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Neue BBC-Dokumentation: Litt Tutanchamun an Inzuchtschäden?

01.12.2014 |  Von  |  Beitrag

Wissenschaftler haben an Tutanchamuns Mumie eine „virtuelle Autopsie“ mit umfangreichen Tests vorgenommen und ausgewertet. Demzufolge war der jung verstorbene Pharao entstellt, litt an Knochenschäden und hatte einen Klumpfuss – Folgen der Geschwisterehe seiner Eltern. Die Ergebnisse sind Gegenstand einer neuen Dokumentation der BBC.

Seit Howard Carter 1922 das Grab von Tutanchamun entdeckte, wurde seine Mumie wieder und wieder untersucht. Nach Abschluss dieser Tests gaben die verantwortlichen Forscher jeweils ihre Ergebnisse bekannt: Woran der junge Herrscher mutmasslich gestorben sei, mit welchen Krankheiten er gekämpft habe, wie er ausgesehen habe und in welchem Alter er gestorben sei. Jedes Mal meldeten sich andere Wissenschaftler zu Wort, die diese Ergebnisse ganz oder teilweise bestritten. Dann gab es wieder eine neue Untersuchung und das Ganze begann von vorne.

Fast alle Experten geben das Alter zum Todeszeitpunkt mit 18 bis 19 Jahren an. Davon abgesehen können sie sich in vielen Punkten nicht einigen. So verwundert es nicht, dass auch die aktuelle Forschungsreihe zu Kontroversen führt. Die BBC strahlte den Bericht unter dem Titel „Tutankhamun The Truth Uncovered“ erstmals Ende Oktober 2014 aus; er ist auch online abrufbar.

Umfassende Tests mit moderner Technik 

Die Wissenschaftler führten im Rahmen der „virtuellen Autopsie“ aufwendige Tests durch, darunter 2000 Computertomographien und umfangreiche Untersuchungen der DNA. Höhepunkt ihrer Arbeit war eine vollständige virtuelle Rekonstruktion des Pharaos, die im Film zu sehen ist. Insbesondere dieses wenig schmeichelhafte Bild hat zu scharfer Kritik geführt. Viele Menschen finden die öffentliche Darstellung entwürdigend und sind der Meinung, dass der Pharao nun endlich seine letzte Ruhe im Tal der Könige finden sollte – 3300 Jahre nach seinem Tod und fast 100 Jahre nach Entdeckung seines Grabs. Andere Wissenschaftlicher bemängeln, dass eine genaue Rekonstruktion nicht möglich sei und auf reinen Spekulationen beruhe. Insbesondere bei den Weichteilen und Gesichtszügen könne man nur Vermutungen anstellen.

Klumpfuss und weibliche Formen wegen Inzest der Eltern 

Das Bild mit der prunkvollen goldenen Totenmaske des jungen Herrschers ging um die Welt. Die Wirklichkeit sah anders aus, wenn die Ergebnisse der Forschungsreihe zutreffen. Demnach hatte Tutanchamun nicht nur stark vorstehende Zähne und einen verkümmerten Rücken, sondern auch eine erhebliche Fehlstellung des Fusses, den sogenannten Klumpfuss. Zudem litt er vermutlich unter Malaria. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch ältere Untersuchungen.

Anscheinend konnte sich der Ägypter zeit seines Lebens nur humpelnd und am Stock fortbewegen. Darauf lassen ebenso gut 130 Krücken schliessen, die als Beigabe in seinem Grab lagen und eindeutige Gebrauchsspuren aufwiesen.


Die Totenmaske des Tutanchamun (Bild: © MykReeve - CC BY-SA 3.0)

Die Totenmaske des Tutanchamun (Bild: © MykReeve CC BY-SA 3.0)


Neu ist die Theorie, dass Tutanchamun darüber hinaus weibliche Formen gehabt haben soll: vergrösserte Brüste, breite Hüften und weiche Gesichtszüge. Bei einer im Jahr 2010 durchgeführten Untersuchung gab es dafür allerdings keine Beweise. Einige Ägyptologen bezweifeln diese These ebenfalls und gehen davon aus, dass die Forscher von Zeichnungen der damaligen Zeit beeinflusst wurden. Es gebe zwar Darstellungen von männlichen Herrschern mit weiblichen Formen. Diese hätten aber lediglich Symbolcharakter im Zusammenhang mit den religiösen Bräuchen der damaligen Zeit.

Die lange Liste seiner Krankheiten wird fortgeführt mit Knochenschwund und einem allgemein schwachen und krankheitsanfälligen Zustand. Die Wissenschaftler führen die zahlreichen Gebrechen darauf zurück, dass die Eltern des Pharaos Geschwister waren.

DNA-Untersuchungen bestätigen den Pharao Echnaton als Vater; das brachten ältere Tests ebenfalls zutage. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist Tutanchamun aber nicht das Kind von Nofretete, der Hauptfrau Echnatons, sondern seiner Schwester. Allerdings: Zweifelsfrei bewiesen ist diese Annahme nicht.

Geschwisterehen waren in Ägypten lange Zeit gang und gäbe, im Alten wie im Neuen Reich. Vor allem unter den Pharaonen wurden häufig Bruder und Schwester verheiratet, auch bei den Untertanen war es keine Seltenheit. Der Inzest fand manchmal über mehrere Generationen hinweg statt, was zu schweren Erbschäden bei den Nachkommen führte.

Spekulationen über seinen Tod gehen weiter 

So zahlreich wie seine Krankheiten sind die Thesen über die Todesursache des früh verstorbenen Herrschers. Lange Zeit setzte sich die Annahme durch, er sei bei einem Wagenrennen ums Leben gekommen. Das widerlegen aber die aktuellen Erkenntnisse: Mit solch massiven Gebrechen wäre er dazu gar nicht in der Lage gewesen.

Auch die immer wieder geäusserte Vermutung, Tutanchamun sei Opfer eines Verbrechens gewesen, wird durch die Fakten widerlegt. Zwar weist der Körper zahlreiche Knochenbrüche auf und im Hinterkopf befindet sich ein grosses Loch. Die Untersuchungen belegen aber, dass ihm diese Verletzungen nach seinem Tod beigebracht wurden. Lediglich ein Bruch am Oberschenkel bestand bereits vorher, wohl eine Folge der genetischen Knochenkrankheiten. Dass die Leiche so stark lädiert war, hat vermutlich einen ganz profanen Grund: Howard Carter und sein Team gingen bei der Bergung unsachgemäss zu Werke; bei einer so alten Mumie brechen die Knochen schon ohne grossen Gewaltakt.



Einige Experten sind sich sicher, dass der Pharao an Malaria starb, wieder andere geben die genetischen Defekte als Todesursache an.

Sicher scheint nur eines zu sein: Man weiss nicht genau, woran Tutanchamun gestorben ist. Seit dem Grabfund wurde er durch die ganze Welt gezerrt, unzählige Male vermessen, fotografiert, gefilmt, analysiert, untersucht, ausgestellt und ausgewertet. Vielleicht wäre es wirklich langsam an der Zeit, ihm seine letzte Ruhe zu gönnen.

 

Quellen: – Watson.ch – Dailymail.co – u. a.
Oberstes Bild: © marco_tb – shutterstock.com

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