Griechenland: kommt jetzt doch der Schuldenschnitt?

Diesen Mittwoch hat Griechenland fristgerecht 200 Millionen Euro IWF gezahlt. In der kommenden Woche stehen weitere 756 Millionen Euro an. Nach aussen zeigen sich die Gläubiger des südeuropäischen Krisenstaates unerbittlich, hinter den Kulissen gibt es jedoch offenbar Debatten über einen Schuldenschnitt.

In einem Radiointerview stellte der griechische Verteidigungsminister Kostas Isichos – ein enger Vertrauter des griechischen Premierministers Alexis Tsipras – weitere Zahlungen allerdings in Frage, aus seiner Perspektive ist die wichtigste monetäre Aufgabe der Regierung derzeit die Auszahlung von Löhnen und Gehältern.

In der regierungsnahen Zeitung „Avgi“ hiess es dazu ebenfalls am Mittwoch, dass ein weiterer Schuldendienst nur erfolgen wird, wenn „die Institutionen“ – die frühere „Troika“ aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und IWF – das Land auch mit neuen Krediten unterstützen.

Countdown für den Schuldenschnitt?

Für die nächste fällige Überweisung in Höhe von 756 Millionen Euro will Athen – wenn überhaupt – unter anderem die Reserven der griechischen Rentenkassen nutzen. Auch fast alle anderen öffentlichen Institutionen wurden bereits letzte Woche per Gesetz dazu verpflichtet, ihre Geldreserven der Zentralbank zu überlassen. Am 8. und 15. Mai werden Schuldverschreibungen über 1,4 Milliarden Euro fällig, deren Neufinanzierung bisher nicht gesichert ist. Ob eine Konferenz der EU-Finanzminister am kommenden Montag zumindest eine temporäre Lösung bringt und bis wann Athen überhaupt noch zahlungsfähig ist, steht in den Sternen. Sicher war bisher nur, dass die Gläubiger den Griechen weder im Hinblick auf das geforderte Reformpaket noch einen möglichen Teilerlass der Schulden entgegenkommen würden. In Athen läuft der Countdown – für neue Hilfsgelder oder für den Staatsbankrott.

Drängt der IWF auf einen Schuldenschnitt? 

Nach einem Bericht der „Financial Times“ sehen die Debatten hinter den Kulissen allerdings etwas anders aus – ob Griechenland davon profitieren wird, ist eine andere Frage. Demnach dränge der IWF darauf, Griechenland einen Teil seiner Schulden zu erlassen. Konkrete Zahlen wurden von Poul Thomsen, dem für Europa zuständigen IWF-Direktor, nicht genannt. Einen „grossen Schuldenschnitt“ hatte Thomsen in einer Antwort auf eine Medienanfrage noch am vergangenen Dienstag ausgeschlossen. In der „Financial Times“ hiess es nun, dass der IWF seinen Anteil an der noch ausstehenden Kredittranche des laufenden Hilfsprogramms zurückhalten könnte, falls die Euro-Länder sich im Hinblick auf einen partiellen Schuldenschnitt nicht als kooperativ erweisen sollten. Ein Schuldenschnitt war für die Euro-Staaten bisher völlig ausgeschlossen. Für die Zahlung der insgesamt 7,2 Milliarden Euro sind sie jedoch auf die Beteiligung des IWF angewiesen, der davon etwa die Hälfte übernehmen wollte.

Überraschendes Haushaltsdefizit in Athen 

Grund für die angebliche Intervention des IWF ist die sich weiter verschlechternde Finanzlage Griechenlands. Für 2015 hatten die Wirtschaftsforscher ursprünglich einen Primärüberschuss – also den Haushaltssaldo ohne Schuldendienst – von drei Prozent prognostiziert. In der Praxis erwartet der IWF inzwischen ein Primärdefizit von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Laut der „Financial Times“ war das neue Haushaltsdefizit bereits auf dem Gipfel der EU-Finanzminister in Riga ein internes Thema. Der Fonds sehe deshalb keine anderen Alternativen mehr als einen Schuldenschnitt.


Heute sind die Schulden Griechenlands wieder so hoch wie 2010 zum Beginn der Schuldenkrise. (Bild: © kostasgr – shutterstock.com)

Bröckelnder Rückhalt der Athener Regierung 

Die Ablehnungsfront der Euro-Länder in dieser Frage war bisher mehr als deutlich, ob sie künftig bröckelt, hängt nicht nur vom IWF-Anteil an den Griechenland-Krediten ab. Vor allem Deutschland hatte bisher stets darauf gedrängt, im Schuldenstreit mit Griechenland auch die Washingtoner Institution mit im Boot zu haben, da sie in Athen grössere Autorität besitzt als die EU-Behörden.

