In Hessen tätiger syrischer Arzt soll in seiner Heimat gefoltert haben – erweiterter Haftbefehl

Ein Arzt aus Syrien, der nach seiner Einreise 2015 in Deutschland (Hessen) praktizierte, soll an weitaus mehr Folterungen in seiner Heimat beteiligt gewesen sein als bisher angenommen. Der syrische Arzt wurde im Juni 2020 in Hessen festgenommen.

Der Generalbundesanwalt geht inzwischen davon aus, dass der Mann in einem Gefängnis des Militärischen Geheimdienstes mindestens einen Menschen ermordet, den Tod eines zweiten verursacht und etliche andere Opfer – mindestens 18 Menschen – gefoltert und schwer misshandelt haben soll.

Hierzu teilt der Generalbundesanwalt mit:

Erweiterter Haftbefehl gegen einen mutmaßlichen Mitarbeiter des syrischen Militärischen Geheimdienstes erwirkt

Die Bundesanwaltschaft hat am 16. Dezember 2020 beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einen erweiterten Haftbefehl gegen den syrischen Staatsangehörigen Alaa M. erwirkt.

Der Beschuldigte war am 19. Juni 2020 aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2020 in Hessen festgenommen worden. Er wurde am 9. Dezember 2020 erneut dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der den erweiterten Haftbefehl am 16. Dezember 2020 erlassen und wiederum den Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet hat.

Die weiteren Tatvorwürfe stehen ebenfalls in Zusammenhang mit der mutmaßlichen Tätigkeit des Beschuldigten als Arzt in einem Gefängnis des syrischen Militärischen Geheimdienstes.

Gegen Alaa M. besteht nunmehr der dringende Tatverdacht der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, indem er einen Menschen getötet, in 18 Fällen Menschen gefoltert, einem Menschen schwere körperliche und seelische Schäden zugefügt, in sieben Fällen Menschen in schwerwiegender Weise der Freiheit beraubt zu haben, wobei er in einem Fall durch die Tat den Tod eines Menschen verursachte, und in einem Fall versucht haben soll, einen anderen Menschen der Fortpflanzungsfähigkeit zu berauben (§ 7 Abs. 1 Nrn. 1, 5, 6, 8 und 9 VStGB). Die dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten erfüllen ebenfalls die Straftatbestände des Mordes, der schweren Körperverletzung, der versuchten schweren Körperverletzung, der gefährlichen Körperverletzung, der – auch schweren – Freiheitsberaubung sowie der Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 211 Abs. 1, Abs. 2, § 212 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nrn. 2 und 4, § 226 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, § 239 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB).

In dem erweiterten Haftbefehl vom 16. Dezember 2020 wird dem Beschuldigten im Wesentlichen folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

Spätestens seit Ende April 2011 ging das syrische Regime dazu über, sämtliche regierungskritischen Aktivitäten der Opposition flächendeckend mit brutaler Gewalt zu unterdrücken. Den syrischen Geheimdiensten kam dabei eine wesentliche Rolle zu. Das Ziel war es, die Protestbewegung mit Hilfe der Geheimdienste bereits zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu unterbinden und die Bevölkerung einzuschüchtern. Hierzu wurden überall im Land tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle ohne Rechtsgrundlage festgenommen, inhaftiert, gefoltert und teilweise getötet.

Alaa M. war als Arzt im Gefängnis des Militärischen Geheimdienstes in der Stadt Homs (Syrien) tätig. Dort nahm er in den nachfolgenden Fällen Folterungen an Zivilisten vor, die im Gefängnis des Militärischen Geheimdienstes in Homs oder dem dortigen Militärkrankenhaus gefangen gehalten wurden. Hintergrund der Inhaftierung war der Vorwurf der Teilnahme an regimekritischen Aktivitäten, insbesondere an Demonstrationen, oder die Herkunft aus einem der Opposition zuzurechnenden Ort oder Stadtteil.

1. Ab dem 23. Oktober 2011 wurden das spätere Todesopfer A., dessen Bruder sowie ein Bekannter des Brüderpaares im Hauptsitz der Abteilung 261 des Militärischen Geheimdienstes inhaftiert und mehrfach schwer misshandelt. Unter anderem schlug der Beschuldigte dem A. ins Gesicht, versetze ihm Schläge mit einem Plastikrohr und trat ihm gegen den Kopf. Nachdem sich der gesundheitliche Zustand des A. – auch wegen eines in der Haft erlittenen epileptischen Anfalls – erheblich verschlechterte hatte, verabreichte ihm der Beschuldigte eine Tablette. A. zeigte anschließend keine Reaktionen mehr und verstarb im Laufe des Tages.

2. Im Sommer 2011 übergoss Alaa M. die Genitalien eines 14 oder 15 Jahre alten Jungen mit Alkohol und entzündete ihn. Der Junge, der vor Schmerzen schrie und weinte, war zuvor in die Notaufnahme des Militärkrankenhauses in Homs eingeliefert worden.

3. Ende Juli/Anfang August 2012 misshandelte der Beschuldigte zusammen mit zwei weiteren Bediensteten einen Gefangenen. Unter anderem schlugen und traten sie ihn am ganzen Körper und haben ihn an der Decke aufgehängt. Ungefähr eine Woche später übergoss der Beschuldigte die Hand des Gefangenen mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete sie an. Hierdurch erlitt er Brandverletzungen. Insgesamt nahm der Beschuldigte an weiteren zehn Foltersitzungen zum Nachteil des Gefangenen teil.

