Wallraff deckt Menschenschinderei in Paketdienstbranche auf
von Agentur belmedia
Undercover-Journalist Günter Wallraff ist immer wieder für brisante Enthüllungen gut. Diesmal deckte er mit versteckter Kamera unmenschliche Arbeitsbedingungen in der Paketdienstbranche auf. Konkret knöpfte sich Wallraff den Konzern GLS vor, den er als schwarzes Schaf der Branche entlarvte. Sein Fazit: Gnadenlos wird bei GLS Profit auf dem Rücken der Fahrer, aber auch auf Kosten von Subunternehmern gemacht.
Spannend, informativ und erschütternd ist Wallraffs Reportage, die gestern auf RTL ausgestrahlt wurde. Wer ein übliches reisserisches RTL-Reality-Format befürchtete, wurde eines Besseren belehrt. Denn Wallraff bürgt für seriösen Journalismus: einerseits kritisch und sachlich – andererseits mitfühlend und parteiisch für die Schwachen.
Den Zuschauern vermittelte Wallraff einen bestürzenden Einblick in die Arbeitswirklichkeit, die heutzutage im Hartz-IV- und Niedriglohn-Deutschland herrscht. Solche Zustände erklären auch, warum immer mehr Deutsche die Schnauze voll haben und lieber in die Schweiz auswandern, angetrieben von der Hoffnung, hierzulande eher berufliches Glück zu finden.
Mit den Paketdienstleistern hat sich Wallraff eine Branche vorgenommen, die vor allem dank Internet-Versandhandel boomt. Gerne werben Händler mit versandkostenfreien Lieferungen. Doch die gibt es nicht. „Den hohen Preis dafür zahlen die Fahrer“, sagt Wallraff. Das, was die Paketboten durchmachen, ist „kein Leben mehr, sondern eine Tortur.“ So sind beim europaweit agierenden Versand-Konzern GLS Arbeitstage von 12 bis 14 Stunden pro Tag für die Fahrer normal. Und das ohne Pausen. Für sittenwidrige Löhne. Pro Paket gibt’s netto rund 30 Cent, in der Stunde macht das zwischen 2 und 5 Euro.
Knochenjob für einen Hungerlohn
Bis zu 230 Pakete täglich müssen die Fahrer ausliefern, wobei sie im Lauf eines Tages ein Gewicht von einem Kleintransporter schleppen. Non-stop. Ohne Essen. Ohne sich mal auszuruhen, wie Paketdienstfahrer erzählen. Ein unmenschlicher Knochenjob. Die Fahrer sitzen übermüdet am Steuer und gefährden sich und andere. Erst vor einem Jahr erlitt ein junger GLS-Fahrer einen tödlichen Unfall am Steuer. Vermutete Ursache: Sekundenschlaf.
Damit das Nichteinhalten der vorgeschriebenen Pausenzeiten nicht auffliegt, müssen die Fahrer das Fahrtenbuch zum „Märchenbuch“ umfunktionieren. Neben der Plackerei ist ein Familienleben oder schönes Privatleben für die Fahrer nicht möglich. „Unglaublich, wie Menschen so etwas mehrere Monate oder Jahre aushalten. Wer das schafft, ist ein Hochleistungssportler“, meint Wallraff, der nach einigen Wochen als Paketdienstbote körperlich gezeichnet ist.
Eine besondere Spezialität von GLS sind Bussgeld-Kataloge, mit denen die Fahrer zusätzlich Geld abgeknöpft bekommen. Für „Vergehen“ wie Pakete werfen oder schmutzige Wagen gibt es Strafen zwischen 20 bis 70 Euro. Zudem wurde gezeigt, wie die Fahrer von leitenden Angestellten als „Pack“ beschimpft und schikaniert werden. So dankt es GLS also den kleinen Mitarbeitern, dass sie sich für den Konzern aufopfern.
Subunternehmer tragen die Risiken
All das ist sittenwidrig und ungesetzlich. Doch der Konzern weiss sich abzusichern, indem er juristische und finanzielle Risiken an Subunternehmen delegiert. Die Weisungsbefugnis behält sich der Konzern jedoch weiter vor, indem er von oben zu den Fahrern durchregiert. Sogar Entlassungen nimmt der Konzern indirekt vor, indem er Fahrern Hausverbote erteilt.
Im Fachjargon des Arbeitsrechts liegt hier ein System der Scheinselbstständigkeit vor. Mit falschen Versprechungen werden erst kleine Fahrer gelockt, sich als Subunternehmer „selbstständig“ zu machen, wobei sie vom Konzern abhängig bleiben. Danach drückt sie der Konzern in die Schuldenspirale, indem er die Vergütung pro Pakete willkürlich senkt. Subunternehmer kommen zu Wort, die bis zu 200’000 Euro Schulden anhäuften und Pleite gingen. Macht ein Subunternehmer Insolvenz, rückt einfach der nächste Subunternehmer nach.
Doch ist GLS etwa ein Einzelfall? Nein, weiss Wallraff. Andere aus der Branche seien auch nicht besser, zum Beispiel Hermes. Stellt sich nun die Frage: Wieso werden derartige Praktiken, die gegen gute Sitten und Gesetze verstossen, in einem zivilisierten Land toleriert? Ver.di-Vertreter Sigurd Holler: „Künftig sind scharfe Kontrollen nötig.“ Aber auch die Verbraucher sind gefragt. Sie sollten sich zweimal überlegen, ob sie guten Gewissens Dienste solcher Branchenvertreter in Anspruch nehmen können.
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