Strauss-Kahn: Schuldig bei Verdacht

Diese Bilder aus New York gingen um die Welt: Wie ein überführter Schwerverbrecher tritt der „mächtigste Banker der Welt“, Dominique Strauss-Kahn, in Handschellen an der Seite von Polizisten den Gang vom Gefängnis ins Gericht an, umringt von einer Horde Reportern und Fotografen. „Perp-Walk“ („perp“ = Täter) nennen Amerikaner das öffentliche Vorführen von Beschuldigten.

Was wird dem Ex-IWF-Chef vorgeworfen? Strauss-Kahn soll versucht haben, ein schwarzes Zimmermädchen in einem New Yorker Hotel zu vergewaltigen. SOLL. Bewiesen ist nämlich nichts, es besteht lediglich ein VERDACHT. Ob die Anschuldigung des mutmasslichen Opfers stimmt, wird das Gericht erst klären müssen.

Die mediale Öffentlichkeit hat ihr Urteil aber längst gesprochen: Schuldig! Die grelle Inszenierung des „Perp-Walks“ entspricht dabei dem mittelalterlichen Pranger. In TV-Talkshows versuchen sich Hobby-Juristen als Geschworene. Dass der Angeklagten vom Gericht am Ende für unschuldig erklärt wird, daran will niemand mehr glauben.

Vor allem Feministinnen nicht. So nahmen US-Frauenrechtlerinnen den Fall sogleich für Wutdemos gegen „männliche sexuelle Gewalt“ zum Anlass – als stünde bereits fest, dass sich Strauss-Kahn dieser Gewalt schuldig gemacht hat. Als deutsche Chefanklägerin und Richterin in einer Person ergreift Alice Schwarzer das Wort: „Es sieht alles danach aus, dass er es getan hat“, sagte sie in der Sendung „Anne Will“ (ARD). Und – in atemberaubend rechtsverdreherischer Manier: „Wer gleich ‚Unschuldsvermutung’ ruft, unterstellt dem Opfer, der Frau, eine Lügnerin zu sein.“

Das ist ungeheuerlich. Man stelle sich einen Moment vor, dass Strauss-Kahn die Tat tatsächlich NICHT verübt hat. Dann wäre ihm schlimmste öffentliche Demütigung widerfahren: Beruflich verbrannt und für alle Zeit gesellschaftlich erledigt ist er bereits jetzt! Dass auch ein Angeklagter Würde hat, die es zu wahren gilt – dieser Grundsatz spielt offenbar im amerikanischen Rechtssystem keine Rolle – und droht auch in Europa den Bach runterzugehen.

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Titelbild: Ein mittelalterlicher Pranger, nachgezeichnet. (Pearson Scott Foreman / Wikimedia / gemeinfrei)

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