4. Nachdem sich wiederum bei einem anderen Gefangenen aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen mehrere Wunden an dessen Armen und Beinen entzündet hatten, wurde er Mitte 2012 in das Militärkrankenhaus in Homs verlegt. Wenige Tage nach seiner Ankunft suchte ihn der Beschuldigte in seiner Zelle auf, beschimpfte ihn und versetzte ihm Hiebe mit einem Schlagstock. Anschließend trat er mit seinen Stiefeln auf die vereiterte Wunde am Ellenbogen, aus der daraufhin Blut und Eiter austraten. Alaa M. begoss die Wunde und den Unterarm des Gefangenen mit einem alkoholhaltigen Desinfektionsmittel und entzündete dieses. Anschließend trat ihm der Beschuldigte in das Gesicht, wodurch drei Zähne erheblich beschädigt wurden und später durch eine Prothese ersetzt werden mussten. Danach versetzte der Beschuldigte dem Opfer wiederum Hiebe mit dem Schlagstock, die ihn am ganzen Körper trafen. Durch einen Schlag auf den Kopf verlor er schließlich das Bewusstsein.

5. Wenige Tage danach betrat der Beschuldigte die Zelle des vorgenannten Folteropfers. Dort waren das spätere Mordopfer O. sowie ungefähr 20 weitere Gefangene untergebracht, denen allesamt die Hände auf den Rücken gefesselt waren. Der Beschuldigte schlug und trat auf die Menschen ein, wobei sich O. durch Tritte wehrte. Allerdings setze der Beschuldigte seinen Schlagstock gegen ihn ein und konnte O. zusammen mit einem Krankenpfleger am Boden fixieren. Kurze Zeit später verabreichte ihm der Beschuldigte eine Injektion mit einer tödlich wirkenden Substanz in den Oberarm, an der er innerhalb weniger Minuten verstarb.

Der Beschuldigte hatte Mitte des Jahres 2015 Syrien verlassen und war in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er hat hier nach seiner Einreise als Arzt praktiziert.

Meldung vom 22.06.2020

Festnahme eines mutmaßlichen Mitarbeiters des syrischen Militärischen Geheimdienstes wegen des dringenden Tatverdachts eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit

Festnahme eines mutmaßlichen Mitarbeiters des syrischen Militärischen Geheimdienstes wegen des dringenden Tatverdachts eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit

Die Bundesanwaltschaft hat am Abend des 19. Juni 2020 aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2020 den syrischen Staatsangehörigen Alaa M. durch Beamte des Bundeskriminalamts in Hessen festnehmen lassen.

Der Beschuldigte wurde am Folgetag (20. Juni 2020) dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der ihm den Haftbefehl eröffnet und den Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet hat.

Alaa M. ist der Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB, § 25 Abs. 2 StGB) sowie der gefährlichen Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4) dringend verdächtig. Er soll als Arzt in einem Gefängnis des syrischen Militärischen Geheimdienstes tätig gewesen sein und dort zumindest in zwei Fällen einen Inhaftierten gefoltert haben.

In dem Haftbefehl ist im Wesentlichen folgender Sachverhalt dargelegt:

Spätestens seit Ende April 2011 ging das syrische Regime dazu über, sämtliche regierungskritischen Aktivitäten der Opposition flächendeckend mit brutaler Gewalt zu unterdrücken. Den syrischen Geheimdiensten kam dabei eine wesentliche Rolle zu. Das Ziel war es, die Protestbewegung mit Hilfe der Geheimdienste bereits zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu unterbinden und die Bevölkerung einzuschüchtern. Hierzu wurden überall im Land tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle ohne Rechtsgrundlage festgenommen, inhaftiert, gefoltert und teilweise getötet.

Alaa M. war im Jahr 2011 als Arzt im Gefängnis des Militärischen Geheimdienstes in der Stadt Homs (Syrien) tätig, so auch im Zeitraum vom 23. Oktober 2011 bis zum 16. November 2011. Ab dem 23. Oktober 2011 wurde dort das spätere Folteropfer A. wegen seiner Teilnahme an einer Demonstration festgehalten. Im Anschluss an eine „Foltersitzung“ erlitt er einen epileptischen Anfall, woraufhin ein Mitgefangener einen Aufseher bat, einen Arzt zu benachrichtigen. Nach seinem Eintreffen schlug der als Arzt anwesende Beschuldigte jedoch unvermittelt mit einem Plastikrohr auf A. ein. Auch nachdem dieser zu Boden gegangen war, setzte Alaa M. die Schläge weiter fort und trat zusätzlich auf das Opfer ein.

Am darauffolgenden Tag verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand von A. erheblich. Nach Bitten der Mitinsassen um ärztliche Betreuung erschien erneut der Beschuldigte, diesmal in Begleitung eines weiteren Arztes des Gefängnisses. Beide schlugen anschließend jeweils mit einem Plastikrohr bewaffnet auf den geschwächten A., der nicht mehr eigenständig gehen konnte, ein, bis dieser das Bewusstsein verlor. Das Opfer wurde anschließend von mehreren Wächtern in eine Decke gelegt und weggetragen. Der Geschädigte verstarb in der Folgezeit, wobei die Ursache für den Eintritt des Todes unklar ist.

Der Beschuldigte hatte Mitte des Jahres 2015 Syrien verlassen und war in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er hat hier nach seiner Einreise als Arzt praktiziert.

 

Quelle: Der Generalbundesanwalt
Titelbild: Tatoh – shutterstock.com

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