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Aufarbeitung der Diskriminierung homosexueller Menschen in der Armee

Haben homosexuelle Personen in der Schweizer Armee in der Vergangenheit Unrecht erfahren?

Diese Frage wirft ein 2022 vom Nationalrat angenommenes Postulat der Nationalrätin Priska Seiler Graf auf. Für den Bericht in Erfüllung dieses Postulats hat nun die Schweizer Armee einem Forschungsteam der Universität Bern das Mandat erteilt, das Thema in einem unabhängigen Forschungsbericht aufzuarbeiten. Es ist die erste offizielle Aufarbeitung der Diskriminierung homosexueller Menschen in der Schweiz.

Das 2021 eingereichte Postulat der Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin Priska Seiler Graf erfragt vom Bundesrat einen Bericht über mögliches Unrecht, das homosexuellen Menschen in der Schweizer Armee zugefügt worden ist. Der Bundesrat empfahl das Postulat zur Annahme. Der Nationalrat nahm es 2022 an. Bundespräsidentin Viola Amherd, Vorsteherin des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS, und die Schweizer Armee unterstützen die Aufarbeitung. Nun hat die Armee im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens die Universität Bern beauftragt, einen unabhängigen Forschungsbericht zu erarbeiten. Diese Arbeit nimmt ein Forschungsteam des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung IZFG der Universität Bern auf.

Es handelt sich um den ersten offiziellen Auftrag der Schweiz überhaupt zur Aufarbeitung der historischen Diskriminierung homosexueller Menschen in der Schweiz. „Mit dem Auftrag folgt die Schweiz zugleich internationalen Bestrebungen zur Aufarbeitung der Diskriminierung homosexueller Personen in Streitkräften, etwa in Deutschland“, sagt Soziologieprofessorin Michèle Amacker, Co-Leiterin des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung IZFG und Gesamtverantwortliche des Forschungsprojekts.

Auch Frage möglicher Wiedergutmachung im Fokus

Das Forschungsteam untersucht in den kommenden vier Jahren, ob und inwiefern homosexuelle oder als homosexuell wahrgenommene Personen in der Schweizer Armee zwischen dem Zweiten Weltkrieg und heute Unrecht erfahren haben und welche Folgen dies für die Betroffenen hatte und hat. Die Studie soll sich auch mit der Frage beschäftigen, ob eine Wiedergutmachung angezeigt ist. Zudem soll der Bericht Empfehlungen zum künftigen Umgang der Armee mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt abgeben.

Kaum gesichertes Wissen zum Umgang der Armee mit Homosexualität

Bisher ist wenig bekannt über den Umgang mit homosexuellen Menschen in der Schweizer Armee. „Zum untersuchten Zeitraum gibt es kaum gesichertes Wissen“, sagt Michèle Amacker. Was feststeht: Nach dem Schweizer Militärstrafgesetz waren homosexuelle Handlungen noch bis 1992 strafbar. Das Militärstrafgesetz befand sich damit im Widerspruch zum Zivilgesetzbuch, welches einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen gleichen Geschlechts bereits 1942 weitgehend legalisierte.

„Es gibt Hinweise auf Mobbing und Belästigungen im militärischen Alltag, auf Ausmusterungen homosexueller Personen bei der Rekrutierung sowie auf mögliche Verhinderungen von militärischen Karrieren“, sagt Michèle Amacker. Weiter gebe es Anzeichen, dass es in der Vergangenheit phasenweise übliche Praxis war, gewisse Codes für Homosexualität anzuwenden. Diese wurden etwa als Begründung für Untauglichkeit in das Dienstbüchlein eingetragen. Derartige administrative Vorgänge hätten sich auch negativ auf das Privatleben und die berufliche Laufbahn auswirken können, beispielsweise wenn das Dienstbüchlein bei Stellenbewerbungen vorgewiesen werden musste. „All diesen Hinweisen müssen wir nachgehen und solche Vorfälle gegebenenfalls belegen und deren psychischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen für die Betroffenen untersuchen“, sagt Michèle Amacker.

Befragung von Betroffenen im Zentrum der Studie

Noch sei es schwierig abzuschätzen, was die Studie ans Licht bringen werde. Bei vielen Dokumenten sei die Aufbewahrungsfrist abgelaufen, andere seien nicht zugänglich, und vieles sei aufgrund der Tabuisierung des Themas nicht oder codiert schriftlich festgehalten worden. Deshalb wird das interdisziplinäre Team neben der Archivarbeit eine umfassende Befragung von Betroffenen vornehmen. „Diese Befragung ist absolut zentral für uns. Nur wenn Betroffene bereit sind, uns von ihren Erfahrungen zu erzählen, können wir ein ganzheitliches Verständnis für das Geschehene entwickeln“, so Michèle Amacker. Es zählten Aussagen zu allen Arten von Vorfällen – von alltäglichen diskriminierenden Äusserungen bis hin zu Belästigung, Gewalt oder Diskriminierung bei der Rekrutierung oder Beförderungen. „Da die Studie auf ein komplettes Bild des Umgangs der Armee mit Homosexualität abzielt, sind aber auch Aussagen von homosexuellen Personen gefragt, welche in der Armee keine negativen Erfahrungen gemacht haben“, betont Michèle Amacker.

Gesucht: Betroffene sowie weitere Zeuginnen und Zeugen

Ab sofort sucht das Forschungsteam Betroffene und weitere Zeuginnen und Zeugen sowie Fachpersonen, welche bereit sind, über ihre Erfahrungen, Erinnerungen und Beobachtungen zum Thema Armee und Homosexualität zu berichten.

Weiterführende Informationen und Kontakt:

Projektwebsite: www.forschung-armee-homosexualitaet.unibe.ch
E-Mail: forschung.armee-homosexualitaet@unibe.ch
Telefon: 031 684 52 00
Das Forschungsteam spricht Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch.
Die Forschungsarbeit wird unabhängig durchgeführt. Anonymität ist gewährleistet.

 

Quelle: Schweizer Armee
Titelbild: Symbolbild © roibu – shutterstock.com

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