Identität eines Angeklagten ist zu schützen – trotz Social-Media-Aktivität

Die Identität eines Angeklagten darf nicht unter dem Vorwand preisgegeben werden, er sei in den sozialen Medien aktiv, wenn die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nichts mit seiner Aktivität im Netz zu tun haben. Diese Auffassung vertritt der Schweizer Presserat in einer Stellungnahme.

Im Januar 2015 berichtete sept.info im Bereich „Club“ über eine Gerichtsverhandlung und veröffentlichte dabei den Namen und ein Foto des Beschuldigten. Der Mann, selbst Journalist und in den sozialen Netzwerken aktiv, wurde von einem Lausanner Gericht in einer Sache angehört, die allein sein Privatleben betraf.

Der Journalist reichte beim Schweizer Presserat Beschwerde wegen Verletzung seiner Privatsphäre ein. Der Anwalt von sept.info machte demgegenüber geltend, der Beschuldigte sei wegen seiner häufigen Interventionen in den sozialen Netzwerken zweifellos eine öffentliche Person, gar eine Person der Zeitgeschichte. Folglich dürften seine Identität und sein Foto der Öffentlichkeit offenbart werden.

Der Presserat hält fest, dass im vorliegenden Fall keine der Bedingungen der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ erfüllt ist, die eine Offenlegung der Identität des Beschwerdeführers erlauben. Der von der Waadtländer Justiz behandelte Fall steht in keinem Zusammenhang mit den Aktivitäten des Beschuldigten in den sozialen Netzwerken.

Für den Presserat handelt es sich bei ihm auch nicht um eine öffentliche Person. Er ist öffentlich nicht speziell bekannt und es folgt ihm auch nicht ein grosses Publikum auf den sozialen Netzwerken. Es besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse daran, seinen Namen zu veröffentlichen. Der Presserat hat deshalb die Beschwerde gegen sept.info in diesem Punkt gutgeheissen.

 

Artikel von: Schweizer Presserat
Artikelbild: © Kritchanut – shutterstock.com

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