Kapo Bern: Wenn das Telefonat zum Albtraum wird

Betrügerische Schockanrufe sind eine Realität, mit der alle irgendwann konfrontiert werden können. Ob es sich um eine schlechte Nachricht über einen geliebten Menschen oder eine unerwartete Krise handelt, sie können uns völlig aus der Fassung bringen.

Betrüger/-innen folgen oft einem Muster. Wir erzählen Ihnen eine wahre Geschichte.

Eine Frau hat einem ihr unbekannten Mann 35’000 Franken übergeben. Natürlich nicht einfach so, denn das Ganze ist eine bekannte Masche: Gekonnt werden ältere Menschen bereits zu Beginn eines Telefonats unter enormen psychischen und zeitlichen Druck gesetzt, um ihnen dann möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Masche war auch dem Opfer bekannt, erkannt hat die Frau sie aber erst, als es zu spät war. Wie es dazu kommen konnte? Lesen Sie weiter.

Es ist ein Montagmorgen im Juli, das Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung meldet sich ein Deutsch sprechender „Staatsanwalt“ aus Mülhausen: „Es hat sich ein tragischer Unfall ereignet, bei dem Ihr Sohn mit dem Auto mit einer Gruppe französischer Radfahrer kollidiert ist. Leider haben mehrere Personen beim Unfall ihr Leben verloren oder schwere Verletzungen erlitten.“ Der Sohn sitze jetzt in Frankreich in Haft. Die Ehefrau hätte ebenfalls im Auto gesessen und stehe unter Schock. Jetzt sei es dringend, dass die Mutter genügend Geld besorge, damit der Sohn wieder freikäme. Die Stimme des „Staatsanwalts“ wirkt ruhig und auch etwas besorgt. Das macht ihn sehr glaubwürdig und überzeugend.

Bloss keine Zeit verlieren

Die Frau bleibt am Telefon, ist geschockt, aber fasst sich wieder. Es bleibt keine Zeit für Emotionen. Sie ist ein Familienmensch, zögert daher keine Sekunde und will ihrem Sohn helfen. Ohne auch nur einmal daran zu denken, dass das alles ein Betrug sein könnte, folgt sie den Anweisungen. Sie solle am Telefon bleiben und der „Staatsanwalt“ rufe sie auf dem Handy an. Als dieses klingelt, ertönt die vertraute Stimme des „Staatsanwaltes“ erneut am anderen Ende der Leitung. Jetzt bloss keine Zeit verlieren, auf direktem Weg zur Bank und das Geld auftreiben. 35’000 Franken kann sie abheben, was aber bei Weitem nicht genug sei. Denn damit ihr Sohn freikäme, würden 70’000 Franken benötigt. Kurzes Update an den „Staatsanwalt“: „Leider kann ich nicht mehr als 35’000 Franken auftreiben, was machen wir jetzt?“, fragt sie. „Gehen Sie erst mal nach Hause, essen Sie etwas und dann schauen wir weiter“, beruhigt er sie.

Sie denken sich jetzt, ab hier ist es nun aber offensichtlich, dass es sich um einen Betrug handelt? Beim Erzählen der Geschichte ging es dem Opfer genauso, aber an diesem Montagmorgen hatte die Frau keinen Gedanken daran verloren, dass etwas nicht stimmen könnte. Die Geschichte geht also weiter.

Auf direktem Weg

Mit dem Bargeld in der Tasche macht sie sich auf den Heimweg. Es ist mittlerweile Mittag. Zu Hause angekommen, hat sie nicht viel Zeit, um etwas zu essen oder sich zu erholen, denn bereits um 15.00 Uhr muss sie das Geld übergeben. Sie fühlt sich gestresst, unter Druck und will ihrem Sohn einfach nur helfen. Zur Ruhe kommen ist kein Thema, sie solle ein Taxi nehmen und an den Übergabeort fahren. Sie klärt ab, organisiert ein Taxi, das sie etwas später zu Hause abholt. Das Geld hat sie in einen Umschlag und sorgfältig in die Tasche gepackt. „Am besten sprechen Sie nicht darüber, was passiert ist“, wird sie am Telefon noch ermahnt. Also antwortet sie auf die Fragen des Taxifahrers nur ganz kurz und knapp.

