Herzenstransport: Grosser Einsatz für einen kleinen Patienten
„Wie transportieren wir einen kleinen Jungen mit einem externen, ‹künstlichen Herzen› sicher von Lausanne nach Zürich?“
Mit dieser komplexen Fragestellung setzte sich der Rettungsdienst von SRZ zusammen mit ExpertInnen des Universitäts- Kinderspitals Zürich im November des vergangenen Jahres auseinander. David Schurter ist Oberarzt bei SRZ und erzählt in der Einsatzgeschichte, wie diese aussergewöhnliche Verlegung erfolgreich gemeistert wurde.
Eine geplante Patientenverlegung verläuft normalerweise unspektakulär: Ein Rettungswagen (RTW) fährt im Spital A vor, übernimmt die Patientin und transportiert sie ins Spital B. Vorbereitungszeit für eine standardisierte Verlegung: meist nur wenige Minuten. Ein Einsatz Ende letzten Jahres sollte allerdings in vielerlei Hinsicht ganz anders verlaufen.
Im November 2020 erkundigten sich Spezialisten für Herz-Lungen-Maschinen (Fachsprache: Kardiotechniker) vom Kinderspital Zürich bei uns, ob die Sanität von SRZ sie bei einer sehr komplexen Verlegung unterstützen könnte. Ein in der Region Zürich wohnhafterJunge, noch nicht einmal zwei Jahre alt, hatte aus guter Gesundheit heraus urplötzlich eine Herzschwäche erlitten. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends, und alle Therapiemöglichkeiten waren bislang ohne Erfolg geblieben. Um sein Überleben sicherzustellen, war er unterdessen in Lausanne an ein „künstliches Herz“ angeschlossen worden, da in Zürich zu diesem Zeitpunkt die entsprechenden Kapazitäten fehlten. Im Gebiet der hoch spezialisierten Medizin arbeiten die beiden Zentren partnerschaftlich zusammen.
Wann der kleine Junge und seine Familie mit der Transplantation eines neuen, gesunden Herzens rechnen konnten, stand zu diesem Zeitpunkt noch in den Sternen. Allerdings war allen Beteiligten bewusst, dass das kranke Kind über längere Zeit auf die Unterstützung des Herzens, das ausserhalb seines kleinen Körpers schlug, angewiesen sein würde. Aus diesem Grund entschieden sich die ExpertInnen, den Patienten zur weiteren Betreuung zurück in seinen Heimatkanton Zürich zu verlegen.
Komplexer Transport, von langer Hand geplant
Wie transportiert man ein Kleinkind, das an ein „künstliches Herz“ in Form und Grösse eines sperrigen Kopiergeräts angeschlossen ist, sicher von Lausanne nach Zürich? Diese Maschinen sind für den stationären Einsatz in einem Spital konzipiert. In der Literatur sind lediglich eine Handvoll Transporte beschrieben. Daraus ist uns bekannt, dass die Geräte teilweise nur wenige Minuten ohne Stromversorgung auskommen und gleichzeitig sehr hohe Anforderungen an die Stromzufuhr stellen, insbesondere an die Qualität der Wechselspannung. Keine leichte Aufgabe für uns – also begannen wir zu planen. Es folgt ein intensiver Austausch der Kardiotechniker, Herzchirurgen und Intensivmediziner des Kinderspitals mit der ärztlichen Leitung, dem Kader Rettungsdienst sowie den Mitarbeitenden der Garage und der Dienstplanung von SRZ. Da uns allen bewusst ist, dass der kleine Patient ohne mechanische Unterstützung während des Transports einen Kreislaufstillstand erleiden würde, planen wir den Einsatz bis ins kleinste Detail durch und berücksichtigen dabei alle möglichen Komplikationen. Die Babyambulanz bietet in diesem speziellen Fall zu wenig Platz für Material und insgesamt elf Personen — inklusive des Patienten und seiner Mutter. Also einigen wir uns auf folgendes Einsatzszenario: Der Transport erfolgt mit zwei voneinander unabhängigen, identischen Einheiten, je aus einem RTW und einem „künstlichen Herz in Betrieb“ bestehend. In einem der beiden RTW befindet sich der an die Maschine angeschlossene Patient. Das andere Fahrzeug fährt als Rückfallebene mit, sodass das Kleinkind im Fall einer technischen Störung umgehend an das Ersatzsystem angeschlossen werden könnte
