Trauer und Trauernde verstehen, Teil II: Die Trauerverarbeitung aktiv unterstützen
Den wichtigsten Aspekt für ein erfolgreiches Verarbeiten der Trauer haben wir bereits in Zusammenhang mit dem Durchlaufen der Trauerphasen erwähnt, wiederholen ihn aber hier noch einmal in aller Deutlichkeit: Für Trauerverarbeitung gibt es kein allgemeingültiges Rezept, denn sie folgt der individuellen Wahrnehmung und Persönlichkeitsstruktur desjenigen, der trauert. Insofern sind unsere Tipps lediglich Anregungen dafür, wie sich die Trauer in den Alltag integrieren lässt und durch welche Mittel ihr Ausdruck verliehen werden kann.
Die ist ein zweiteiliger Bericht über “Trauer und Trauernde verstehen”
Teil I: Der Trauerprozess
Teil II: Die Trauerverarbeitung aktiv unterstützen
Die Aufgaben bzw. Ziele der Trauerverarbeitung ergeben sich aus den Phasen, die Betroffene im Rahmen des bereits besprochenen Trauerprozesses durchlaufen. Seine Trauer erfolgreich zu verarbeiten bedeutet demnach
- sich dem Schmerz des Verlustes zu stellen
- den Verlust eines Menschen oder seiner Zuneigung zu akzeptieren
- das eigene Leben neu zu ordnen
- wieder auf andere Menschen zugehen bzw. sich ihnen öffnen zu können.
Um dieses Ziel zu erreichen, sind viele kleine Schritte nötig. Einige der wichtigsten sind,
- die aus der Trauer resultierenden Gefühle und Bedürfnisse zu akzeptieren: Im Rahmen dessen müssen Betroffene lernen, Dinge zuzulassen, die sie unter „normalen“ Umständen nicht getan haben und die daher auf ihr Umfeld bzw. die Menschen in ihrer Umgebung ungewöhnlich oder befremdlich wirken. Dabei können schon verschwindend kleine Änderungen einen grossen Effekt haben. So macht ein rund um die Uhr laufendes Radio die nach dem Verlust herrschende Einsamkeit der Wohnung erträglicher, der Wechsel des Waschmittels schaltet olfaktorische Erinnerungsreize aus und ein Ab- oder Umhängen von Bildern verändert die Atmosphäre des Raumes.
- auf seinen Körper bzw. dessen veränderte Situation zu achten: Als hochsensibles Gesamtwerk reagiert der Körper auf Trauer nicht nur emotional, sondern auch organisch. Weil er sämtliche Kräfte für die Reparatur bzw. Regeneration der Seele benötigt, spart er sie dort ein, wo sie momentan weniger benötigt werden. Von diesem körpereigenen Notfallprogramm sind nahezu alle Bereiche betroffen; am häufigsten lassen sich bei Trauernden jedoch Verdauungsstörungen wie Appetitlosigkeit, fehlendes Hungergefühl oder Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen wie Ein- und Durchschlafprobleme sowie Durchblutungsstörungen mit Gelenk- und Muskelschmerzen und einem auffallend veränderten Hautbild beobachten. Daraus resultierende Massnahmen zur Unterstützung des Körpers können feste Schlaf- und Essenszeiten, die Verarbeitung ausschliesslich frischer, gesunder und leichter Produkte, ausgedehnte Aufenthalte oder Spaziergänge in der Natur sowie bewusst betriebene Hygiene und Körperpflege sein.
- sich kleine Ziele zu setzen: Während der Trauer können Betroffene meist keine klaren Entschlüsse fassen. Langfristig angesetzte Ferienreisen, grössere Anschaffungen oder andere weitreichenden Entscheidungen sollten daher von der Agenda gestrichen werden. Wesentlich hilfreicher – und oft schon kräftezehrend genug – ist es, Trauernde zu alltäglichen Angelegenheiten zu motivieren. Hierbei hilft die Aufstellung eines realistischen Tagespensums, das die Betroffenen Punkt für Punkt abarbeiten können.
- kommende, gehende und wiederkehrende Gedanken zu sammeln: In bestimmten Phasen der Trauer scheinen sich die Gedanken der Betroffenen permanent im Kreis zu drehen. Ein und dieselbe Frage beschäftigt sie immer wieder, die darauf gefundenen Antworten sind plötzlich wieder verschwunden und die Verzweiflung scheint an manchen Tagen immer grösser zu werden. Das sind Momente, in denen das Führen eines Tagebuches helfen kann. Hierin lässt sich wertungsfrei festhalten oder nachlesen, was die Trauer begleitet (hat). Neben negativen Empfindungen wie Wut, Angst oder Ärger können das übrigens auch Erinnerungen an schöne Dinge wie einen unverhofften Besuch oder einen besonders erholsamen Ausflug und die damit verbundenen Gefühle sein.
- verlässliche Anlaufstellen zu schaffen: Wie bereits im vorangegangenen Artikel erläutert, verläuft Trauer weder gleichförmig noch geradlinig; d. h. dass Trauernde auch Rückschläge erleben können, die sie auf eine bereits überwunden geglaubte Phase des Trauerprozesses zurückwerfen. Weil die auslösenden Momente für einen solchen Rückschlag äusserst vielfältig, mitunter verschwindend klein und für Aussenstehende manchmal gar nicht nachvollziehbar sind, benötigen von Trauer Betroffene verlässliche Anlaufstellen – also Ansprechpartner, die ihnen jederzeit ein offenes Ohr leihen und Trost spenden. Doch nicht immer können Verwandte und Freunde diesen Bedarf decken, so dass Trauernde sich darüber hinaus zuverlässige Optionen wie den Kontakt zu einer telefonischen Seelsorge oder einer Kriseninterventions-Einrichtung schaffen sollten.
- den Gang der Dinge anzunehmen und zu nutzen zu lernen: Manche Trauernde empfinden es als Affront, wenn sie in ihrer persönlichen Krisenzeit mit Alltäglichkeiten oder freudigen Ereignissen konfrontiert werden. Aber genau jene Dinge zeigen, dass das Leben weitergeht und die Betroffenen nach wie vor geschätzt und gebraucht werden. Auch in Zeiten der Trauer sollten feierliche Anlässe oder Festtage bzw. saisonale oder regionale Ereignisse begangen, ausgerichtet oder besucht werden.
Oberstes Bild: © Photographee.eu – Shutterstock.com