Schweizer Bergwelt inspiriert Tolkien zu „Herr der Ringe“

Dass die beeindruckenden Bilder zur „Der Herr der Ringe“-Triologie und dem „Hobbit“ in Neuseeland gedreht wurden, ist bekannt. Die Geschichte hat ihren Ursprung jedoch in der Schweiz – das weiss kaum jemand. Der Autor J.R.R. Tolkien liess sich vor rund 100 Jahren während einer Reise von der einmaligen Kulisse der Schweizer Berge inspirieren. Auf mehrtägigen Touren erkunden Teilnehmer Mittelerde.

Unter uns: Der Hobbit ist nicht echt, sondern ein verkleideter Herr der Ringe-Fan, unterwegs mit Bastian Keckeis. Dieser arbeitet als Wanderführer im UNESCO-Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch und liebt die Geschichten von Tolkien. Er veranstaltet mehrtägige Touren auf den Spuren des bekannten Autors.

Und er weiss, dass der 19-jährige Tolkien 1911 mit einer geführten Gruppe durch die Schweiz wanderte: „Dabei überquerte er, von Interlaken kommend, die Alpen, die später als, Nebelgebirge’ in seine Bücher Einzug fanden.“ Einige Details nennt Tolkien in Briefen an seinen Sohn Michael: So entspricht etwa das der Jungfrau vorgelagerte Silberhorn dem Berg Celebdil, an dessen Flanke der weise Gandalf später den Feuerdämon Balrog zerschmettern sollte…

Alpengletscher imponieren dem Autor

Dass Tolkien so tief beeindruckt war, leuchtet spätestens beim Blick auf den imposanten Aletschgletscher, den mit 23 km Länge grössten Eisstrom der Alpen, ein: Mit seinem Panorama von über 40 Viertausendern ist er auch für Nicht-Hobbits ein magischer Ort. Bewohner wie Besucher beschreiben eine natürliche Kraft, die von den unglaublichen Eismassen ausgeht und ihnen neue Lebensenergie gibt. Der Blick von den drei Aussichtspunkten der Aletsch Arena – Moosfluh, Bettmerhorn und Eggishorn – ist besonders spektakulär, und man fühlt sich angesichts des 360-Grad-Panoramas klein wie ein Hobbit.

Klein fühlte sich auch Tolkien auf seiner Wanderung, als er entlang des Aletschgletschers ging und sich plötzlich Eis- und Steinlawinen lösten. „Das war einer der prägendsten Momente auf seiner Reise“, weiss Wanderführer Keckeis. „Als seine Gruppe unterhalb des Gletschers wanderte, wurde sie beinahe von einem solchen Felsbrocken getroffen.“

Tolkien schreibt in einem Brief, dass die Dame, die vor ihm ging, eine ältere Lehrerin, plötzlich einen Schrei ausstiess und einen Satz vorwärts machte. Ein grosses Stück Fels sei dann zwischen ihm und ihr hindurchgeschossen, keine 30 Zentimeter vor ihm. Diesen Schreck hat Tolkien im Buch seinen Hobbits eingejagt, indem er sie bei der Überquerung des Nebelgebirges in ein Unwetter geraten liess, das einen verheerenden Felssturz auslöste. Bergwanderer bleiben vor derartigen nissen heute zum Glück verschont, denn die Höhenwege, die eine weite Sicht auf den Eisstrom erlauben, sind inzwischen gut ausgebaut, und wer sich aufs Eis begibt, geht mit einem erfahrenen Guide.