Trockenübung – ein Plüschtier probt mit
Um einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen, spielen wir alle Schritte des Transports theoretisch durch, verteilen Aufgaben, erstellen Checklisten. Doch auf die Theorie allein verlassen wir uns nicht – einige Tage vor dem geplanten Einsatz führen wir die „Generalprobe“ auf dem Areal des Kinderspitals durch. Um das Training möglichst realitätsgetreu zu halten, rüsten wir den RTW entsprechend aus. Ausserdem üben wir mit demselben Team, das auch am besagten Tag im Einsatz stehen wird – also ein Herzchirurg, zwei Kardiotechniker, eine Oberärztin und eine Pflegefachperson Intensivstation sowie wir von SRZ –, und spielen jede erdenkliche Komplikation durch: Wie reagieren wir? Wird der Transport fortgeführt oder unterbrochen? Wo befinden sich unterwegs Spitäler, die wir im Notfall anfahren können? Als fiktiver Patient dient zeitweise ein mit zwei künstlichen Herzkammern ausgestattetes Plüschtier. Es hat dieselbe Grösse wie das Kleinkind und erlaubt uns, die zahlreichen medizinischen Schläuche auf ihre Länge zu testen und sie an den richtigen Stellen zu befestigen. Immer wieder gehen PassantInnen an uns vorbei — auf sie muss die angetroffene Situation geradezu grotesk wirken: Mehrere Personen in Spital- und Leuchtuniform laden ein Plüschtier in einen Rettungswagen – mit laufendem Motor – ein. Dank Gesichtsmaske kann ich mein Schmunzeln gut vor den offensichtlich fragenden Blicken verbergen.
Was lange währt, wird endlich gut
Mitte November ist es endlich so weit: Frühmorgens, gegen 7 Uhr, macht sich das Einsatzteam auf den Weg nach Lausanne. Kurz vor der Ankunft werden letzte logistische Probleme gelöst, denn die Romandie befindet sich in diesen Tagen im Lockdown. Vor Ort angekommen, übernehmen wir den jungen Patienten, und der Transport nach Zürich beginnt. Um die Transportzeit möglichst kurz zu halten und damit die beiden Fahrzeuge immer direkt hintereinander bleiben, erfolgt der Rückweg mit Blaulicht und Martinshorn. Ein sehr kräftezehrendes Unterfangen für die fahrenden Rettungskräfte, die sich deshalb auf halber Strecke abwechseln: Lange Blaulichtfahrten machen sehr müde, da sie höchste Konzentration erfordern. Trotz aller durchgespielter Notfallszenarien – oder gerade deswegen – erfolgt die Verlegung problemlos. Alle Beteiligten sind glücklich und stolz, den tapferen Jungen pünktlich um 15 Uhr dem behandelnden Team im Kinderspital übergeben zu dürfen.
Verschiedene Disziplinen, ein Ziel!
Nach dem Einsatz sind die Kolleginnen und Kollegen des Kinderspitals voll des Lobes für den reibungslosen Ablauf dieses komplexen Transports. Insbesondere die dienstleistungsorientierte Unterstützung durch SRZ hat sie beeindruckt. Allerdings brauchte es dazu jede und jeden Einzelnen — die Zusammenarbeit war in beide Richtungen vorbildlich und professionell. Mir persönlich bleibt diesem Lob noch ein weiteres hinzuzufügen: Unser Team der Garage, Abteilung Fahrzeuge SRZ, das unter Zeitdruck diverse unübliche Abklärungen treffen musste, hat dies auf hohem professionellen Niveau und mit grossem Engagement getan. Oder haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich schon einmal Gedanken über die Spannungsstabilität von Wechselrichtern in Abhängigkeit von der Motorenleistung gemacht? Ich auch nicht!
Das „künstliche Herz“
Beim verwendeten System wird das Blut des Patienten, ähnlich wie beim natürlichen Herzen, pulsförmig dem Körper entzogen und wieder zurückgegeben. Eine Kammer, die sich ausserhalb des Körpers befindet, wird – getrennt durch Membranen – mit pulsierender Druckluft gefüllt und entleert.
Quelle: Stadt Zürich / SRZ
Bildquelle: Stadt Zürich / SRZ