Griechenland selbst hat inzwischen Schlüsselpositionen in seiner Verhandlungsdelegation neu besetzt und zeigt graduell mehr Kompromissbereitschaft. Die Regierung Tsipras ist nicht nur aus finanziellen Gründen unter Druck, sondern auch dabei, ihren Rückhalt in der griechischen Bevölkerung zu verlieren. Aktuelle Umfragen zeigen, dass über 70 Prozent der Griechen sich keinen Austritt aus der Euro-Zone wünschen und dem Konfrontationskurs ihrer Regierung zunehmend kritisch gegenüber stehen. Die Personalien im griechischen Verhandlungsteam deuten darauf hin, dass der EU-weit isolierte Finanzminister Yanis Varoufakis an Einfluss verloren hat und Premierminister Tsipras die Verhandlungen stärker an sich ziehen will. Am vergangenen Montag haben IWF-Chefin Christine Lagarde und Tsipras offenbar direkt telefoniert.

IWF: Von vornherein bereit zum Schuldenschnitt? 

Spannend ist vor dem Hintergrund eines möglichen Schuldenschnitts ein anderer Medienbericht: Am 23. April 2010 verkündete der damalige griechische Premierminister Giorgos Papandreou auf der Ägäis-Insel Kastelorizo de facto den Staatsbankrott und zeigte sich zuversichtlich, dass die Euro-Partner den Griechen helfen würden, in den „sicheren Hafen einzulaufen“.  Wenige Stunden später konferierte  sein Finanzminister Giorgos Papakonstantinou in Washington mit Vertretern der späteren „Troika“ – und bekam unmissverständlich erklärt, dass Griechenland seine gesamten Schulden zahlen müsse. Der US-amerikanische Investigativ-Journalist Paul Blustein, der für sein aktuelles Buch über den IWF und die griechische Schuldenkrise auch Papakonstantinou interviewt hat, behauptet jedoch, dass es seinerzeit durchaus auch andere Szenarien gegeben habe. Demnach arbeitete der IWF mit Vertretern der französischen und deutschen Finanzministerien seinerzeit an einem Plan, um die Schulden Griechenlands zu reduzieren. Der IWF sei damals für einen Schuldenschnitt gewesen.

EU fürchtet Präzedenzfall 

In ihrer Regierungserklärung zu Griechenland vom 5. Mai 2010 schloss die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Satz, dass die beschlossenen Hilfen alternativlos sind, einen Schuldenerlass zwar ausdrücklich aus, mahnte jedoch an, dass sich auch Banken und private Gläubiger an dem Hilfspaket beteiligen müssten. Auch der frühere Präsident der deutschen Bundesbank, Karl Otto Pöhl († am 9.  Dezember 2014) plädierte kurz darauf dafür, ein Drittel der griechischen Staatsschulden zu erlassen, was für die französischen und deutschen Banken allerdings staatliche Hilfen im Umfang von etwa 20 Milliarden Euro erfordert hätte. Der heutige Princeton-Professor und frühere Europa-Chef des IWF, Ashoka Mody, schreibt, dass der Fonds den Verzicht darauf heute zumindest intern als einen Fehler anerkennt, der sich in einem vergleichbaren Fall nicht wiederholen sollte. An seiner Spardoktrin halte er vor allem aufgrund der Verweigerungshaltung der europäischen Partner fest. Buchautor Blustein meint, dass einer der Gründe für den Widerstand der Europäischen Union in der Befürchtung eines Präzedenzfalls liegt, auf den sich möglicherweise irgendwann auch andere hochverschuldete Euro-Länder berufen würden. 



Rettung Griechenlands ist de facto gescheitert 

Heute sind die Schulden Griechenlands wieder so hoch wie 2010 zum Beginn der Schuldenkrise, die Wirtschaftskraft des Landes ist um 25 Prozent gesunken. Auch die Umschuldung im Jahr 2012 hat sich als wirkungslos erwiesen. De facto ist die Rettung Griechenlands gescheitert, was auch die Verhandlungsparteien wissen. Offen bleibt, welchen Realitätsgehalt mögliche Forderungen des IWF nach einem Schuldenschnitt am Ende haben werden – der Fonds wünscht sich laut Mody zumindest in künftigen Fällen dieser Art eine „kollektive globale Lösung“ – und welche Entscheidungen die Europäer dazu treffen.

 

Oberstes Bild: © bluecrayola – shutterstock.com

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