Sie fährt also jetzt mit dem ganzen Geld tatsächlich nach Saint-Louis an der Grenze zu Basel? Ja, das tut sie. Denn der Druck und die Emotionen nehmen überhand und lassen die ältere Dame keinen klaren Gedanken mehr fassen. So kommt sie beispielsweise auch tatsächlich nicht auf die Idee, den einen oder anderen Kontrollanruf zu tätigen.

Während der Fahrt mit dem Taxi gibt der „Staatsanwalt“ weitere Anweisungen und Informationen telefonisch durch. Wahrscheinlich könne die Frau nach der Geldübergabe gleich mit ihrem Sohn und dessen Frau nach Hause fahren, meint er noch. Vor ihrer Ankunft meldet der „Staatsanwalt“ aber angebliche Verzögerungen mit den Papieren und sagt ihr, sie müsse nicht warten und solle doch bereits früher wieder nach Hause fahren. Alles läuft nach Plan, denn sie ist sozusagen ferngesteuert vom „Staatsanwalt“. Als sie eine Stunde später in Saint-Louis aus dem Taxi steigt, sucht sie den vom „Staatsanwalt“ beschriebenen Mitarbeiter, „Herrn David“. Dieser erwartet sie bereits am Bahnhof und sie geht zielstrebig auf den Herrn zu.

Die Erlösung – oder doch nicht?

Die Frau drückt „Herrn David“ das Geld in die Hand. Doch dieser sagt nichts, sondern verschwindet sogleich mit dem Couvert voller Geld. Das erste Mal wird sie etwas misstrauisch. Die erwartete Erleichterung bleibt aus. Das Geld ist weg – nicht aber die Hoffnung, dass der Sohn bald wieder nach Hause kommt.

Zurück in Bern, ruft sie ihre Tochter an und erzählt dieser die ganze Geschichte vom Unfall. Im ganzen Trubel kam es ihr nicht in den Sinn, die Tochter schon früher anzurufen – nicht einmal auf der Rückfahrt. Auch die Tochter ist geschockt und ruft nach dem Telefonat mit der Mutter ihren Bruder an. „Wie geht es dir? Bist du wieder zu Hause?“ Als er etwas erstaunt reagiert, redet sie weiter. So lange, bis sich herausstellt, dass ihr Bruder weder einen Unfall hatte noch in Frankreich im Gefängnis war.

Ja, jetzt ist allen klar, dass es sich um einen Betrug handelt. Nur ist es zu spät, das Geld ist weg. In diesem Fall ist die Betroffene eine ältere Dame aus dem Kanton Bern. „Ich war wie ferngesteuert, das fühlte sich so echt an, dass ich gar nicht an einen Betrug gedacht habe“, sagt sie. Sie habe sich oft gefragt, wie man auf so etwas reinfallen könne. Dass sie selbst Opfer eines Telefonbetrugs werden konnte, hätte sie nie gedacht. Mit 75 Jahren gehört sie zur klassischen Zielgruppe der Betrüger/-innen. Sie suchen sich alleinstehende Personen mit traditionellen Vornamen aus, welche auf ältere Personen schliessen lassen. Die Informationen entnehmen sie ganz einfach dem Telefonbucheintrag.

So können Sie helfen

Diese Geschichte zu erzählen, braucht Mut. Viele Betroffene sprechen nicht darüber, weil sie sich dafür schämen, den Betrug nicht frühzeitig erkannt zu haben. Darüber zu sprechen, kann aber verhindern, dass noch weitere Personen auf den Betrug hereinfallen. Machen Sie Schockanrufe und Telefonbetrüge allgemein bei Verwandten und Freunden zum Thema und sensibilisieren Sie vor allem auch Seniorinnen und Senioren in Ihrem Umfeld. Bieten Sie an, immer erreichbar zu sein und dass stets mit Ihnen Rücksprache gehalten werden kann.

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Quelle: Blog der Kantonspolizei Bern
Titelbild: Symbolbild © Ruslan Huzau – shutterstock.com

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