Freispruch: Die schöne Amanda Knox ist unschuldig
von Agentur belmedia
Die Wende im Prozess um Amanda Knox ist spektakulär: Gestern wurde die 24-jährige Amerikanerin, auch als „Engel mit Eisaugen“ bekannt, im Berufungsprozess um den Mord an einer britischen Studentin im italienischen Perugia freigesprochen.
Seit November 2007 hatte der Fall die weltweite Öffentlichkeit bewegt. Damals war die britische Austauschstudentin Meredith Kercher mit durchschnittener Kehle, vergewaltigt und von Messerstichen übersät in ihrer und Knox‘ gemeinsamer Wohnung in Perugia aufgefunden worden. Rund zwei Jahre später wurden Knox und ihr Ex-Freund Raffaele Sollecito in einem Indizienprozess zu 26 beziehungsweise 25 Jahren Haft verurteilt. Nach Auffassung der ersten Instanz hatten sie Kercher bei Sexspielen getötet.
An der Unschuld der beiden liess das Gericht nun keinen Zweifel: Es sei kein Freispruch aus Mangel an Beweisen, wie italienische Medien betonten. Damit müsse die Suche nach dem wahren Schuldigen von vorne beginnen. Während Knox‘ grosse Fangemeinde – vor allem in den USA – über den Freispruch jubelt, zeigen sich Angehörige des Opfers und deren Unterstützer entsetzt.
Das Gericht bestätigte allerdings auch, dass Knox drei Jahre zu Recht in Haft sass – wegen Verleumdung des kongolesischen Barmannes Patrick Lumumba, den sie kurz nach ihrer Festnahme fälschlich des Mordes beschuldigt hatte. Eine Schadensersatzzahlung und die Erstattung der Gerichtskosten Lumumbas stehen noch aus.
Schönheit und Unschuld: Beides fügt sich im Fall Amanda Knox zusammen
Im Folgenden soll keine juristische Bewertung des Falles vorgenommen werden – das Urteil des Gerichts ist eindeutig. Vielmehr möchte ich einen Aspekt betrachten, der bei der weltweiten Berichterstattung über den Fall ständig mitschwang – nämlich die aussergewöhnliche Schönheit der Beschuldigten (siehe zum Beispiel diese Fotostrecke).
Es dürfte nämlich genau dieser Aspekt sein, der dem Fall überhaupt entscheidend weltweite Aufmerksamkeit eingebracht hat. Denn angenommen, Amanda Knox wäre nicht extrem attraktiv, sondern unansehnlich, alt, runzelig, übergewichtig und ungepflegt – hätten sich die Medien wohl auch dann für den Fall brennend interessiert? Antwort: Sehr wahrscheinlich nicht!
Die Frage, die zwar nicht das Gericht, aber die weltweite Öffentlichkeit – ob ausgesprochen oder unausgesprochen – beschäftigte, lautet schlicht: Kann eine bildschöne, unschuldig wirkende junge Frau eine grässliche Mörderin sein? Dass die Antwort realistisch mit „Ja“ zu beantworten ist, ist die eine Sache – eine andere Sache ist es, dass wir schönen Menschen schreckliche Taten offenbar weniger zutrauen. Dies ist jedenfalls das interessante Ergebnis von Attraktivitätsforschern.
So kommt die Attraktivitätsforschung zum Resultat, dass wir schöne Menschen als intelligenter, erfolgreicher, zufriedener, sympathischer, kreativer und fleissiger einschätzen. Die Schönen profitieren von dieser positiven Wahrnehmung: Schon als Kinder bekommen sie mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung, wodurch sie ein höheres Selbstbewusstsein entwickeln können. Schöne Menschen sind im Beruf erfolgreicher, verdienen mehr, haben mehr Erfolg auf dem Partnermarkt, treffen in Notlagen auf grössere Hilfsbereitschaft und können vor Gericht mit milderen Strafen rechnen. In einer Studie gelangen Forscher sogar zum Ergebnis, dass schöne Menschen seltener straffällig werden – vielleicht weil sie es weniger nötig haben?
Warum in unserer Wahrnehmung das Schöne und das Gute miteinander verknüpft sind, können die Forscher (noch) nicht erklären. Offenbar tritt diese Gleichsetzung kulturübergreifend in Erscheinung – genauso, wie auch in verschiedenen Kulturen Menschen auf Basis derselben Merkmale als „schön“ bewertet werden (eines dieser Merkmale ist zum Beispiel Symmetrie).
Bezogen auf Amanda Knox heisst das: Wen in diesem Fall schon immer ein Unbehagen plagte, auch ohne die juristischen Details zu kennen, dem machte wohl wahrscheinlich die Infragestellung der genannten Wahrnehmungsschablone zu schaffen – „schön gleich gut“. Doch diese Wahrnehmungsschablone scheint nun bestätigt worden zu sein. So können wir befriedigt das Happy End geniessen, bei dem sich erwies, dass die Schöne – man ahnte es bereits – eben doch unschuldig war.
Literatur: Ulrich Renz, Schönheit – eine Wissenschaft für sich, Berlin Verlag, 2006.
Titelbild: Ort des Geschehens: Perugia, Italien. (Urheber: Attilio Funel / Wikimedia Commons)