Tolkiens „Herr-der-Ringe-Landschaft“ inmitten der Schweiz. (Bilder: aletscharena)


Der Aletschwald wird zum Düsterwald

Was Fans ganz besonders an die magische Welt aus Herr der Ringe erinnern mag, ist der herrliche tausendjährige Aletschwald, der Tolkien wahrscheinlich als Basis für den Düsterwald diente. Die wunderbaren, knorrigen Arven mit ihrer rundlichen Krone und ihrem leicht verdrehten, rauen Stamm wirken an sich schon wie Fabelwesen. (Fast genauso, nämlich „Arwen“, heisst übrigens die schöne Elbenfürstin in Herr der Ringe …)

Der Wald in der Aletsch Arena – auch Teil des UNESCO-Welterbes – ist einer der ältesten seiner Art. Doch nicht nur wegen ihrer mystischen Erscheinung und ihres hohen Alters sind Arven sehr aussergewöhnliche Bäume: Sie wachsen auf bis zu 2400 Metern Höhe und halten bis zu minus 30 Grad aus.

Zudem hat das Holz eine äusserst positive Wirkung auf den Menschen: Der Duft der ätherischen Öle im Harz wirkt beruhigend und ausgleichend – und sorgt für einen guten Schlaf. Deshalb wurden seit alters her Betten und Babywiegen aus dem robusten Holz gebaut. Heute sagt man auch, dass Arvenholz auf Dauer die Herzfrequenz senken kann. So übt der Arvenwald nicht von ungefähr eine besondere Macht auf Menschen – und andere Wesen – aus, die ihn durchqueren.

Postkarte liefert die Vorlage zu Gandalf

Doch es ist nicht nur die ungebändigte Kraft der Berglandschaft, die Tolkien zu der phantastischen Kulisse von Mittelerde inspiriert hat. Auch Helden seiner Geschichte sind echte Schweizer: So gibt es eine Postkarte, die er auf seiner Reise erstanden hat, die einen „Berggeist“ zeigt. Aus diesem alten Mann mit langem grauen Bart sollte später Gandalf werden, eine der zentralen Figuren der Geschichte, die Bilbo und die 13 Zwerge auf ihrem Abenteuer begleitet. Tolkien selbst bestätigte diese Quelle: Auf die Postkarte schrieb er „origin of Gandalf“.

Und was sagen die Einheimischen? Für Daniela Biderbost ist der Wald nahezu ein Lebenselixier. Die fröhliche Frau ist ein grosser Fan von Tolkiens Geschichten und hat das Glück, in Mittelerde zu leben – am Fusse der Riederalp. „Ohne die Natur hier könnte ich nicht sein“, sagt sie. „Ich brauche diese intakte Welt.“



Und sie kann sich gut vorstellen, wie überwältigt der junge Tolkien von der unberührten, wundersamen Landschaft der sagenumwobenen Bergregion gewesen sein muss. Schliesslich waren die Städte Grossbritanniens, wo er damals lebte, zu jener Zeit verrusst und schmutzig, die Luft schlecht.

Welch Kontrast bildeten dazu die schneeweissen Berggipfel und das türkis funkelnde Gletschereis – und dann diese Stille! Auch heute noch hört man auf dem Hochplateau hauptsächlich Bäche plätschern und den Wind rauschen. Verkehrslärm gibt es noch immer nicht, denn die Autos bleiben unten im Tal.

Für Daniela ist ihre Heimat jeden Tag ein Geschenk. Und am liebsten erlebt sie die Kraftorte ihrer Umgebung mit ihrem Windhund, dem sie den Namen des Elbenprinzen Legolas gegeben hat. Dank ihm kommt sie auch häufig mit anderen Wanderern und Spaziergängern ins Gespräch: „Dabei hat mir vor kurzem gerade wieder eine Urlauberin gesagt, wie wohl sie sich hier fühlt. Und dass man durch die Bergkulisse, den Blick auf den fast schon ehrfurchterregenden Eisstrom und die märchenhaften Wälder einfach ganz schnell wieder bei sich selbst ankommt.“

So erging es auch Tolkien, der einst schrieb: „Mein Herz verweilt noch immer in diesen hoch gelegenen Steinwüsten, auf Moränen und Geröllhalden, in der grossartigen Stille, durchbrochen nur durch das Rauschen kleiner Gletscherbäche.“

 

Artikel von: Aletsch Arena
Artikelbild: © aletscharena

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