantonspolizei Bern