"Die Sünden des Steve Jobs" - Medien treten nach

„De mortuis nihil nisi bene“ – „Über die Toten nur Gutes“. Diesen Grundsatz sollte normalerweise beherzigen, wer sich an die guten Sitten hält. Eine Ausnahme wäre nur statthaft, wenn es sich bei einem Toten um einen Verbrecher handelte.

Doch bei dem am Mittwoch verstorbenen Apple-Mitbegründer Steve Jobs scheinen sich diverse Medien einen feuchten Kehricht um diese Anstandsregel zu kümmern. Kaum ist nämlich der brillante Computer-Pionier mit 56 Jahren viel zu früh von einer tückischen Krebserkrankung dahingerafft worden, haben Journalisten nichts Besseres zu tun, als dem frisch Verstorbenen angebliche Verfehlungen und Charakterschwächen aufs Brot zu schmieren.

Pirat, Geizhals, Notnagel“ titelt etwa der „Spiegel“ reisserisch, um mit ziemlich dünnen „Anekdoten“ aufzuwarten. Und „20 Minuten“ enthüllt gar „Die dunkle Seite des Genies„.

Schauerliche Geschichten bekommen wir da zu lesen. So soll Steve Jobs als Chef ein echter Kotzbrocken gewesen sein – nach innen habe er ein „diabolisches“ Herrschaftsprinzip praktiziert. „Die Mitarbeiter in Cupertino mieden es angeblich, Lift zu fahren, wenn Jobs im Hause war. Wer es dennoch tat, musste um seinen Job fürchten.“ So habe Jobs einem Mitarbeiter noch im Lift gekündigt, weil er ihm nicht auf Anhieb erzählen konnte, woran er gerade arbeitet. Mitarbeiter hätten Angst gehabt, dem cholerischen Chef ihre Ideen mitzuteilen, da sie einen Verriss fürchteten.

Schrecklich geizig soll Steve Jobs auch gewesen sein. „Obwohl er wahnsinnig reich war, hat Jobs sein Geld – zumindest offiziell – nie für wohltätige Zwecke eingesetzt.“  Vielleicht wollte er sich als Spender nur nicht in die Öffentlichkeit drängen, wie es andere Reiche gerne tun? Wen dies von Steve Jobs‘ Herzlosigkeit noch nicht überzeugt, dem soll dieser Satz dann zu denken geben: „Es war sogar ein Gerichtsurteil nötig, damit Jobs für seine Tochter und deren Mutter – die Journalistin Chrisann Brennan – aufkam, die zu Sozialfällen geworden waren.“

In Steve Jobs‘ Sündenregister, das uns die Medien präsentieren, gehört ausserdem Lohndumping. „In den USA arbeiten Apple-Shop-Angestellte für ein Butterbrot. Sie erhalten 8 bis 14 Franken pro Stunde, müssen aber einen strengen Code of Conduct befolgen. Jede Zuwiderhandlung wird geahndet.“ Die Journalisten erinnern uns schliesslich auch an „die moderne Sklaverei, welche der Apple-Konzern in den Foxconn-Fabriken in China betreibt“. Offenbar sind diese unhaltbaren Zustände erst mit dem Todestag von Steve Jobs bekannt geworden, oder wann wurde zuletzt die Ausbeutung chinesischer Arbeiter durch westliche Firmen in den Medien angeprangert? Ganz klar liegt hier wohl wieder ein Indiz für Jobs „fiesen Charakter“ vor – denn in China sind die Arbeitsbedingungen in anderen Firmen ja sonst „mustergültig“.

Unbekannt ist noch, ob Steve Jobs seine Putzfrau möglicherweise nicht korrekt bezahlte, seinen Hund nicht regelmässig Gassi führte oder seine Nachbarn nie grüsste. „Knallhart recherchierende“ „Blick“-Journalisten sind aber sicher schon am Ball und werden uns mit weiteren üblen Geschichten über den verstorbenen Apple-Chef auf dem Laufenden halten.

Wen interessieren schon die guten Sitten, wenn die Auflage stimmt.

 

Titelbild: Matthew Yohe / Wikimedia / CC

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