Was ist die Arbeit in der Pflege wert?
Viele wünschen sich, ihre Nächsten zu Hause zu pflegen. Dazu kommt, dass sie Versorgungssicherheit brauchen. Dies sind meist die Gründe für die Beschäftigung einer Care-Migrantin. Jedoch hat die zeitlich sehr umfassende und auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtete Betreuung ihren Preis – wer soll ihn aber bezahlen?
Care Migration kann nicht als isoliertes und individuelles Phänomen betrachtet werden. Es führt die Schwachstellen in der schweizerischen Langzeitversorgung vor Augen.
Spitex-Organisationen mit einem Leistungsauftrag von Gemeinden können den steigenden Bedarf an alltagsnaher Unterstützung in den Privathaushalten nicht abdecken. Parallel zu professionellen Pflege- und Betreuungsdiensten entwickelt sich ein länderübergreifender Betreuungsmarkt. Care-Migrantinnen kommen aus dem Ausland in die Schweiz, arbeiten bei betreuungsbedürftigen Menschen zu Hause und wohnen oft auch dort. In der Deutschschweiz sind dies vor allem Frauen aus Ost-Deutschland und aus osteuropäischen EU-Ländern. Der Einbezug von Care-Migrantinnen ist eine Strategie, um die benötigten Dienstleistungen „aus einer Hand“, langfristig und finanzierbar einzukaufen.
Careum Forschung, das Forschungsinstitut der Kalaidos Fachhochschule Gesundheit, untersucht das Phänomen der Care Migration seit 2011 aus der Versorgungsoptik. In mehreren aufeinander aufbauenden Projektkooperationen werden die unterschiedlichen Perspektiven aller Akteure, vor allem auch pflegender Angehöriger und Nutzer von Betreuungsleistungen, berücksichtigt.
Im Jahr 2013 veröffentlichte das Schweizerische Gesundheitsobservatorium „Obsan“ in Kooperation mit Careum Forschung die Untersuchung „Care Migration – transnationale Sorgearrangements im Privathaushalt“. Careum Forschung untersuchte aus der Optik von pflegenden Angehörigen wie auch von Expertinnen und Experten aus der Schweiz, Deutschland und Österreich die gesundheits- und sozialpolitische Relevanz, das Ausmass sowie die Auswirkungen der Care Migration auf das Gesundheitssystem in der Schweiz.
Der Bericht dokumentiert einen hohen Informationsbedarf bei allen Akteursgruppen: Wirtschafts- und Gesundheitsbehörden, gemeinnützige und erwerbswirtschaftliche Spitex-Organisationen sowie Privatpersonen. Es besteht ein politischer Handlungsbedarf zur Sicherstellung langfristiger häuslicher Versorgung. Für Privathaushalte fehlen zugängliche und verständliche Informationen über die rechtlichen Rahmenbedingungen. Nur mit diesem Wissen können sie ihre Verantwortung in Bezug auf die Qualität der Versorgung wie auch der Lebens- und Arbeitsbedingungen von denjenigen, welche die Betreuungsarbeit leisten, wahrnehmen.
Die Finanzierungslogik unseres Gesundheitssystems sieht nicht vor, dass in der Langzeitpflege erbrachte Betreuungsleistungen vergütet werden. Sie müssen hauptsächlich privat bezahlt werden. Dies dokumentiert die OECD mit einem vergleichsweise hohen „out-of-pocket“ Beitrag der Schweizer Privathaushalte für die Langzeitpflege. Auch personell machen private oder familiale Leistungen einen grossen Teil der benötigten Hilfe aus. Die zentrale Rolle der Angehörigen wurde im Bundesratsbericht vom 4. Dezember 2014 festgehalten:
„Angehörige von hilfe- oder pflegedürftigen Personen sind für die häusliche Gesundheitsversorgung unverzichtbar. Wie gross ihr Anteil in der Schweiz ist, zeigen eindrucksvoll die Ergebnisse der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE): Im Jahr 2013 leisteten Angehörige unbezahlt Pflege und Betreuung im Umfang von rund 64 Mio. Stunden. Würde diese Arbeit vergütet, entspräche das einem Betrag von 3.55 Mia. Schweizer Franken.“
Als tragende Pfeiler der Langzeitversorgung in der Schweiz sind die Angehörigen auf Beratung und Unterstützung angewiesen. Die hohe Lebenserwartung und neue Therapieformen bringen längere, anspruchsvollere Pflegeverläufe mit sich – unabhängig von Alter und Behinderung. Gleichzeitig werden Versorgungsarrangements vor dem Hintergrund der Leitmaxime „ambulant vor stationär“ zunehmend nach Hause verlagert.
Der Bedarf an Betreuung und Pflege von kranken, behinderten oder hochaltrigen Personen in ihrem Zuhause steigt. Der Wert von Care-Arbeit in der häuslichen Langzeitversorgung muss anerkannt und honoriert werden. Denn zusätzlich zu den ausser Frage stehenden ethischen und rechtlichen Aspekten, gefährden schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen von Care-Migrantinnen die Versorgungsqualität.
„Was nicht hilft, ist eine Dämonisierung der Privathaushalte, die Care-Migrantinnen beschäftigen – es braucht eine differenzierte Debatte über dieses vielschichtige Problem und einen gesamt-gesellschaftlichen Diskurs über den Wert von Care.“ Karin van Holten, Projektleiterin Care Migration bei Careum Forschung.
Um die Situation für Care-Migrantinnen zu verbessern, verabschiedete der Bundesrat am 29. April 2015 einen Bericht zum Thema „Pendelmigration zur Alterspflege“. Darin werden mögliche Lösungen zu besseren Arbeitsbedingungen von sogenannten Pendelmigrantinnen aufgezeigt. Das Eidg. Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) wurde beauftragt, bis Mitte 2016 eine Abschätzung der Regulierungsfolgenkosten vorzulegen. In Zusammenarbeit mit dem EDI und EJPD sollen die Lösungswege mit den Kantonen, Sozialpartnern und Organisationen der Betroffenen diskutiert und dem Bundesrat bis Ende 2016 ein konkreter Lösungsvorschlag unterbreitet werden.
Am 5. September 2016 findet im Kursaal Bern eine Informationsveranstaltung des SECO unter Einbezug verschiedener Expertinnen und Experten, u. a. von Careum Forschung, statt. Der Titel der Veranstaltung lautet: „24-Stunden-Betreuung: Lösungswege für die Regelung der Arbeitsbedingungen“.
Artikel von: Careum
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